Gestapo- und SS-Leute arbeiteten als Beamte für den BND der 50er- und 60er-Jahre. Bundeskanzler Konrad Adenauer billigte das höchstpersönlich

Von Dr. Malte Herwig

Carl Theodor Schütz schien ein ehrenwerter Mann zu sein. Der Agent mit dem Decknamen „Scherhag“ hatte sich „in menschlicher und politischer Hin­sicht voll bewährt. Seine Haltung war zu je­der Zeit beweisbar untadelig.“ Schütz sei ei­ne „charakterlich einwandfreie, ausgereif­te, sensible, temperamentvolle Persönlichkeit mit ausgeprägtem Willen, die jederzeit ein Vorbild für ihre Mitarbeiter ist“.

"Charakterlich einwandfrei": Was in seiner geheimen BND-Personalakte nicht steht, dass Schütz für den Mord an 335 Geisel in den Ardeatinischen Höhlen mitverantwortlich war; Repro: SZ

So steht es in der geheimen Personalak­te, die der Bundesnachrichtendienst über seinen Mitarbeiter V-2978 führte. Unter der überaus positiven Beurteilung vom 1. Januar 1957 prangt die Unterschrift seines obersten Vorgesetzten, des bundesdeut­schen Geheimdienstchefs Reinhard Geh­len. Mehr als ein Jahrzehnt zuvor hatte der „charakterlich einwandfreie“ Genien-Agent als SS-Hauptsturmführer an der Hin­richtung von 335 italienischen Geiseln vor den Toren Roms teilgenommen. Auf sein Kommando waren die gefesselten Gefange­nen in Fünferreihen vorgeführt und mit Ge­nickschüssen ermordet worden. Fünf Stun­den hatte das Morden am 24. März 1944 gedauert, das als Massaker in den Ardeatinischen Höhlen in die Geschichte einging. Doch Schütz wurde nie zur Rechenschaft gezogen. Stattdessen wurde er Angestellter der „Organisation Gehlen“ und später des Bundesnachrichtendienstes (BND). Kein Zu­träger wie die SS-Verbrecher Walter Rauff oder Klaus Barbie, deren Verbindungen zum BND unlängst aufgedeckt wurden. Sondern hauptamtlicher Agentenführer.

In der NS-Zeit ein ND-Führer mit besonderen Qualitäten

Schütz war 1952 zur „Organisation Geh­len“ gekommen und hatte die Erwartungen seiner Dienstherren „nicht nur erfüllt, son­dern in jeder Hinsicht übertroffen“. Um­fangreiche Fachkenntnisse und langjähri­ge Erfahrung in der Spionageabwehr prä­destinierten Schütz in den Augen seiner Vorgesetzten zu einem „ND-Führer mit be­sonderen Qualitäten“, wie es in seiner Per­sonalakte heißt. Bereits vier Jahre später stieg er zum Chef der Kölner Außenstelle „Uran“ auf.

„Der Bundeskanzler entschied, seine Bedenken zurückzustellen“

Seine „langjährige Erfahrung“ hatte sich Schütz im Rahmen einer NS-Karriere im Dritten Reich erworben. Die von ihm selbst verfassten Lebensläufe in seiner BND-Akte geben Auskunft: 1907 in Mayen geboren, trat Schütz 1923 in den deutschen Pfadfind­erbund ein, 1931 in die SS und ein Jahr spä­ter in die NSDAP. Er studierte Jura, arbeite­te ab 1934 bei der Gestapo in Trier. Mit dem Krieg beschleunigte sich auch seine Gesta­po-Karriere: 1939 ging er zur „Spionageab­wehr“ in Lodz, 1943 stieg er zum Leiter der Spionage-Abwehr für Rom und fünf italie­nische Provinzen auf und wurde 1944 zum Kriminalrat ernannt. Die für seine Nach­kriegskarriere wichtigste Beförderung er­hielt Schütz allerdings im November 1950, als eine Spruchkammer den ehemaligen SS-Hauptsturmführer nachträglich zum harm­losen Mitläufer ernannte. Das genügte Geh­len, der später in seinen Memoiren schrieb, er habe niemanden eingestellt, der nicht ordnungsgemäß entnazifiziert war.

Schütz war nicht der einzige Ex-Nazi, des­sen Nachkriegskarriere im BND unlängst bekannt wurde. Es dauerte mehr als 60 Jah­re, bis sich der BND seiner Vergangenheit stellte. Seit 2010 erforscht eine externe His­torikerkommission die Frühgeschichte des Nachrichtendienstes. Unterstützt werden die Wissenschaftler von der dienstinternen „Forschungs- und Arbeitsgruppe Geschich­te des BND“. Deren Leiter Bodo Hechelham­mer sieht in dem Projekt einen Kulturwan­del: „So etwas war ja nicht vorgesehen bei ei­nem Nachrichtendienst.“

Die Aufarbeitung der geheimen Vergan­genheit ist nicht ohne Tücken. Letztes Jahr erntete die Nachricht Kritik, dass noch 2007 zahlreiche BND-Dokumente mit Be­zug zur NS-Zeit in den Reißwolf gewandert waren. Der BND rechtfertigte sich mit dem Hinweis, die Aktenvernichtung sei „seiner­zeit gemäß den gängigen archivischen Regularien ohne weitere Prüfung möglicher­weise vorhandener NS-Bezüge“ erfolgt. Ein Versehen nach Vorschrift. „Wenn man wirklich zur Aufklärung steht, muss man auch unangenehme Dinge an die Öffentlich­keit lassen“, erklärt der BND-Historiker He­chelhammer. „Dass man SS-Kriegsverbre­cher mit der Begründung eingestellt hat, sie würden als Experten benötigt, ist aus heutiger Sicht sehr schwer zu verdauen.“

Tatsächlich scheint der BND heute end­lich bereit zu sein, die Vergangenheit ehe­maliger SS- und Gestapo-Leute in den eige­nen Reihen aufzuarbeiten, denn unange­nehm sind die jetzt freigegebenen Geheim­akten von BND und Bundeskanzleramt in der Tat. Zu den Dokumenten gehören die Personalakte von Schütz und die Protokolle der geheimen Sitzungen des parlamentari­schen Vertrauensmännergremiums, das in den Fünfzigerjahren für die „Kontrolle“ des Nachrichtendienstes zuständig war.

Sie enthüllen, wie es möglich war, dass ein NS-Kriegsverbrecher wie Schütz zu­nächst unbehelligt Karriere im Nachrich­tendienst der Bundesrepublik machen konnte. Wie man ihn, obwohl man längst seinen üblen Charakter erkannt hatte, noch jahrelang weiterbeschäftigte, weil Schütz als „Geheimnisträger hohen Gra­des“ galt und seinem Dienstherrn mit ar­beitsrechtlichen Schritten drohte.

Generalmajor der Wehrmacht Gehlen als Chef "Fremde Heere Ost": Die braunen Wurzeln des späteren BND-Präsidenten

Himmlers SS-Helfer in den Staatsdienst der Bundesrepublik übernommen

Es ist ein Lehrstück über die bewusste Selbsttäuschung eines Geheimdienstappa­rats, über bürokratische Hilflosigkeit und den fatalen Mangel an politischer Kontrol­le. Aber die Akten zeigen ebenso, dass es auch im BND einzelne Mitarbeiter gab, de­ren Moralempfinden der Weiterbeschäfti­gung belasteter SS-Leute widersprach. Dabei erfolgte die Übernahme ehemali­ger Gestapo-Angehöriger sogar mit der Bil­ligung von Bundeskanzler Konrad Adenau­er persönlich. Als die „Organisation Geh­len“ Mitte der Fünfzigerjahre in den Bun­desnachrichtendienst überführt wurde, setzte sich Gehlen bei der Bundesregierung dafür ein, dass auch Himmlers ehemalige Helfer in den Staatsdienst der jungen Bun­desrepublik übernommen wurden.

Gehlen war durch ein Schreiben des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzes unter Druck geraten. Der Inlandsdienst hat­te die Bundesregierung im Februar 1957 darauf hingewiesen, dass bei der Bundes­vermögensverwaltung in München – einer Tarnorganisation des BND – zahlreiche ehe­malige Gestapo-Angehörige eingestellt worden waren und die Möglichkeit beste­he, „dass dort einer dem anderen zur Einstellung verhilft“.

Reinhard Gehlens Karteikarte als US-Gefangener 1945

In einem jetzt vom Bundeskanzleramt freigegebenen Schreiben an Adenauers Staatssekretär Hans Globke vom 17. September 1957 rechtfertigte sich Gehlen mit der Begrün­dung, auch andere Behörden beschäftigten seit Langem ehemalige Gestapo-Leute als Beamte. Es sei nicht nur ungerecht, den vom Nachrichtendienst dringend benötig­ten Experten die Wiedereinstellung in den Staatsdienst zu verweigern. Ihre Mitarbeit sei dienstlich zwingend, da „die ehemali­gen Beamten der Geheimen Staatspolizei die einzigen kriminalistisch geschulten Beamten sind, die die Gewohnheit des Um­gangs mit intelligenten Gegnern haben, wie sie im Kreise der Kriminellen regelmä­ßig nicht anzutreffen sind“. Klaus-Dietmar Henke, Sprecher der Unabhängigen Historikerkommission, hält diese Begründung für absurd: „Wozu sollte Gehlen Belastete brau­chen, die manchmal obendrein gar keine nachrichtendienstliche Qualifikation im en­geren Sinne besaßen?“

Er selbst, behauptete der Geheimdienst­chef, habe zwar „starke Vorbehalte“ gegen die frühere Tätigkeit dieser Beamten. Doch könne die Verwendung solcher Leute nicht vermieden werden. Allerdings sollten nur solche Mitarbeiter aufgenommen werden, die keine individuelle Schuld träfe, versi­cherte Gehlen: „In jedem einzelnen Fall hat sich der Bundesnachrichtendienst versi­chert, dass gegen die ehemaligen Beamten weder bei Gerichten noch bei Spruchkam­mern Vorwürfe erhoben wurden, die ihre frühere Tätigkeit individuell in einem un­günstigen Licht erscheinen ließen.“ Zu dem Zeitpunkt lief bereits eine interne Un­tersuchung der ehemaligen SS-Leute im BND. Dabei ging es nicht nur um die Frage, welche Mitarbeiter an NS-Verbrechen betei­ligt gewesen sein könnten, sondern um die Klärung beamtenrechtlicher Ansprüche bei Übernahme in den BND. „Wenn es um Pensionsansprüche und Besoldungsstufen ging“, erklärt BND-Forscher Hechelhammer, „kamen die SS-Leute aus der Reser­ve“. Im Lauf der nächsten Monate pokerte Gehlen, der seine „Fachleute“ nicht an an­dere Behörden verlieren wollte. Erst ver­langte er die Verbeamtung von 30 Beamten im Planpersonal des BND. Später reduzier­te er diese Forderung auf zehn.

Im Bundeskanzleramt war man vorsich­tig. Schon die Einstellung des Agenten Carl Schütz in die Organisation Gehlen hatte 1952 Adenauers Argwohn erregt. CIA-Doku­menten zufolge hatte er sich höchstpersön­lich für den damaligen Leiter der BND-Ver­tretung Rhein-Ruhr in Düsseldorf interes­siert und nach dessen Personalakte fragen lassen. Erfolglos: Die Unterlagen, erklärte Gehlen, seien bei den Briten in London.

Ein braunes Bündnis: Bundeskanzler Adenauer und sein Staatssekretär und Strippenzieher Hans Globke, der u. a. die Kommentare zu den Rassengesetzen gegen die Juden schrieb. Er wurde 1963 in Abwesenheit vom obersten DDR-Gericht zu lebenslanger Haft verurteilt; Foto: Bundesarchiv

Schütz: Kommunisten seien auch nach Ansicht des BND immer noch Weltfeind Nr. 1

Andererseits bewies schon die Wahl Hans Globkes zu seinem engsten Mitarbei­ter, dass Konrad Adenauer durchaus in der Lage war, die Fachkenntnis von Experten über etwaige moralische Bedenken zu stel­len („Man schüttet kein schmutziges Was­ser aus, ehe man reines hat“). Globke hatte im Reichsinnenministerium scharfe Geset­ze gegen Juden verfasst. Wie die BND-Un­terlagen zeigen, war der Kanzler dazu be­reit, solange er selbst keinen unmittelbaren politischen Schaden befürchten musste. Der BND war direkt dem Bundeskanzler unterstellt. Damit musste Adenauer die po­litische Verantwortung für die Einstellung ehemaliger Gestapo-Leute übernehmen. Ein jetzt freigegebenes Memorandum des Bundeskanzleramts vom 6. Juni 1958 be­legt, dass er diese Entscheidung aus zwei Gründen befürwortete. Zum einen bräch­ten nur ehemalige Gestapo-Beamte die nö­tigen Voraussetzungen für „gewisse Spezialaufgaben“ mit, heißt es da. Zum anderen würden auch in der politischen Polizei und den Verfassungsschutzämtern der Bundes­länder ehemalige Gestapo-Angehörige als Beamte beschäftigt, vor allem in Bayern, Hessen, Niedersachsen und Nordrhein-Westfalen.

Am 11. Juni 1958 kam es zur entschei­denden Sitzung im Bundeskanzleramt. Um 17 Uhr trafen sich Adenauer, Globke, Geh­len sowie die Mitglieder des parlamentari­schen Vertrauensmännergremiums und einige Beamte im Kleinen Kabinettssaal des Kanzlerhauses. Das Vertrauensmännergremium be­stand aus den Vorsitzenden der Bundes­tagsfraktionen und wurde vom Kanzler in unregelmäßigen Abständen einberufen. Gehlen erinnert sich in seinen Memoiren, der Ausschuss habe sich stets „verständnis­voll und unterstützungsbereit“ gezeigt. Die Politikwissenschaftlerin Stefanie Waske sagt, das Gremium sei „ein stumpfes und teils schlecht geführtes Schwert“ gewesen. Ein Geheimprotokoll des BND über die Sitzung bestätigt jetzt diese Einschätzung: Die Abgeordneten hatten keine Einwände gegen die Verbeamtung der ehemaligen Ge­stapo-Mitarbeiter, da bei Bund und Län­dern ohnehin schon ehemalige Gestapo-Leute „in erheblicher Zahl“ eingestellt wor­den seien. Lediglich der Kanzler äußerte zu­erst „erhebliche sittliche Bedenken“ Doch nachdem Gehlen noch einmal auf die Unersetzlichkeit der Leute hingewiesen hatte, lenkte Adenauer ein: „Der Herr Bun­deskanzler entschied“, verzeichnet das Ge­heimprotokoll, „dass er unter dem Gesichts­punkt der Unentbehrlichkeit bestimmter Beamter der ehemaligen Gestapo für die Aufgaben des BND seine starken Bedenken zurückstellen und den Vorschlägen des BND zur Ernennung der ehemaligen Beam­ten stattgeben wolle.“ Dass Carl Schütz nicht zu denen gehörte, die vom BND verbeamtet wurden, lag nicht an seiner Teilnahme an den Gräueltaten der Einsatzgruppen in Polen oder dem Mas­saker von Rom. Schütz hatte auf dem BND-Personalfragebogen angegeben, lediglich einen Tag in amerikanischer Kriegsgefan­genschaft verbracht zu haben.

Zentrale des Bundesnachrichtendienstes in Pullach bei München; Foto: dpa

Abscheu des BND-Juristen vor den NS-Verbrechen seiner Kollegen 

Beim BND allerdings wusste man, dass diese Angabe falsch war. Der für die Einstu­fung übernommener Gehlen-Mitarbeiter zuständige Personaljurist Dr. Neuland war einer der wenigen Geheimdienstler, die schon 1957 bereit waren, die braune Vergan­genheit von Gehlens alten Mitarbeitern kri­tisch zu durchleuchten. Neuland hatte eine umfangreiche Strafprozessakte des Ober­landesgerichts Köln gefunden, das Schütz bereits 1933 wegen Körperverletzung zu ei­ner mehrjährigen Haftstrafe verurteilt hat­te. Der damalige SS-Oberscharführer hatte nach einem Saufgelage mit seinen SS-Leu­ten die Wohnungen politischer Gegner gestürmt und die vermeintlichen Kommunis­ten, zu denen auch Frauen gehörten, brutal misshandelt. Nach der Lektüre der Prozess­akten konnte Neuland seine Abscheu vor dem BND-Kollegen nicht verbergen und no­tierte in dessen Personalakte:

„Abgesehen davon, dass es sich nach den Feststellungen des Gerichts nicht um Kommunisten, sondern um Sozialdemokraten gehandelt hat, … misshandelt ein anständiger Mann weder Kommunisten noch Angehörige an­derer missliebiger Personengruppen, vor allem dann nicht, wenn sie sich im Zustan­de der Wehrlosigkeit befinden.“

Die Taten des Mannes, der von seinen BND-Vorgesetzten gerade noch als „untade­liges Vorbild“ gelobt wurde, ließen für Neu­land „in ihrer Rohheit und Feigheit eine ehr­lose Gesinnung klar erkennen“. Es sei bezeichnend für die Gestapo, dass ein Mann wie Schütz dort ohne Weiteres angenom­men und in verantwortliche Stellen beför­dert wurde. Sein Verhalten zeige „so schwe­re charakterliche Mängel“, warnte der Per­sonaljurist im September 1957, „dass Mittel und Wege gefunden werden [müssen], um diesen Mitarbeiter des BND auch unter Berücksichtigung nachrichtendienstlicher Belange schleunigst aus dem BND zu entfer­nen“.

Die BND-Leitung entschied anders. Schütz sollte aufgrund „seiner Eigenschaft als Geheimnisträger hohen Grades“ erst noch eine Weile auf seinem Posten bleiben und dann als Angehöriger des ND-Personals weiter beschäftigt werden. Die Perso­nalabteilung befürchtete, Schütz könne sich auf eine Hitler-Amnestie von 1934 be­rufen, die „nationalsozialistischen Überei­fer“ sowie „Körperverletzung im politi­schen Kampf“ straffrei stellte und damals dazu geführt hatte, dass auch der SS-Schlä­ger Schütz vorzeitig entlassen worden war. Das im BND übliche Formular erlaubte den Hausjuristen zufolge aber rechtlich das Ver­schweigen amnestierter oder gelöschter Strafen. „Die moralische Seite ist klar“, ur­teilte ein anderer BND-Personaler im Fall Schütz, man wolle aber einer möglichen Klage beim Arbeitsgericht vorbeugen.

Ein BND-Bearbeiter notierte handschriftlich: „Das wird hoffentlich überprüft“

Erst als 1961 der Doppelagent Heinz Felfe aufflog, griff Gehlen durch und ließ die NS-Vergangenheit seiner Mitarbeiter kritisch überprüfen. Hans-Henning Crome, den Gehlen damals mit der internen Untersu­chung beauftragte, erinnert sich noch heu­te, wie er Schütz nach München bestellte und mit den Erkenntnissen über dessen Ge­stapo-Vergangenheit in Trier konfrontier­te: „Ein unverbesserlicher, übler Charak­ter.“

Der ehemalige Gestapo-Mann hatte im­mer wieder erklärt, von 1934 bis 1939 bei der Spionageabwehr gewesen zu sein. Doch Crome und seine Mitarbeiter hatten Unter­lagen gefunden, nach denen Schütz auch in der innenpolitischen Abteilung II der Gesta­po gearbeitet hatte. Außerdem fanden die BND-Mitarbeiter Hinweise, dass Schütz ei­ner Einsatzgruppe und einem Bandenbe­kämpfungskommando angehört hatte. Der Ertappte versuchte sich damit herauszure­den, die genauen Bezeichnungen der Dienststellen vergessen zu haben. „Un­glaubhaft“ lautete das nüchterne Urteil in seiner Personalakte: „Es kann dem BND nicht zugemutet werden, weiterhin Leute zu beschäftigen, bei denen sich nun heraus­stellt, dass sie Einsatzkommandos bzw. Ein­satzgruppen der SS angehört haben.“

Kündigung mit 70.000 DM Abfindung

Als Schütz endlich am 24. März 1964 „aus wichtigen Gründen“ gekündigt wurde, stellte er Strafantrag gegen Gehlen und an­dere BND-Mitarbeiter wegen gemein­schaftlich begangener Anstiftung zum „Einstellungsbetrug“. Erst mit einer Abfindung von 70.000 DM wurde der BND seinen „un­tadeligen“ Mitarbeiter los. Sein Verhalten rechtfertigte Schütz mit den Worten, er habe vor 25 Jahren „Kom­munisten verprügelt, die doch wohl auch nach Ansicht des BND immer noch Welt­feind Nr. 1 sind“. Die Mitarbeiter seiner Köl­ner Dienststelle sahen es ähnlich. „Man glaubt weder an die unrichtigen Personal­angaben noch an die Teilnahme an KZ-Mord“, heißt es in einem internen BND-Be­richt vom 23. April 1965 in Schütz’ Personalak­te, der ein Fazit der ersten Entnazifizierung im Geheimdienst zieht: Die Aktion gegen die ehemaligen Gestapo-Leute in den eige­nen Reihen sei „ein psychologischer Miß­griff“ gewesen.

Der Historiker Klaus-Dietmar Henke glaubt, dass das mangelnde Unrechtsbewusstsein mit der Solidarisierung der alten Kameraden in der Nachkriegszeit zu tun hat: „Es war für viele BND-Mitarbeiter ein Schock, dass mehrere Dutzend Kollegen nach langjähriger Tätigkeit plötzlich den Dienst verlassen mussten.“ Doch für den Bundesnachrichtendienst war die Angele­genheit damit erledigt. Das Sündenregister des Carl Theodor Schütz verschwand fol­genlos zwischen zwei Aktendeckeln. Der pensionierte BND-Agent starb 1985 in Köln, ohne sich für seine Taten verantwor­ten zu müssen.

Nichts wurde überprüft

Beim Bundesnachrichtendienst wusste man es besser. Aus einem Vernehmungs­protokoll von 1963 geht hervor, dass Schütz als Zeuge von der Dortmunder Staatsan­waltschaft zur Erschießung eines jüdi­schen Zahnarztes in Rom befragt worden war. Er erklärte freimütig, dass es sich bei der Erschießung der 335 Personen an je­nem 24. März 1944 um eine Vergeltungsmaß­nahme gehandelt habe. Der Staatsanwalt, heißt es in Schütz’ BND-Akte, habe ihm aus­drücklich versichert, dass er selbst nicht be­schuldigt werde. Daneben hatte ein BND-Bearbeiter handschriftlich notiert: „Das wird hoffentlich … überprüft.“ Es wurde nicht.

© Süddeutsche Zeitung GmbH, München. Mit freundlicher Genehmigung von http://www.sz-content.de (Süddeutsche Zeitung Content).

Zur Person Carl-Theodor Schütz

(1907 in Mayen bis 1985 in Köln). Er war Jurist, Kriminalrat, Referatsleiter bei der Stapo Trier, Abteilungsleiter bei der Sicherheitspolizei (SiPo) und des SD in Rom, Leiter der Untervertretung (UV) Rhein-Ruhr bei der Organisation Gehlen (OG) und Abteilungsleiter im Bundesnachrichtendienst (BND).

Mitglied der SA, NSDAP, SS, des SD und der Gestapo

Der Sohn eines Grubenbesitzers studierte Rechts- und Staatswissenschaften in Bonn, Köln, Marburg und München. In der Weimarer Republik orientierte er sich rechtsnational und war von 1923 bis 1924 Angehöriger des Freikorps Rhein-Ruhr. Dem „Stahlhelm“ gehörte er von 1928 bis 1930 an. 1930 trat er in die SA ein und wurde ein Jahr darauf Mitglied der NSDAP und der SS (Hauptsturmführer).

Carl-Theodor Schütz; Foto aus der geheimen Personalakte des Bundesnachrichtendienstes (BND); Repro: SZ

Nach dem Studium begann seine juristische Laufbahn im Staatsdienst als Referendar bei Gerichten in Andernach und Koblenz. Nachdem Überscharführer Schütz mit SS-Kameraden 1933 eines nachts stark alkoholisiert mehrere Wohnungen politischer Gegner gestürmt und die wehrlosen Bewohner, darunter auch Frauen, brutal misshandelt hatte, wurde er zu einer zweijährigen Haftstrafe verurteilt und musste den Staatsdienst verlassen. Nach der Haftentlassung im Zuge einer Amnestie wurde er im August 1934 bei der 5. SS-Standarte im SS-Sturmbann 8/I in Koblenz hauptamtlich tätig. Als Rechtsanwalt hatte er sich zuletzt in Mayen betätigt. Ab Oktober hatte er die gleiche Position beim SS-Sturmbann 8/II in Trier, wo er auch Mitglied der Gestapo wurde und Führungsaufgaben übernahm. Nach Lehrgängen wurde Schütz 1935 Kriminalkommissar und war in der Grenzsicherung und als Abteilungsleiter in der Spionageabwehr tätig. . .

Kriegseinsatz als SS-Mann in Polen, der Ukraine und Italien

Am deutschen Überfall auf Polen nahm Carl Schütz 1939 als Angehöriger des Einsatzkommando VI/2 in Lodz teil. Die Einsatzgruppen erschossen im Rahmen eines Geheimbefehls Hitlers 60.000 bis 80.000 Menschen in Polen. Nach einem Aufenthalt in Tivoli von 1940 bis 1941 auf der dortigen italienischen Kolonialschule kam er im Februar 1942 zum Reichssicherheitshauptamt (RSHA) in Berlin. Von 1942 bis 1942 wurde er zur Spionageabwehr an die Ostfront (Woroschilowsk und Ukraine) kommandiert, danach kam er als Abteilungsleiter der Sicherheitspolizei und des Sicherheitsdienstes nach Rom.

Beim Massaker in den Ardeatinischen Höhlen  am 24. März 1944 kommandierte Schütz die Erschießungskommandos und richtet die ersten Opfer eigenhändig hin. Er wurde in einem Kriegsverbrecherprozess gegen Priebke als Haupttäter des Massakers bezeichnet.

Gefangenschaft und Eintritt in die Organisation Gehlen

Ende April 1945 flüchtete Schütz über die Alpen und geriet in das Gefangenenlager der US-Armee bei Fürstenfeldbruck bis Juli 1945. Danach tauchte er mit dem Namen Hans-Karl Schäringer unter. 1950 nahm er wieder seine wahre Identität an und kam nach Köln, wo er als Angestellter arbeitete. Im November 1950 wurde Schütz als Mitläufer entnazifiziert. In Köln begegnete er dem V-Mann mit der Kennung 2665 der „Organisation Gehlen“ (OG), den Schütz aus seiner Kriegszeit in Italien kannte. Er warb Schütz für die „Organisation Gehlen“ an, in die er 1952 in die Abteilung Spionageabwehr auf. Schütz arbeitete auf seinem alten Gebiet der Spionageabwehr und übernahm die Leitung der Untervertretung (UV) Rhein-Ruhr mit Sitz in Düsseldorf. Laut anderer Quellen befand sich die Außenstelle in Essen. Im Zusammenhang mit den Gründungsverhandlungen des Bundesnachrichtendienstes (BND) forderte Bundeskanzler Konrad Adenauer 1952 über den damaligen Ministerialdirigenten Hans Globke die Personalakte und anderweitige Unterlagen über Schütz an, was aber von Reinhard Gehlen mit der Begründung abgelehnt wurde, diese Unterlagen befänden sich bei den Briten in London.

Leiter einer Untervertretung der OG und Dienst im BND

Im Jahre 1953 übernahm Schütz die Leitung der UV für Württemberg in Stuttgart. In der „Organisation Gehlen“ hatte er den Decknamen Scherhack. Im Oktober 1954 erhielt die CIA Informationen, dass Schütz ein Sicherheitsrisiko in der OG sei. Diese Information hatte jedoch für Schütz erkennbare Folgen. Denn im Jahre 1956 wurde der Kriegsverbrecher Schütz vom BND übernommen und kam nach Köln als Abteilungsleiter unter dem Decknamen Scherhack.

Kündigung im BND

1963 wurde Carl Schütz alias Scherhack in die BND-Zentrale Pullach einbestellt, wo er mehrere Stunden lang über seiner Tätigkeiten im NS-Regime befragt wurde. Man warf ihm vor, seine Dienste bei der Gestapo und beim Einsatzkommando in Polen verheimlicht zu haben. Obwohl er dem widersprach, wurde ihm zum 30. Juni 1964 gekündigt. Vor dem Arbeitsgericht München, vor dem Schütz gegen die Bundesrepublik als Arbeitgeber klagte, kam es zu einem Vergleich. Das Dienstverhältnis endete somit erst 1966. Carl Schütz, dessen Kriegsverbrechen ungesühnt blieben, ging damals mit 70.000 DM Abfindung aus dem Staatsdienst der Bundesrepublik Deutschland.

Siehe auch den Artikel:
1) Ständige Angst vor der Geheimen Staatspolizei – In Dorsten gab es keine regulären Gestapo-Beamten
2) Günther Graf von Stosch – Als Polizeichef wurde 1949 dem NS-Regierungspräsidenten der Prozess gemacht
3) Ein Witz und seine Folgen bei der Gestapo und vor der Justiz. Protokoll einer Vernehmung
4) Die Geheime Staatspolizei war an keinerlei Gesetze gebunden

 

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Quelle: Nach Wikipedia, Online-Enzyklopädie (2012). – Auskunft Axel-Elmar Schütz (Nov. 2012).

 

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2 Kommentare zu Gestapo- und SS-Leute arbeiteten als Beamte für den BND der 50er- und 60er-Jahre. Bundeskanzler Konrad Adenauer billigte das höchstpersönlich

  1. Axel-Elmar Schütz sagt:

    Ich möchte nur ein paar Behauptungen im o. g. Artikel klarstellen. Mein Vater ist von Hans Clemens V 2665, zur Org. Gehlen angeworben worden. Dieser Clemens war in Rom 1944 sein Stellvertreter als Leiter der Abtlg. IV. In dieser Eigenschaft wurde Clemens mit weiteren 4 Mitarbeitern vor einem Militärgericht angeklagt und freigesprochen. Also kein Kriegsverbrecher!!! Die UV Rhein-Ruhr in Düsseldorf hat er von Heinz Felfe V 3068 übernommen. Clemens war auch hier unter der Regie meines Vaters tätig. Das heißt im Klartext: Die beiden KGB-Agenten Felfe und Clemens (das größte Desater in der Geschichte des BND)waren auf der gleichen Linie tätig wie mein Vater. Diese Herren sind 1961 aufgeflogen. Kann mir jemand erklären, warum mein Vater bis 30.6.1964 beim BND weiterbeschäftigt wurde? Nun zu den Vorwürfen: Schlägerei in Mayen: 2 Jahre Gefängnis, nach 6 Monaten amnestiert. Einsatzkommando 2/VI Litzmannstadt vom 2.9.1939 bis 13.11.1939, danach Staatspolizeistelle (Spionageabwehr). Im Lebenslauf der Org./BND 1952 mitgeteilt, unter Tagebuchnummer 5536 von 1954 und unter der Tagebuchnummer 535 von 1957. Staatspolizeistelle Saarbrücken Abtlg. II 1941: Durch sein Verhalten (Organisation des Transportes des Zuchthausgefangenen Ott in das KZ Dachau zum Zwecke der Exekution), angeordnet durch das RSHA, hat der Beschuldigte Schütz Beihilfe zur Tötung des Ott geleistet, so der Tatvorwurf. Entscheidung: Im übrigen war sein Tatbeitrag zu gering und daher nicht geeignet, ihm besondere Geltung zu verschaffen. Die Tat stellt daher nur eine Beihilfe zum Totschlag dar und ist verjährt. Das Verfahren wurde eingestellt. Ich hätte zu diesem Artikel noch einiges zu sagen, verzichte jedoch darauf. Tatsache ist in allen Ermittlungsverfahren ist es zu keiner Anklage gekommen. Kriegsverbrecher kann man doch nur dann in unserer Rechtsordnung sein, wenn man rechtskräftig verurteilt wurde. Oder?

  2. Nach meinem Wissen haben die Hitler-Unterstützer nach Kriegsende schnell wieder einen Unterschlupf gefunden. Vorrangig hatten „Wetterfahnen“ der CDU, SPD, FDP und sogar der SED im Osten des ehemaligen Reichsgebietes schnell Geborgenheit gegeben. Da ich über eine Liste dieser Gewechselten verfüge, macht sich manchmal mein Magen bemerkbar. Ich bin daher stolz darauf, keine Partei oder Ideologie zu unterstützen. Mein Interesse liegt im Freiheitsgedanken für die Menschen und nicht in einer Bevormundung durch Partei, Gruppen und Diktatoren einer Ideologie, um die Menschen zu unterdrücken. Dieses ist die Meinung eines Zeitzeugen,welcher das Nazisystem erlebt hat und jede Unterdrückung ablehnt.
    Alfred Vadder

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