Ferntrauung im Dorstener Rathaus: Maria Kosulski hatte neben sich einen Stahlhelm anstelle ihres Bräutigams. Bürgermeister Gronover überreichte ihr Hitlers „Mein Kampf“

Ferntrauung mit Stahlhelm aber ohne ohne Brätigam im Standesamt (Fremdfoto)

Von Wolf Stegemann

Im Zweiten Weltkrieg war die Ferntrauung die erleichterte Form der Eheschließung für den  bei der Wehrmacht oder im Ausland befindlichen Mann. Er brauchte nicht vor dem Standesamt zu erscheinen, es genügte das Vorliegen seiner Eheschließungserklärung. Allerdings erkennt die katholische Kirche die durch bis 1945 durch Ferntrauung geschlossenen Ehen nicht an.

Maria Kosulskis Ehemann Otto fiel eine Woche nach der Trauung

„Ich kann mich gut erinnern, wie ich damals ohne meinen Otto im Dorstener Rathaus am Westgraben getraut wurde, im Krieg, mein Otto war irgendwo an der Ostfront. Ich hatte einen Strauß Blumen in der einen und eine neue kleine Handtasche in der anderen Hand und zudem ein neues Kostüm an. Es war marineblau. Ich habe die Situation, die für mich auf der einen Seite sehr befremdlich war, weil mein Otto nicht dabei war, und auf der anderen Seite aber auch irgendwie beglückend, weil ich schwanger war und unser Hildchen dann nicht unehelich geboren wurde. Ich weiß nicht, ob ich über das alles glücklich war. Wenn ich es gewesen sein sollte, dauerte es nicht lange an. Denn ich habe meinen mir angetrauten Mann nie wieder gesehen, er seine Tochter auch nicht, denn da war er schon tot. Er fiel eine Woche nach unserer Kriegstrauung in Russland.“

Hitler-Bild an der Wand und „Mein Kampf“ auf dem Tisch

Maria Kosulski, aus einer Bergbaufamilie und aus der Kolonie in Hervest-Dorsten stammend, machte eine Pause. Dann erzählte sie weiter: „Ich erinnere mich noch genau an die Trauzeremonie im Rathaus am Westgraben. Es war ein Freitag, der 16. April 1943. Vor mir war eine andere Kriegstrauung und wir mussten warten. Ich war sehr aufgeregt. Mit mir waren meine Mutter und meine Schwiegermutter. Ihre Männer waren auch an der Front. Zu meiner Begleitung gehörten noch zwei Nachbarinnen als Trauzeuginnen und der 15-jährige Bruder meines Mannes sowie ein älterer Onkel mit seiner Frau, als wir das Trauzimmer betraten. Ich war schwanger, aber man sah das nicht. Meine Familie und die meines Mannes wollten unbedingt diese sonderbare Trauung jetzt, damit die Leute nicht über uns redeten, wenn die Schwangerschaft sichtbar wurde. Und unsere Hilde sollte auch mit dem Segen der Kirche geboren werden, obwohl mir dies selbst egal gewesen war!“ Noch während der Schwangerschaft habe sie von ihrem Pfarrer erfahren, dass er das Kind als unehelich betrachte. Er habe ihr in Bezug auf die Geburt und das Kind den seelsorgerlichen Beistand verweigert, erinnert sich Maria Kosulski. „Eine Sekretärin“, erzählte sie weiter, „wies uns vor einem langen Tisch Plätze an. Neben mir war der Stuhl frei. Auf ihm lagen ein Stahlhelm und Blumen. Der Tisch vor uns war schwarz lackiert. Nur eine Mappe, ein Blumengesteck und Hitlers „Mein Kampf“ lagen darauf. Wir sahen auf ein Hitler-Bild an der Wand hinter dem Tisch und warteten. Aber nicht lange. Bürgermeister Gronover im dunklen Zivilanzug setzte sich uns gegenüber an den Tisch, hinter ihm das Hitler-Bild in einem goldenen Rahmen.“

An Einzelheiten der Rede des Bürgermeisters in der Funktion als Standesbeamter konnte sie sich nicht gut erinnern. „Ach wissen Sie“, sagte die alte Dame, „jahrelang hörten wir immer die gleichen Reden von Endsieg, wie uns der Führer beschützt, uns Lebensraum gibt und alles zum guten Ende führt. Und wir haben das auch noch geglaubt.“ Nach der Trauung bekam sie Hitlers „Mein Kampf“ in die Hand gedrückt und mit einem allseitigen „Heil Hitler!“ war Maria Kosulski schließlich verheiratet. „Wir gingen bei Koop essen!“

Dann beugt sie sich nach vorne, als wollte sie flüstern: „Und alle haben das über den Führer geglaubt. Ich auch! Nach dem Krieg wollten die meisten Bergleute nicht mehr wahr haben, dass sie ihm nachgelaufen sind, aber die haben doch alle mitgemacht, auch ehemalige Kommunisten und SPD’ler. Die ganze Straße ohne Ausnahme! Noch heute klingt mir das „Heil Hitler!“ in den Ohren, einer lauter als der andere! Und das Horst-Wessel-Lied! Mein zweiter Mann, der Erich, war da auch dabei und hat mitgebrüllt!“ Sie heiratete ihren Nachbarn Erich 1949; er starb 1964 an Staublunge.

„Was hat der Hitler nur mit uns gemacht!“

Maria Kosulski wurde nachdenklich und dann wütend. „Was hat der Hitler nur mit uns gemacht! Er hat uns alles genommen!“ Dann denkt sie wieder an ihre Trauzeremonie 1943, an ihren Otto und dass sie ihn als seine Frau nie mehr gesehen hatte. Sie schüttelt den Kopf als könne sie heute das alles nicht begreifen, was Hitler „aus ihr gemacht“ hatte. Im Alter wird die Vergangenheit wieder präsent. Nachdem ihr Kriegsbräutigam eine Woche nach der Ferntrauung gefallen war, musste sie ihre Tochter alleine durchbringen. Ihre Mutter, mittlerweile ebenfalls Witwe geworden, half. 1949 heiratete sie ihren Erich und bekam noch zwei Jungen. Der eine lebt heute in Hamburg, der andere in Düsseldorf. – Dieses Gespräch wurde 2008 geführt. Maria Kosulski starb 2011 in einem Seniorenheim bei Düsseldorf.

Ferntrauung an der Front vor Bildern von Hitler und Göring (Fremdbild)

Ferntrauungen sollten Frauen von Fremdarbeitern fernhalten

Der Krieg trennte nachhaltig die Geschlechter. Daher machten sich die NS-Bevölkerungs- und Rassenpolitiker machten sich Sorgen des zurückgehenden Nachwuchses und der sinkenden Moral der Frauen, die sich trotz drastischer Strafandrohungen oft mit Fremdarbeitern oder Kriegsgefangenen einließen. Mit der Personenstandsverordnung vom 17. Oktober 1942 wurde daher für Soldaten die Möglichkeit der Ferntrauung geschaffen. Dazu war eine Erklärung des „Ehewillens“ vor dem Bataillonskommandeur erforderlich, die zur Ehe führte, wenn der Auserwählte daheim spätestens nach sechs Monaten vor dem Standesbeamten zugestimmt hatte. Ferntrauungen bauten die Zahl der ledigen Frauen ab und erlaubten ohne umständliches Warten die Zeugung von ehelichen Kindern während der kurzen Fronturlaube.

Reichsgesetzblatt vom 22. März 1943 über "Todenscheidung"

Die Trauung im heimatlichen Standesamt wurde durch zwei Trauzeugen bestätigt. Umgangssprachlich wurde diese Ferntrauung als „Stahlhelmtrauung“ oder „Trauung mit dem Stahlhelm“ bezeichnet, da bei der Zeremonie im Standesamt ein Stahlhelm an die Stelle gelegt wurde, die ansonsten der Bräutigam einnehmen würde.

Auch Trauungen mit toten Soldaten waren möglich

Die Frau galt auch dann als verheiratet, wenn der Verlobte inzwischen gefallen oder vermisst war (Leichentrauung“) Als Hochzeitstag wurde dann der Termin von dessen Willenserklärung festgesetzt. Am 6. November. 1941 unterzeichnete Adolf Hitler einen Führererlass, durch den die Möglichkeit geschaffen wurde, eine Braut mit einem gefallenen oder vermissten Wehrmachtsangehörigen zu trauen, „wenn nachweislich die Absicht bestanden habe, die Ehe einzugehen“. Eine Veröffentlichung dieser Anordnung sollte unterbleiben. Sie wurde erst als Änderung des Personenstandsgesetzes am 17. Oktober 1942 amtlich bekannt gegeben.

Totenscheidung durch den Staatsanwalt

Entsprechend der „Leichentrauung“ gab es auch eine „Totenscheidung“. In der „5. Durchführungsverordnung zum Großdeutschen Ehegesetz“ vom 18. März 1943 wurde die Möglichkeit einer „Totenscheidung“ geschaffen, um „unwürdige Kriegerwitwen“ von Versorgungszahlungen und Erbschaftsansprüchen auszuschließen. Der Staatsanwalt konnte eine Scheidung beantragen, wenn „ein mutmaßlicher Scheidungswille angenommen werden konnte, falls der Tote die Umstände gekannt hätte.“ Für Nordwestdeutschland untersagte die Britische Militärregierung am 28. Februar 1946 nachträgliche Trauungen mit Vermissten oder gefallenen Soldaten. 1947 erwog man, alle Totenehen für ungültig zu erklären. Doch rückte man von diesem Gedanken ab, um die Rechtssicherheit zu wahren und Versorgungsansprüche zu erhalten.

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Traditionelle „Handschuhehen!“

In Friedenszeiten nannte man die Trauungen in Abwesenheit der Braut oder des Bräutigams „Handschuhehe“. Anstatt eines Stahlhelms lagen auf dem freien Platz des nicht Anwesenden Handschuhe. Diese Form der Trauung hat eine jahrhundertelange Tradition. Sie war im Adelsstand und insbesondere am Hofe der Habsburger in Wien und Madrid gebräuchlich. Allerdings konnte eine auf diese Weise geschlossene Ehe nach kirchlichem Recht bis zu ihrem Vollzug (Geschlechtsverkehr der Ehegatten) annulliert werden. Nach den meisten Rechtsordnungen der Welt, so auch in Deutschland, ist sie nicht mehr zulässig. Immerhin hatte der historische Gesetzgeber des BGB die Zulassung der Handschuhehe Ende des 19. Jahrhunderts noch erwogen. Dem Verbot der Handschuhehe liegt die Idee zugrunde, dass die Ehe ein höchstpersönliches Rechtsgeschäft sei.

 

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