Die Kriegsjahre in Altschermbeck und in den Bauerschaften – Auszüge aus der Ortschronik des Lehrers Franz Grunewald

Der Heimatbund für die Herrlichkeit Lembeck in Wulfen ordnete 1936 an, dass in allen Orten der Herrlichkeit Lembeck Ortschroniken zu führen sind. Altschermbeck gehörte damals zum Amt Hervest-Dorsten. Der heute zu Dorsten-Holsterhausen gehörende Bereich Emmelkamp gehörte damals noch zu Altschermbeck. Dort bekam Lehrer Franz Grunewald aus Üfte den Auftrag, die Chronik zu führen; in Erle war es Hauptlehrer Sagemüller. Mit dem Auftrag bekamen die Chronisten die ersten Anweisungen, wie sie die Ortschronik zu führen hatten. Dazu heißt es gleich am Anfang der Altschermbecker Chronik:

„Unter Ortschronik soll im Nachfolgenden nicht eine geschichtliche Darstellung der Vergangenheit eines Ortes verstanden werden, sondern eine fortlaufende chronikalische  Aufzeichnung dessen, was in der Gegenwart geschieht. Es ist das Bestreben des Heimatbundes, an allen Orten in Westfalen die Führung solcher Ortschroniken zu veranlassen, … nicht, um aus ihr die weltgeschichtlichen Ereignisse jener Zeit kennen zu lernen, sondern [das Wissen], was sich an bemerkenswerten Dingen in jenem kleinen Lebenskreis abgespielt hat … genau und wahrheitsgetreu.“ 

Der Chronist Franz Grunewald war damals 48 Jahre alt, Bauernsohn aus Erle und seit 16 Jahren in Altschermbeck-Üfte als Lehrer tätig. Infolge seiner ausgedehnten Verwandtschaft war er seit frühester Jugend mit Land und Leuten verwachsen. Er führte die Chronik von 1936 bis 1958. Im Folgenden ist die Chronik auf die Kriegsjahre von 1939 bis 1945 beschränkt und wegen der Länge mancher Texte gekürzt wiedergegeben. Wenn von Dorf die Rede ist, ist Altschermbeck gemeint; entlegene Bauerschaften, die aber zu Altschermbeck gehören, werden als solche genannt.

Einquartierungen von Soldaten einer SS-Verfügungstruppe bei Brüggemann 1939/40

Kriegsbeginn 1939 – Soldaten und Pferde

Am 24. August gab es an verschiedenen Stellen Einquartierungen, so z. B. bei Wilkskamp 15 Mann und ein Offizier, bei Schulte-Bocholt ebenso, alles Fliegerabwehr, wenn der Krieg, der sozusa­gen in der Luft liegt, ausbrechen sollte gegen Polen, Frankreich und England. Verschiedene junge Leute sind bereits zur Westgrenze eingezogen worden. Nach dem 1. September, dem Tage des Kriegsanfangs mit Polen, kamen ungeheure Truppen­transporte durch Schermbeck Richtung Wesel. 3 Tage und Nächte und noch länger ging es ununterbrochen hintereinander. Nur die Infanterie wurde mit der Eisenbahn befördert, 35 Züge in einer Nacht.

Die Schulen sind vom 1. bis 18. September geschlossen, überall müssen genügend Luftschutzräume sein für die Schulkinder oder eventuell eigens für diesen Zweck ausgehobene Gräben. Die Bewohner gewöhnen sich schnell daran, die Häuser zu verdunkeln – wegen Fliegergefahr – und die Fahrzeuge abzublenden. Die Einführung der Lebensmittelkarten geht ziemlich reibungslos vor sich, jeder erkennt die Notwendigkeit an. Für Textilwaren werden auch Bezugsscheine ausgegeben. Am 23. September hatte Schermbeck ein Kriegserlebnis. Auf einen Flieger wurden verschiedene scharfe Schüsse abgegeben, ohne dass er getroffen wurde. Einige Sprengstücke der abgeschossenen Granaten wurden in Üfte gefunden, ein leichtes Stück fiel auf das Dach der Schule, ohne Schaden anzurichten. – Seit Anfang November ist Altschermbeck gleichsam auch Garnison. Es folgt eine Einquartierung nach der anderen. Sämtliche Häuser sind mit mehr oder weniger Soldaten belegt, teilweise bis zu 20 Mann und 10 bis 20 Pferden. Im Dorf und auch in Üfte ist z. Zt. nur noch ein Schulraum frei für den Unterricht. Aus Mitteldeutschland kommen die Soldaten, aus Pommern, SS-Verfügungstruppe aus Österreich und dem Sudetenland etc. Die Wehrmacht beherrscht ganz die Lage, den Verkehr, die Wirtschaften, die Bäckereien und sonstige Läden. Die Bewohner erhalten für jeden Soldaten ein Quartiergeld von 40 Pfennige und für jedes Pferd 7 bis 10 Pfennige. Dabei braucht keine Verpflegung geliefert zu werden. Der Schulplatz in Üfte war sechs Wochen der Standplatz für eine Batterie 10,5er Geschütze. Schreibstuben waren eingerichtet bei Düssel auf dem Freuden­berg, beim Bauern Heinrich Hohen-Hinnebusch in Rüste, beim Wirt Menting im Dorf, beim Wirt Joh. Triptrap in Üfte und in der alten Schule in Üfte von Anfang an.

1940 – Ein grandioses Schauspiel

Amerikanische Bomber

Dieses Jahr begann mit scharfem Winterwetter, das ununterbrochen bis Ende Februar angehalten hat. Ständig lag eine dicke Schneedecke, und bei fortwährendem Ostwind gab es Temperaturen von 15 bis 25° unter Null. Es erinnert sich wohl kein Mensch hier, je einen solchen Winter mitgemacht zu haben. – Die pommersche Artillerie, meist aus Labes und Umgebung, war in Üfte bis zum 29. Dezember 39, kam dann nach Praest bei Emmerich. Anschließend kam die SS-Verfügungstruppe aus Österreich, sie war hier bis zum 9. Februar. Sie wurde dann bis nach Groß Reken weiterbefördert, sie benutzte meist Motorräder mit Beiwagen. Trotz strengsten Dienstes wa­ren sie immer guten Mutes und begeistert für die hohe und heilige Sache des Vaterlandes. Kurz nach Fortzug der SS kamen Verpflegungstruppen. Sie hatten ihre Ausgabe bei Schulte-Bocholt: Außerdem wurden 30 Mann auf die umliegenden Häuser verteilt. Am 7.  März kamen neue Verpflegungstruppen, 60 Mann, davon wurden neun in der Schule unterge­bracht. Das frühere Schreibzimmer wurde jetzt ein Raum für Marketenderwaren, für Wein, Likör etc. Die Schreibstube ist jetzt bei Paus, Erler Straße, in Schermbeck liegt viel Infanterie, bis 600 Mann. Am 10. Mai, kurz vor Beginn der großen Offensive in Holland, Belgien und Frankreich ist sämtliches Militär aus Altschermbeck wieder abgezogen mit Ausnahmen der Flaksoldaten im Dorf und in Üfte.

Zu Beginn der Offensive gegen die Westmächte flogen in der Nacht vom 9. auf 10. Mai große Mengen der deutschen Luftstreitkräfte über die hiesige Gegend, so dass alle Leute aus dem Schlaf erwachten. Manchmal waren 100 und mehr Flugzeuge auf einmal hier im Luftgebiet. Schätzungsweise sind 2.000 bis 3.000 Flugzeuge hierher gekommen. Englische Flugzeuge besuchen öfters die hiesige Gegend, aber immer nur des Nachts, dann blitzen an allen Enden die Scheinwerfer auf und bieten ein grandioses Schauspiel. Die Flak schießt dazwischen, um die Feinde abzuwehren, es gibt viel Krach, und die Leute werden oft im Schlaf gestört. – Das Wetter war im Mai 1940 warm und trocken bis zum 12. Juni. Die Getreideernte wird anschei­nend mittelmäßig, die Obsternte nicht besonders gut, Beerenobst unterschiedlich, Pfirsiche gut.

Bomben fielen in Felder, Höfe, Wiesen und Wälder

Seit Anfang Juli werden die nächtlichen Besuche durch die englischen Flugzeuge immer unangenehmer. Fast jede Nacht wird in der Zeit von 24 bis 1 Uhr Fliegeralarm gegeben, durch Fabriksirenen oder eine besondere Vorrichtung. Zuerst 2 Minuten lang ein auf- und ab­schwellender Ton, später 1 Minute. Entwarnungssignal ist ein gleich bleibender Ton. Um 3 Uhr ist meistens der Spuk vorbei. Viele Bomben sind geworfen worden im Nachbarorte Heiden, ein Bauernhaus in Raesfeld ist vernichtet worden, ein Mann getötet. Im Dämmerwald sind 5 Bom­bentrichter zu sehen, große Löcher. Sie befinden sich etwa 5 km von der Üfter Schule entfernt. Schaden wurde nicht angerichtet. In der Nacht vom 10. zum 11. August etwa um 1 Uhr wurde Üfte besonders heimgesucht. Vielleicht wollten die Engländer die Scheinwerferanlage treffen. Eine Bombe fiel in Wilkskamps Haferfeld, 300 m von Dickhoff entfernt, eine zweite in Öings Feld, ein Splitter davon zerstörte einen Teil des Hausdaches und durchschlug die Innenwände, 8 Fensterscheiben gingen in Trümmer, 6 Telefondrähte wurden zerrissen und 1 Draht der elektri­schen Leitung. Die dritte Bombe fiel auf Möllmanns Land, Paus gegenüber, sie richtete keinen besonderen Schaden an, ebenfalls nicht die vierte Bombe auf dem Hofe von Möllmann, 20 m von der Scheune. Die 5. fiel in Rorings Weide, die 6. zwischen Pliete und Brüninghoff.

Walter Brüggemann starb als erster Altschermbecker den „Heldentod“

Walter Brüggemann war der erste Altschermbecker Kriegstote

Brandbomben sind eine ganze Menge geworfen worden, auf die Straße, auf die Wiesen und Felder 200 m von der Schule, eine ist durch das Dach des Anbaus von Paus geschlagen, hat das Schwein im Stall verletzt, der Brand selbst konnte leicht gelöscht werden. Am 9. Juni 1940 ist als erster von Altschermbeck Walter Brüggemann den Helden­tod gestorben in Frankreich, beim Übergang über den Aisne – Ardennen – Kanal. Der zweite Kriegstote ist Alfred Huhn aus Rüste, Angehöriger der Marine. – Eine Bombe fiel in der Nacht vom 29. zum 30. August in der Nähe des Forsthauses Üfte, ohne Schaden anzurichten. Seit dem 25. August hat Altschermbeck-Dorf wieder Einquartierung, alles Flak­soldaten. Auch der Schulplatz ist ganz belegt mit Zelten, Baracken usw. Auf dem Feuerwehr­turm in unmittelbarer Nähe der Schule ist seit längerer Zeit eine Flakbeobachtungsstation ein­gerichtet. – Die Hauptferien dauerten in diesem Jahr vom 1. Juli bis 17. September.

Englische Leuchtkugeln sah man an allen Ecken und Enden

Nachdem wir längere Zeit verhältnismäßig wenig von den englischen Fliegern gestört worden waren, wurde es am 20. Oktober recht schlimm, immerdurch surrten die Flugzeuge über unser Gebiet, die Scheinwerfer traten in regste Tätigkeit und auch die Fliegerabwehr. Englische Leuchtkugeln sah man an allen Ecken und Enden, die die Nacht recht hell erleuchteten. Die ganze Geschichte dauerte von 21.45 Uhr bis 0.30 Uhr vom 2. zum 3. Oktober. Bomben wurden hier nicht abgeworfen. Am 9. Oktober fiel ein Blindgänger der Flak auf den Hofraum bei Spiekermann in Rüste, in der Nacht vom 12. zum 13. Oktober sind 2 Blindgänger auf Baumeisters Wiese bei der Wiedau gefallen, in unmittelbarer Nähe der Scheinwerferstellung. – Die Schulen haben vorläufig morgens um 10 Uhr begonnen, vom 7. Oktober an wiederum 8 Uhr, nur bei nächtlichem Fliegeralarm um 10 Uhr, und das ist vorläufig noch die Regel. Ab 1. November 40 beginnen die Schulen um 9 Uhr, ab 1. Dezember um 9.30 Uhr.

Am 11. November 40 ist die gesamte Flak von Altschermbeck abgerückt, auch der Scheinwerfer von Üfte. Das ganze Dorf hat seit September wieder Einquartierung gehabt, 2 bis 3 Flaksoldaten je Haus. – Zu Weihnachten wurde von der NSV (Nationalsozialistische Volkswohlfahrt) 107 Pakete an die Altschermbecker Soldaten einschl. Emmelkamp ins Feld geschickt. – Schwere Sturmschäden gab es am 14. November. Ganze Wälder wurden verwüstet, Dächer ab­gedeckt.

1941 – Spreng- und Brandbomben

Altschermbecker und Schermbecker Jungvolk (DJ) vor dem Altschermbecker Ehrenmal (um 1935)

Englische Flugzeuge haben uns in den ersten Januartagen des neuen Jahres mächtig gestört. Den meisten Krach hat natürlich die Flak gemacht. Bomben sind hier nicht abgeworfen worden. Am 14. und 15. Februar war wiederum so ein Getöse. 20 Leuchtkugeln waren in der Umgegend auf einmal zu sehen. 2 Leuchtkugeln, die sich nicht entladen hatten, wurden in Rüste aufgefunden, aber leider ohne den großen seidenen Fallschirm, der den Leuchtkörper 10 bis 15 Minuten in der Luft hält. Der Fallschirm sitzt in einem Rohr, Art Ofenrohr von 80 bis 90 cm Länge.

SS aus Brünen auf der Schermbecker Mittelstraße

Am 25. Februar von 21 bis 23 Uhr kreisten über Altschermbeck englische Flugzeuge. Keine Bomben­abwürfe, in der Nacht zum 1. und 2. März waren längere Zeit Flakschüsse zu hören, hier gab es aber keine Angriffe. Um 23 Uhr am 3. März ging ein Erdkrepierer der Flak im Hof bei Groß-Ruiken in Rüste nieder, zerfetzte einen Kirschbaum ganz und zertrümmerte eine Anzahl Fenster­scheiben. Bis zum Mai haben wir dann in Altschermbeck verhältnismäßig Ruhe gehabt vor feind­lichen Luftangriffen, bloß einige Bomben fielen in der Heide auf die Scheinanlage, im Mai selbst wurde es immer schlimmer. Einige Blindgänger sind in Rüste und Emmelkamp niederge­gangen. Am 16. zum 17. Juni sind 7 schwere Bomben in Overbeck geworfen worden, etwa 2 km von der Üfte-Schule, 500 m nördlich von Fennhoff-Prost. Krater von 8 bis 10 m Durchmesser und 5 m Tiefe auf Wiese und Ackerland, sonst keinen Schaden angerichtet. – Der Winter 1941 war wieder scharf, längere Zeit im Januar und Februar 10 bis 15° Kälte, auch Schnee­fall. Für das Korn und Obst war das Frühjahr auch nicht günstig, der Erfolg wird nur gering sein.

Am 25. Juni 1941 waren aus Altschermbeck 196 Soldaten im Felde, in der Nacht vom 30. Juni zum 1. Juli sind vier Bomben in der Nähe von Ufermann gefallen, eine 30 m vom Haus, viele Beschädigungen an Fenstern, Türen, Dächern und Mauern. Dazu fielen Brandbomben in rauen Mengen, u. a. auch eine Anzahl in der Nähe von Schulte-Bocholt, auf dem Hof und in der Wiese, es entstand aber kein Brand! Vom 3. zum 4. Juli wieder Bombenabwürfe, diesmal in Buschhausen. Hüttemann muss ausziehen wegen eines Blindgängers, wenn der explodiert, geht das ganze Haus ineinander, ebenfalls Bienbeck. Ein Bahngleis ist gesperrt. Bei Wibringhaus fielen Bomben, ohne Schaden anzurichten. Bei Hirdes fand man eine Menge Flugblätter in hol­ländischer Sprache, verschiedene englische Flugzeuge waren im Scheinwerferlicht zu sehen, ein Abschuss wurde nicht beobachtet, in der Nacht vom 11. auf 12. Juli wurde von der Flak ein engli­sches Flugzeug abgeschossen. Es stürzte in der Nähe von der Union [Vereinigte Dachziegel­werke Schermbeck] ab, es verbrannte mit sämtlichen Insassen. Nur einzelne Körperteile wie Arme und Füße sind aufgefunden worden. Am nächsten Tag: Abwurf von 6 schweren Bomben in Rüste zwischen Halfmann und der Holsterhausener Straße, in der Wiese große Löcher, aber sonst keinerlei Schaden als viele zertrümmerte Fensterscheiben. Eine Bombe fiel in unmittelbarer Nähe von Heinrich Deiters. Ein Blindgänger platzte nach genau 24 Stunden. Wegen eines anderen Blindgängers musste die Straße nach Holsterhausen längere Zeit gesperrt werden. An verschiedenen Tagen der Woche war Fliegeralarm. Der Engländer will anscheinend die Russen entlasten.

Neue Scheinwerferstellungen wurden hier am Ort bei Josef Deiters seit dem 25. August 41 angelegt, aber nicht fertig bezogen, später weiter in der Heide an der Straße Erle-Dorsten ausgebaut, und bei Johann Bartelt in Rüste, 1 km vom Ort entfernt. – In der Nacht vom 28. zum 29. August sind 8 Bomben gefallen, und zwar in Overbeck bei Prost und Triptrap. Viele Fensterscheiben gingen entzwei, eine Kuh von Möllmann wurde getötet. In derselben Nacht ist ein englisches Flugzeug in Schermbeck bei Jansen in unmittelbarer Nähe der Lippe abgestürzt infolge Flaktreffer. Sieben englische Flieger wurden geborgen.

Bis Dorsten gingen Fensterscheiben zu Bruch

Die Spinnstoffsammlung hatte in Altschermbeck ein gutes Ergebnis: Ca. 1.000 kg. – Eine Scheinanlage ist in der Heide in der Nähe des Forsthauses in Üfte errichtet worden, um die feindlichen Flieger zu täuschen. Am Abend des 7. November ist in der Nähe des Bahnhofs eine leichte Luftmine, ca. 250 kg, gefallen und hat viel Schaden angerichtet, in Dorsten sind noch einige große Schaufensterscheiben zertrümmert worden durch den gewaltigen Luftdruck. – Die Flaschensammlung: Ergebnis 1.500 Stück.

1942 – Lebensmittel nur noch auf Karten

Hinweis auf den Umgang mit Kleiderkarten

Der Winter 1942 ist sofort mit aller Gewalt eingebrochen. Wir haben einen Winter erlebt, wie er seit 140 Jahren nicht mehr geherrscht hat, unheimliche Schneestürme und Frostgrade bis über 30° Celsius unter Null. Auf eine solche Naturkatastrophe waren die Heimat und die Front nicht vorbereitet, konnten sie nicht vorbereitet sein. Trotzdem hat die Front allen wütenden Angrif­fen der Russen standgehalten. Die Russen glauben an das Jahr 1812 (Untergang Napoleons beim Russlandfeldzug), sie haben sich getäuscht.

Überall hat eine Pelz- und Wollsammlung stattgefunden, sie hat auch in Altschermbeck/ Schermbeck großartige Ergebnisse gezeitigt. Während des Winters, während der heftigsten Stürme kamen zu allem Überfluss vereinzelt die englischen Flieger, haben hier aber keinen Scha­den angerichtet. – Am 5. Juni ist bei einem Angriff der Engländer während der Nachtzeit das Haus des Maurermeisters Johann Reinken, Üfte 50, in Brand aufgegangen. Das Vieh und das mei­ste Inventar ist gerettet worden. Die Familie fand vorläufig Unterkunft in dem neuen Schul­gebäude. Das Haus der Reinkens mit einer neu angefügten Stallung war Anfang Dezember 1942 wieder bezugsfertig. – Am 3. März 1942 haben morgens von 10 bis 11 Uhr die Kirchenglocken von St. Ludgerus zum letzten Mal feierlich zusammen geläutet, dann wurden die zwei alten bronzene Glocken abgenommen und abgeliefert. – Bomben fielen in der Nacht vom 9. zum 10. März in unmittelbarer Nähe von Schulte-Kellinghaus in Emmelkamp aufs freie Feld, sechs schwere, verursachten aber nur geringen Schaden.

Das Eiserne Kreuz 2 haben erhalten: Heinrich Rittmann, Üfte 38, Heinrich Kalke, Üfte 36, Heinrich Linneweber, Üfte 41, Johannes Triptrap, Üfte. – Förster Düssel tot: Am 2. Mai 1942 verstarb plötzlich in Holsterhausen der Ortsbürgermeister [und NSDAP-Ortsgruppenleiter] von Altschermbeck, Albert Düssel. Seit 1925 war er als Revierförster wieder in der Heimat tätig, seit 1933 auch als Bürgermeister von Altschermbeck. Als sein Stellvertreter versah seit der Zeit die Geschäfte der Anstreichermeister Franz Triptrap, Erler Straße, im Dezember wurde der Zimmermeister Johann Bartelt in Rüste zum Bürgermei­ster ernannt. Die Üfter Schule war in den Hauptferien sechs Wochen lang mit Hitlerjungen belegt zwecks Erntehilfe. In den er­sten drei Wochen waren es Schüler von der Oberschule in Marl, die zweiten drei Wochen werktätige Jungen aus Recklinghausen, 15 bis 16 Jahre alt, der Führer 17 Jahre alt. Im Allgemeinen waren die Bauern mit ihren Leistungen zufrieden.

Die Reichskarte für Urlauber war überall im Reich einzulösen.

Lebensmittel gibt es seit Anfang des Krieges auf Karten, und zwar für die­jenigen, die keine Selbstversorger sind, also für alle, die keine Bauern/Landwirte sind. Es gibt Brotkarten, Nährmittelkarten, Zuckerkarten, Fleisch- und Fettkarten, Milch-, Obst-, Eier-, Kleider- und Kohlenkarten, dazu Raucherkarten für Männer und Frauen. Wie viel gibt es für einen Normalverbraucher? Brot täglich 350 g, Fleisch wöchentlich 350-400 g, Butter monatlich 500 g, Fett monatlich 300 g, Zucker monatl. 900 g, Nährmittel wie Grießmehl, Haferflocken, Pudding­pulver, Marmelade monatlich etwa je 500 g. Auf Seifenkarte gibt es monatlich 1 Stück Waschseife, 250 g Seifenpulver, dreimal im Jahre für Herren ein Stück Rasierseife. Außerdem gibt es dann und wann Sonderzuteilungen z. B. für Weihnachten 0,71 Branntwein für Erwachsene über 18 Jahre, 50 g Kaffeebohnen, je Person 125 g Hülsenfrüchte, 500 g Weizenmehl, für Kinder 250 g Süßigkeiten, für andere 125 g und je 125 g Butter. Für luftgefährdete Gebiete wie hier in Altschermbeck gab es noch eine Sonderzulage: 200 g Fleisch monatlich.

1943 – Überall Feuersbrünste zu sehen

Ludwig Mürmann, Sohn des Hauptlehrers Hermann M. in Altschermbeck, wurde vom Feldwebel zum Leutnant befördert, nachdem er schon vorher das E. K. 2 und 1 erhalten hatte. – Großangriffe am 5. und 12. März auf Essen und Bottrop. Die feindlichen Bomber flogen hier herüber, ohne Bomben abzuwerfen. Die Feuersbrünste der Industriestädte waren hier stun­denlang zu sehen. Rüste hat am Abend des 26. 3. 43 durch Spreng- und Brandbomben schwer gelitten, folgende Gebäude sind niedergebrannt: Bauer Franz Bartelt (Wohnhaus, Speicher, Schuppen), Bauer Scholthoff/Honvehlmann (Scheune mit Stallung), Bauer Timmermann (Hinterhaus mit Stallung), Linneweber (Hinterhaus mit Stallung), Kresken (Leichter Schaden, Frohnen Schuppen). Außerdem ist viel Schaden angerichtet in Rüste und Buschhausen. – Am 3. April abends wiederum Fliegerangriff. Zwei Sprengbomben fielen bei Luchmann und Bienbeck in Buschhausen. Leider ist Bernhard Luchmann dabei schwer verletzt worden, so dass er auf dem Wege zum Krankenhaus verschied. Drei Kinder von Herrn Luchmann sind leichter verletzt, das Haus fast vollständig zerstört. Ein Sohn des Bienbeck, Soldat augenblicklich, wurde auch am Kopf und Arm verletzt, das Haus hat schwere Dachschäden. – Am 8. April 1943 fielen schwere Bomben in der Nähe von Wegmann, Üfte, sie verursachten nur Dachschäden, in derselben Gegend fielen große Mengen Stab- und Phosphorbomben, ohne Schaden anzurichten. Am 26. zum 27. April fiel eine schwere Bombe bei Hansen am Bösenberge. Das Haus wurde ganz zerstört, in Schermbeck und Altschermbeck fast sämtliche Schaufensterscheiben vernichtet.

Sieben Soldaten sprangen mit dem Fallschirm ab

Auch die Kirche in Altschermbeck hatte an den oberen, halbkreisförmigen Fenstern Schäden zu verzeichnen. Am 1. Mai morgens 1 Uhr wurden Wellmann und Deiters in Üfte bombardiert  50 m vom Haus fiel eine schwere Bombe mit dreifachem Zünder, sie hatte eine starke Flachwirkung. Schwere Schäden entstanden an den Häusern, sie sind aber wieder bewohnbar. Am Abend war mit nachbarlicher Hilfe das Dach wieder auf den Wohnhäusern. Die Kinder der Volksschule ha­ben die Teile eines Buschenhaufens aus dem Haferfelde von Wellmann aufgesucht und an­schließend den grauslich verwüsteten Obsthof von Deiters gesäubert. Vom 27. zum 28. Mai fielen 9 Bomben in der Nähe von Heinrich Hohenhinnebusch – viel Scha­den. In Üfte/Overbeck bei Nelskamp fielen eine schwere Bombe und viele Brandbomben. Klevermanns Scheune brannte ab, Sachschäden entstanden in fast ganz Üfte, in derselben Nacht ist die Toch­ter von Klevermanns, Ordenschwester im Krankenhaus zu Gladbeck, beim Bombenangriff töd­lich verunglückt. – Im Monat September haben mehrere Familien die Nachricht be­kommen, dass ihr Sohn bei den Kämpfen in Afrika (März/April) in Gefangenschaft geraten sind: Paus, Albert, Kalde, Heinz, Hennewig, Josef.

Das Hinterhaus des Eisenbahners Heinrich Hüttemann in Rüste ist durch eine einzelne Brandbombe vollständig ausgebrannt, so dass es eigentlich gar nicht aufgefallen ist. – Am 10. Oktober 1943, an einem Samstagnachmittag, überflogen starke USA-Flieger­verbände die hiesige Gegend. 7 Fallschirmspringer sind in der Nähe gelandet, in der Luft fanden heftige Kämpfe statt, die nur von ganz scharfen Augen zu erkennen waren, in ca. 10.000 m Höhe. Der Angriff galt Münster, in Rüste wurden 12 schwere Bomben abgeworfen, ein Notwurf, bei Kresken z. B. zwei in unmittelbarer Nähe des Hauses, etwa 10 bis 20 m entfernt, es entstand Schaden an den Häusern aber sonst keine Verluste.

1944 – Mehrere Flugzeugabstürze

Todesanzeige des Bürgermeisters und NSDAP-Orstgruppenleiters Albert Düssel

Die Bevölkerung wurde durch Störflugzeuge immer mehr belästigt, sie regt sich aber nicht mehr so über einzelne Flieger auf, ebenfalls nicht mehr über die schweren Verbände der feindlichen Bomber, die in großer Höhe über das hiesige Gebiet fliegen. Am 29. Juni, dem Feiertage Peter und Paul, ist durch Blitzschläge das Haus des Bauern Große Gehling abgebrannt. Ein Pferd ist dabei verbrannt, das Inventar wurde gerettet. Eine Holzbaracke ist seit der Zeit seine Notwohnung, sie ist ziemlich geräumig. Ebenfalls abgebrannt ist im Oktober 44 das Hinterhaus des Bauern Franz Wenzelmann in Üfte. Vielleicht ist der Brand durch eine feindliche Stabbrandbombe verursacht worden.

Überall ist wieder starke Einquartierung. Von der Front her ist seit August 1944 die Artillerie manchmal recht scharf zu hören. Viele auswärtige Kinder, die in Üfte wohnen, besuchen die hiesigen Schulen aus Furcht vor dem Bombenterror. Im Oktober 1944 fielen etwa 12 schwere Bomben in Overbeck. Die Gebäude des Bauern Grote Schepers wurden total vernichtet, der Bauer selbst, Johann Grote Schepers und ein Russe getötet. Letzterer wurde erst nach acht Tagen gefunden. Die Frau und die Tochter sind unter den Trümmern hervorgezogen und gerettet worden, z. T. langes Krankenlager. Temmler und Klevermann wurden schwer beschädigt, ebenfalls Grömping. Am selben Abend um 8 Uhr fielen 10 schwere Bomben in Üfte nahe bei B. Öing und richteten viel Schaden an. Ein viermotoriger Bomber kam in der Nähe von Schulte-Huxel herunter, ein englischer Flieger von der Besatzung kam, von Kalde geführt, zur Schule in Üfte und wurde von hier aus von der Hilfspolizei mit dem Motorrad weiter­befördert. Durch feindliche Jäger wurde der Sohn des Generals Student abgeschossen, der nach einigen Stun­den seinen Verletzungen erlegen ist, die Maschine ging hinter Möllmann zu Bruch. Am 11. Dezember griffen feind­liche Tiefflieger die Ziegelei Nelskamp an. Ein Schornstein stürzte um und begrub den Arbeiter Heinrich Ähling aus Üfte unter sich, der am 17. Dezember im Krankenhaus verschied.

Im Herbst brannte das Wohnhaus des Bauern Halfmann in Rüste ab. Ursache unbekannt. In Rüste und Buschhausen hat der Engländer eine ganze Reihe Bomben abgeworfen, vor allem in der Nähe der Bahnstrecke. Das Wohnhaus des Bauern Peter Niermann wurde durch Volltreffer vernichtet, besonders das Hinterhaus. Menschen kamen nicht zu Schaden. Zwei Jabo-Tiefflieger wurden hier abgeschossen, ein Flugzeug ging zu Bruch in der Wiese bei Röken, an der Lippe, eins bei Wellmann in Rüste.

Lehrer Franz Grunewald musste am Westwall in Nimwegen schanzen

Links: Der Chronist Franz Grunewald mit Familie und Hausmädchen; rechts: Dorfpolizist Baumeister mit Familie.

An den Straßen begannen überall die Schanzarbeiten: Einmannlöcher wurden ausgehoben. 50 mal 80 mal 130 und Splittergräben, winkelig, zum Schutz gegen Tiefflieger, alle 50 m ein Graben, alle 10 m ein Loch. Der Schulunterricht ging bis Anfang Oktober ziemlich ungestört weiter, danach war es aus: Schlie­ßung der Schulen, schichtweise Unterricht vor- oder nachmittags in Befehlsräumen, privat oder sonst wie. Lehrer Grunewald wurde zum Bau des Westwalls nach Nimwegen abkommandiert, 14 Tage, dann landeten dort die Feinde. Die Klassenräume wurden belegt durch 16- bis 18jährige Mäd­chen von auswärts, durch Holländer, durch deutsche Bergleute, da die Zechen keinen Absatz mehr haben wegen Transportschwierigkeiten, auch durch Russen. NSV-Lehrer Wichelhaus an der Spitze muss vielfach für deren Verpflegung aus der Gemein­de sorgen in Verbindung mit dem Ortsbauernführer Hrch. Brüggemann aus Üfte.

In der Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln unterscheidet man Selbstversorger, das sind alle Bauern, Teilselbstversorger, das sind diejenigen, die nur ein paar Grundstücke ihr Eigen nennen, und die Normalverbraucher. Die Rationen haben sich so ziemlich auf gleicher Höhe gehalten, auf der Raucherkarte gibt es natürlich weniger als früher, weil frühere Verbündete, z. B. Bulgarien, ausgefallen sind.

Die Stimmung der Leute hier in der Nähe der Front ist bedrückt, ausgesprochen miesig, nur wenige, die noch Hoffnung auf einen endgültigen Sieg haben, obschon alle die Notwendigkeit, siegen zu müssen, einsehen. Die Verluste an Gefallenen und Vermissten sind in diesem Jahr beträchtlich. Auch der Chronist hat Sorgen um seinen Sohn Hubert an der Ostfront. – Die Ernte 1944 ist ohne besondere Störung verlaufen, sie war recht unterschiedlich. Einige Bau­ern, vor allem diejenigen, die sich genügend Handelsdünger besorgen konnten, hatten eine befriedigende bis gute Ernte, so in Roggen und Kartoffeln, andere dagegen beträchtlich unter dem Durchschnitt.

1945 – Tiefflieger schossen auf alles

Wir hatten einen ganz normalen Winter: Vier Wochen im Januar/Februar lag Schnee, teilweise tief, dazu mittlere bis leichte Fröste. – Trotzdem ging der Bombenterror weiter, und alle hier dachten: „Wenn wir nur nicht in dieser Zeit ausgebombt werden!“ Es ist gut gegangen. Anfang März fielen wieder einige Bomben in Rüste bei Bartelt. Es entstanden schwere Sachschäden bei den Bauern dort, die ihr Haus kaum wieder fertig hatten. Die Wut auf die feindlichen Tiefflieger ist ungeheuer groß. Mehrere Autos auf den Straßen wurden vernichtet, Menschen, meist auswärtige, getötet oder verwundet.

Amerikanische Bomber

Am Westfalenwall wird mit Nachdruck gearbeitet: Große Stellungsbauten auf den Feldern zwi­schen Altschermbeck und Erle, fast alle westlich der Landstraße. Die Leute bauen für sich selbst Bunker, um gegen Artilleriebeschuss gesichert zu sein. Das Dröhnen von der Front her hört man immer deutlicher, besonders seitdem sie bis an Wesel herangerückt ist. Die Furcht unter der Zivilbevölkerung wird immer größer. Das Tagesgespräch behandelt in immer neuen Variationen die Frage: „Müssen wir hier räumen? Werden wir gezwungen, hier auszuziehen? Wohin wird dann der Treck gehen?“ Mancherlei Vorbereitungen für diesen Fall wurden bereits getroffen: Planwagen wurden hergestellt, Kisten und Koffer angefertigt, der Handwagen in Ordnung gebracht. Manches wird vergraben: Wertgegenstände, Kleidung, Porzellan, Esswaren usw. Wie bedrückt die Stimmung war, zeigt der Brief, den ein Bauer aus Üfte an seinen Bruder im Lazarett schrieb:

Üfte, den 8. März 1945. Mein lieber Bruder! Am frühen Morgen des 8. März sind meine Gedanken bei Dir und ich habe das Verlangen, mich mit Dir zu unterhalten. Ich habe die Nacht verhältnisgemäß gut geschlafen. Nur vereinzelte Nachtjäger störten etwas, sonst nichts. Seit 4.30 Uhr hört man ununterbrochen das Trommeln der Front in genau westli­cher Richtung. Wie lang noch werden wir zuhause sein? Man muss sich bemühen, das Denken auszu­schalten und auf Gott vertrauen. Ich denke, der alte Herrgott lebt noch, und wenn er will, kann er uns erhalten samt Haus und Hof. Auch hoffe ich, dass wir gute Fürbitter oben haben, die das Rechte für uns erflehen. So gut es ging haben wir uns in allem vorbereitet, damit nicht alles ein Raub der Flammen werden oder sonst zu leicht gefunden werden kann. Nun muss in Gottes Namen kommen was will! Wenn eben möglich bleiben wir hier, obwohl die Pläne neuerdings festliegen, Frauen und Kinder in den Kreis Lüdinghausen zu bringen. Wir Männer müssen ja hier bleiben und im Volkssturm die Heimat verteidigen! Ja, es ist nicht immer leicht, wenn man unsere schöne Heimat vor sich sieht und dann denken muss, wie lange wird man das friedliche Bild noch in sich aufnehmen können? Wie lange wird unser alter Bauernhof mit seinen Bauten überhaupt noch existieren? Die besten Jahre seines Lebens hat man geschafft für seine Erhaltung, und vielleicht in ein paar Sekunden ist alles gewesen. Man darf nicht denken! Der Herrgott mag uns beschützen und uns Kraft geben, das Kommende zu ertragen.

Wie geht es Dir, und was macht Deine Verwundung? Ich sehne mich danach, Dich bald wieder zu sehen. Hoffentlich wird Dein Bein wieder gut. Wie lange es dauert, ist ja gleichgültig. Die Hauptsache ist, es wird wieder gut! Heinrich Schulte-Bocholt sitzt auch schwer drin. Er liegt jetzt bei den Ursulinen in Dorsten, hat außer seiner Thrombose auch noch Lungenentzündung. Hoffentlich hält er es durch. Dass Rudolf Grunewald, Heini Wipping und Heini Hilgenberg in amerikanische Gefangenschaft geraten sind, wird Dir ja wohl schon bekannt sein. Den Kindern geht es gut, sie machen uns viel Freude. Hoffentlich sehen wir uns alle gesund wieder! Herzliche Grüße Dein Bruder!

Sämtliche Schulen wurden am 1. Februar 1945 geschlossen. Die Schulräume, aber auch fast alle Privathäuser wurden mit Militär belegt. Nach Üfte kam die Vermittlungszentrale, die Schule in Altschermbeck wurde eine Zeit lang als Lazarett benutzt. Ganz Schermbeck und Altschermbeck war ein großes Heerlager. Von Anfang Februar an begann für die hiesige Gegend das eigentlich regelrechte Kriegsgeschehen, wir waren frontnahes Gebiet, eine ruhige Nacht gab es nicht mehr, und über Tag war die Hölle los. Es war beinahe nicht möglich, aus der Bauerschaft am Sonntag zur Kirche oder an einem anderen Tag zum Dorf zu kommen, um dort etwas zu erledi­gen oder Einkäufe zu machen. Gewaltige Erschütterungen waren hier zu spüren, als Wesel an mehreren Tagen nacheinander bombardiert wurde. Deutsche Flieger ließen sich nicht mehr sehen.

Briefe an die Front, die von der Lage in der Heimat berichten

Wie man in der Heimat die letzten Kriegsmonate erlebten, erfahren wir auch aus Briefen an die Soldaten. Hier einige Beispiele :

2. Febr. 1945: Heute kamen die ersten Grüße aus dem Lazarett… Wir wussten, dass Du im Westen mit dabei warst. … Mitte Januar erhielten wir Deine Briefe aus Dänemark, einer war noch vom 19. November 44. Laufend schreiben wir Dir alles Neue: Von Tieffliegern wurde bei Nelskamp ein Schornstein getroffen und umgeworfen, wobei Ählings Heini verunglückt ist. Auf den Straßen werden besonders die Militärwagen beschossen. Es gibt sehr oft Tote. Bei Peter Niermann ist eine Bombe aufs Hinterhaus gefallen. Sie wohnen beim Nachbarn und haben das Vieh bei Terhard stehen. Bei Wenzelmann und Halfmann brannte das Hinterhaus ab. Heute hatte Wesel einen Angriff. Es hat hier tüchtig gerappelt.

5. Februar 1945: In den letzten Tagen spricht alles wieder davon, dass wir flüchten müssen. … Hier wird jetzt tüchtig geschanzt. Gestern kamen 100 Holländer und morgen sollen 170 Frauen und Mädchen kommen. Letztere werden in Schulen untergebracht, 50 davon in Üfte. Man ist eifrig dabei, das Essen für die Leute zu besorgen. … un müssen auch Männer für den Volkssturm vorgeschlagen werden.

11. Februar 1945: Seit heute früh dröhnt es wieder den ganzen Tag von der Front her. Die Luft zittert vom Kanonendonner, unsere Fenster rappeln unentwegt. Was ist los? Sind es Luftlandetruppen, oder ist die Front näher gerückt? Was wird aus uns? Werden wir Flüchtlinge? Für alle Fälle haben wir einen Wagen fertig gemacht mit einem Verdeck darüber, damit wir nicht Wind und Wetter ausgesetzt sind. Wir werden ihn nur dann benutzen, wenn es unbedingt sein muss, wenn man uns mit der Todesstrafe droht. Und wenn es dann sein muss, gehen wir in Gottes Namen …. Vielleicht sehen wir uns alle erst im Jenseits wieder! Kommst Du zurück und findest uns nicht mehr unter den Lebenden, dann sorge Du für den Hof. … In Üfte haben wir viel Betrieb, wir Üfter können uns kaum noch wieder finden. Bei Bergers liegen 50, bei Hünings 100 Russen zum Schanzen, 400 sollen hier sein. Dazu kommen noch 50 Holländer und 70 Frauen und Mädchen. Außerdem noch die Soldaten. Die Tiefflieger sind recht rege, auch nachts. Viel Ruhe gönnt man uns nicht. Mit Wesel können wir schon über eine Woche nicht mehr telefonieren. Seit heute Mittag sind wir ohne Strom. Am Abend: Die Strom­leitung ist wieder geflickt.

Im Februar 1945: Jetzt können wir keine Päckchen mehr schicken, es ist alles gesperrt, nur Briefe bis zu 20 Gramm sind erlaubt. … Hier war es die letzten Tage und Nächte sehr unruhig. Die ganze Nacht schüttelte sich das Haus, es war unheimlich! … Es war wohl das Schießen von der Front bei Emmerich. … Dazu sind wir auch gezwungen, Vorbereitungen für die Flucht zu treffen. Wir sind vorgesehen für Hameln, der Weg soll über Hervest, Hullern, Lüdinghausen, Ascheberggehen. Gebe Gott, dass wir ihn nicht ziehen brauchen! … Bleibe gesund und tapfer, auch wenn uns die Front trennen sollte!

Im Februar 1945: Heute ging es wieder mächtig rund, Tiefflieger und Bomberverbände waren aktiv. In Wesel müssen viele Bomben gefallen sein, auch in Marienthal und Brünen. Nelskamp bekam wieder Besuch von den Jabos. Es fielen 14 Bomben in der Nähe, und mit Bordwaffen schoss man ins Kontor und Heinrichs Wohnung. Da alle im Bunker waren, blieb es bei Sachschäden. Das Rollen der Front lässt auch heute Abend nicht nach. … Wir bereiten uns auf ein Kellerleben vor, stellen passende Vorräte bereit.

7. März 1945:  Hier In der ganzen Gegend ist doller Betrieb, die Straßen sind voll gestopft, voll feld­grauer Gestalten und Fahrzeuge. Die Bauern sind nicht mehr Herr im eigenen Haus und Hof. … Wesel ist nicht mehr, Rees fast ebenso. 

13. März 1945: Es kommt kaum noch Post an. … Alles Arbeiten und Denken kreist um die kommenden Dinge. Am Familientisch sind wir insgesamt 19 Mann. Jetzt können wir das Telefon nur im Ortsverkehr benutzen. Noch haben wir elektrisches Licht und wir können mit der Maschine melken. Die Zeitung ist nicht mehr gekommen. Seit gestern hört man ständig die Artillerie schießen. Die Tiefflieger waren heute sehr aktiv. Unsere Männer bauen einen Erdbunker unter der Stockscheune.

21. März 1945: Heute am Frühlingsanfang ist das Wetter sehr schön, aber man kann sich nicht daran freuen. … Es donnert und dröhnt von allen Seiten.

Das war der letzte Brief, den die Feldpost beförderte. Wochenlange Ungewissheit folgte. Ähnlich waren Lage und Stimmung überall. Voller Angst und Spannung erwartete man den Einmarsch der Alliierten. Was würde das Ende noch bringen?

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Quelle: Schermbecker Hefte Bd. 3 – Veröffentlichung des Heimat- und Geschichtsvereins Schermbeck zur Pflege von Heimatgeschichte, Mundart und Brauchtum e. V.
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