NSDAP-Ortsgruppenleiter: „Jetzt kommen sie angekrochen, die schwarzen Seelen …“

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Von Wolf Stegemann

Geburtsstunde der Dorstener Nationalsozialistischen Deutschen Arbeiterpartei war der 2. August 1925, als etwa 20 Dorstener sich um den Bergmann Gustav Klein (NSDAP-Mitglied-Nr. 28.529) und die „blutrote Fahne“ in Dorsten-Hardt scharten und die Ortsgruppe bildeten. Noch vor 1930 gründeten die „Hakenkreuzler“, wie in Dorsten Nationalsozialisten in dieser Zeit auch genannt wurden, in der Gastwirtschaft Elbers (Hardt) die SA und die SS. Die „braune Hardt“ ist in Dorsten heute noch ein volksmundlicher Begriff. Dorstener Nationalsozialisten, die ihr Parteibüro bis 1933 in der alten Lohgerberei am Lippetor hatten, bekamen bei der Stadtverordnetenwahl vom 17. November 1929 nur 62 Stimmen. Für die NSDAP kandidierten Klein, Ripa und Baron. Im November 1930 übernahm Fritz Köster die zu diesem Zeitpunkt immer noch nur 21 Mann starke Ortsgruppe und nutzte jede Möglichkeit, die Partei durch Umzüge und Versammlungen in die Öffentlichkeit zu bringen. Die steigende Arbeitslosigkeit und Verarmung vieler Menschen trieb der NSDAP auch in Dorsten Mitglieder zu. Schon einen Monat nach Übernahme der Parteiführung konnte Fritz Köster 70 Mitglieder melden. Doch die Partei blieb trotz etlicher versuchter Wahlmanipulationen in den Wahlkämpfen 1929 bis 1933 unbedeutend.

NSDAP streute Gerüchte über Rentenkürzungen

Die „Dorstener Volkszeitung“ meldete am 10. März 1932 unter dem Titel „Haltlose Gerüchte“ eine Wahlbeeinflussung in Hervest-Dorsten:

„Von gewissen Kreisen in Hervest-Dorsten wird geflissentlich das Gerüchte verbreitet, es stehe eine elfprozentige Kürzung aller Renten bevor. Aus bester Quelle können wir mitteilen, dass dieses Gerücht völlig haltlos ist. Die Verbreiter haben die Absicht, die kommende Präsidentenwahl im Sinne der Rechtsradikalen zu beeinflussen. Dem gegenüber steht aber die Tatsache, dass durch Hindenburgs und Brünings Eingreifen den Rentenempfängern ihr kärgliches Einkommen überhaupt erhalten geblieben ist.“ – Bei den Gerüchtestreuern handelte es sich um die NSDAP.

Ortsgruppenleiter Fritz Köster, danach Beigeordneter

Bei der Stadtverordnetenwahl am 12. März 1933 erhielt die NSDAP sechs Sitze (Zentrum zehn). Dennoch war der nationalsozialistische Weg auch in Dorsten vorgezeichnet. Der Ortsgruppenleiter zog als Besoldeter Beigeordneter ins Rathaus, Schreinermeister Ernst Heine wurde neuer Ortsgruppenleiter. Von März bis Mai 1933 fand ein Ansturm der Dorstener in die NSDAP, SA und SS statt. Über 680 Aufnahmeanträge musste Heine entscheiden; 645 erhielten das rote Parteibuch der NSDAP. Prominente Mitglieder des Zentrums wie Rechtsanwalt Nordmann und Kaufmann Paul Schürholz traten sofort in die braune Partei ein. Der NSDAP-Ortsgruppenleiter Heine schrieb am 2. Mai 1934 in einem Brief an den Beigeordneten Fritz Köster: „Jetzt kommen sie angekrochen, die schwarzen Seelen, die glaubten, nach Gott kämen gleich sie!“ Wenige Jahre später musste sogar ein Aufnahmestopp verfügt werden.
Ein Netz von Aufpassern der Partei durchzog alle Lebens- und Wohnbereiche der Bevölkerung. Blockwarte (hinter vorgehaltener Hand „Treppenterrier“ genannt) hatten etwa 50 Haushalte zu überwachen. In der Hierarchie der Partei folgten die Zellenleiter, der Ortsgruppenleiter (wegen der goldenen Verzierung auf brauner Uniform auch „Goldfasan“ genannt), der Kreisleiter, der Gauleiter, der Reichsleiter, schließlich der Stellvertreter des Führers und der Führer selbst. Nicht mehr das Rathaus war Anlaufstelle der Bürger, sondern das „Braune Haus“ der Partei in der Lippestraße. NSDAP-Versammlungslokal war das Hotel Koop am Marktplatz
1942 wurde Ernst Heine als Ortsgruppenleiter abgelöst, weil er für die Partei untragbar wurde, denn seine Sekretärin bekam vom Familienvater Heine ein Kind. Heine kam an die Ostfront. Sein Nachfolger wurde der Rendant Karl Schämann und danach bis Kriegsende Anstreichermeister Wilhelm Gahlen (siehe Heine, Ernst).

 Ortsgruppe Dorsten-Hardt

1932 löste sich aus der Dorstener Ortsgruppe unter Lehrer Berkel die Ortsgruppe Hardt, die sich 1936 Dorsten wieder anschloss. Bis dahin leitete Dietrich Groß-Blotekamp die Ortsgruppe, sein Vertreter und Propagandaleiter war Pfannkuch. Parteilokal war der „Schwarze Adler“.

Otto Berke

Ortsgruppe Hervest

Wann die NSDAP-Ortsgruppe Hervest-Dorsten gegründet wurde, ist nicht bekannt. Dem Führungsstab gehörten zumindest seit 1932 als Leiter Fahrsteiger Otto Berke (geb. 1884; NSDAP-Mitgliedsnr. 345.093) und als dessen Stellvertreter Fabrikant Ludwig Schürholz (Mitglied-Nr. 406.838) an; weiterhin zählten zu den Amtsträgern der Partei noch die Leiter, Walter und Warte für Propaganda, Organisation, Schulung, Kultur, Beratung, Gesundheit, Schadensverhütung, Finanzen, Siedlungs- und Wohnungswesen, Funk und Film, Arbeitsopfer, Presse, Handel und Handwerk, ebenfalls die Leiter der DAF, NSV, Frauenschaft, Hitlerjugend, der Ortsbauernführer sowie zwei Parteigenossen „zur besonderen Verfügung“. Als so genannte Hoheitsträger gehörten in Hervest-Dorsten noch sieben Zellen- und Blockleiter zur Parteiführung.  Am 20. April 1933 feierte die Ortsgruppe nachmittags im Saal des Westfalenhofes (van Scheven) mit einem Kaffeetrinken für „alte Leute“ (über 60 Jahre, auch Nichtmitglieder der NSDAP) Hitlers Geburtstag. Gebrechliche wurden abgeholt. Abends feierten die Parteigenossen im Hedoli-Palast (Kino) mit der SA-Sturmbannkapelle 3/143 unter Leitung von Pg. Parisett. Weiter wirkte der Bund Deutscher Mädel mit. Die Festrede hielt Gemeindevorsteher Ludwig Schürholz.
Als die russischen Bergarbeiter wegen des schlechten Essens einmal streikten, holte die Zechenleitung (Betriebsführer Vier) den NSDAP-Ortsgruppenleiter Otto Berke, der zwischenzeitlich zum Fahrsteiger auf Fürst Leopold aufgestiegen war. Er stellte fest: „Wer arbeitet muss auch essen.“ Die Suppe, die das deutsche Küchenpersonal den Russen vorsetzte, war nach seiner Meinung ungenießbar. Otto Berke war nach der Schilderung des Zeitzeugen auf dem Pütt „der Kumpel“ geblieben. Glaubhaft wirkt die deftige Charakterisierung, dass Berke auch so manchem nicht Linientreuen „die Schuppe vor den Arsch“ gehalten hat. So soll er den kommunistischen Kumpel Hellmann ermahnt haben, sich in seinen Gesprächen zu zügeln. Sollte Hellmann so weiter machen, dann sähe er, Berke, keine Möglichkeit mehr, ihn zu schützen. Es gibt aber auch andere Erinnerungen an ihn, in denen er nicht so gut wegkommt. Am 28. März 1945 schied Otto Berke „in Folge Verhaftung“ durch die Alliierten aus dem Dienst aus und kehrte nicht mehr zur Zeche zurück.

Ortsgruppe Holsterhausen

Die Ortsgruppe wurde bereits in der zweiten Hälfte der 1920er-Jahre gegründet und führte kurioserweise und fälschlich bis 1933 den Namen „Nationalsozialistische Arbeiterpartei Deutschlands“ (NSAPD statt NSDAP). Am 30. September 1933 übernahm Rudolf Endler (Mitglied-Nr. 345.092) die kommissarische Führung der NSDAP-Ortsgruppe Holsterhausen, nachdem Dietz als Ortsgruppenleiter zurückgetreten war. Stellvertreter war Friedrich Sondermann. Rangältester SA-Führer war Sturmführer Bruno Mentzen (Mitgl.-Nr. 817.767), später der Standartenführer der SA-Standarte 8, Conrad Schlüter (Mitgl.-Nr. 67.916). Viele Jahre stand der Volksschullehrer Heinrich Schwarz der Ortsgruppe vor. Nach dem Krieg durfte er deshalb bis 1951 nicht mehr im Schuldienst beschäftigt werden. Bis zu seiner Pensionierung im Jahre 1958 war er dann Hilfslehrer in Herten. Die Parteizentrale der NSDAP, das so genannte Braune Haus, stand an der Borkener Straße.

NSDAP-Parteibuch

Elf Holsterhausenerinnen hatten am 26. Juni 1932 die NS-Frauenschaft gegründet, was damals nur NSDAP-Mitglieder durften. Leiterin war Frau Pöther. Erst ab Ende 1933 konnten auch Nichtparteimitglieder in die NS-Frauenschaft eintreten. 1941 hatte die Ortsgruppe bereits 480 Mitglieder. In den Kriegsjahren beteiligten sich die Holsterhausener Frauen in Tausenden von freiwilligen Arbeitsstunden „für den Dienst an Volk und Führer“, um „im Krieg im Kampf um Deutschlands Freiheit mit zu helfen“.
In einem Bericht von 1942 ist zu lesen, dass die Frauen der Holsterhausener NSF-Ortsgruppe seit Kriegsbeginn 5.795 Stunden damit verbracht hatten, in Lazaretten Gemüse zu putzen, Kartoffeln zu schälen, Wäsche zu waschen und auszubessern. 382 Stunden wurden unter Leitung der NSDAP-Ortsgruppe mit dem Päckchenpacken für Soldaten der Gemeinde Holsterhausen verbracht. Bei der Erntehilfe stellten die Frauen besonders viele Kräfte. In 3.240 Arbeitsstunden halfen sie bei der Getreideernte und beim Dreschen, 533 Stunden beim Flachsziehen und noch einmal so viele Stunden in der Haushaltshilfe. 3.708 Stunden arbeiteten sie als Hilfe in kinderreichen Familien, bei Wöchnerinnen, Kranken und werktätigen Frauen. Die NS-Frauenschaft unterhielt eine eigene Nähstube. Dort wurden in 728 Stunden neue Kleidungsstücke angefertigt, Strümpfe gestopft, Mäntel, Kleider, Blusen und Schürzen zugeschnitten und ausgebessert.

Ortsgruppe Altendorf-Ulfkotte

Ihr Gründungsdatum ist unbekannt. Aufgrund der katholischen Struktur der Gemeinde ist die Ortsgruppe vermutlich erst nach der Wahl Hitlers zum Reichskanzler Anfang 1933 gegründet worden. Bei der Kommunalwahl vom November 1932 wählten 25 Altendorfer die NSDAP, sechs wählten sozialdemokratisch, 25 kommunistisch, 28 deutschnational, einer votierte für die Volkspartei und 312 für das katholische Zentrum. Im März 1933 gab es bereits 61 NSDAP-Wähler. Ortsgruppenleiter von Altendorf-Ulfkotte, das damals zu Marl gehörte, aber feste Bindungen zu Dorsten hatte, war zwölf Jahre lang der Landwirt Willi Schulte-Hemming, der zugleich Bürgermeister und Ortsbauernführer war; Schulungsleiter der Partei war der Lehrer Felix Jaworski. Das Parteilokal befand sich in der alten Schule.

Ortsgruppe der Herrlichkeit

Die NSDAP-Ortsgruppen der Landgemeinden in der Herrlichkeit, so genannte Stützpunkte, waren bis 1934 zusammengefasst in der „Ortsgruppe der Herrlichkeit“, deren Leiter Pg. Scholaster und deren Propagandaleiter Pg. Pfannkuch waren. NSDAP-Stützpunkte gab es in Erle, Wulfen, Rhade, Lembeck und Altschermbeck.

NSDAP-Parteiabzeichen

Ortsgruppenleiter Scholaster lud für den 3. Juli 1933 zu einem gemeinsamen Parteitreffen nach Erle ein. Das Motto hieß: „Stadt-Markt-Land“. Der Propagandaleiter des gastgebenden NSDAP-Stützpunktes Erle, Lehrer und Pg. Fritz Sagemüller, der auch Schulungsleiter der NSDAP war, konnte in Erle Quartiere für 212 Parteigenossen besorgen. In Rhade wurden nochmals 250 Teilnehmer untergebracht.
Zu diesem Zeitpunkt hatten bereits alle NSDAP-Stützpunkte eigene SA-Kapellen. Übrigens scheint bei diesem Treffen, von dessen Verlauf ansonsten nicht viel bekannt ist, die Sorge um konkurrenzloses Spielen der SA-Kapellen im Vordergrund gestanden zu haben, wie aus einem Schreiben des Ortsgruppenleiters vom 16. Juni 1933 an die Kreisleitung Recklinghausen-Land hervorgeht.

Ortsgruppe Rhade

Im Sommer 1934 versammelten sich die Mitglieder der NSDAP, der NS-Frauenschaft und der SA in der Gaststätte Krebber, um den „festlichen Akt der Erhebung des bisherigen NSDAP-Stützpunktes zu einer selbstständigen Ortsgruppe“ zu begehen. Die Ortsgruppenleiter der umliegenden Gemeinden waren als „Paten“ gekommen, als Vertreter des Kreisleiters übernahm Pg. Plaggemann den Gründungsakt und verpflichtete den bisherigen Stützpunktleiter Hohmann als Ortsgruppenleiter. Spätestens 1935 löste Johann Wensing (NSDAP-Mitgliedsnummer 2.160.330) Hohmann ab. Ranghöchster SA-Führer in Rhade war Sturmführer Hans Schünemann, der nach Iserlohn versetzt wurde. Im Februar 1934 gründeten 14 junge Rhader Bauernburschen  einen SA-Reitersturm, der von dem Zollbeamten Barth ausgebildet wurde.

Ortsgruppe Wulfen

Am 30. Januar 1934 wurde der Stützpunkt Wulfen zur Ortsgruppe erhoben. Zuerst war Scholaster Ortsgruppenleiter (bisher Ortsgruppe Herrlichkeit). Kurze Zeit darauf kam Förster Alfred Hohmeyer (Mitglied-Nr. 2.474.999) an die Spitze der Ortsgruppe. Rangältester SA-Führer am Ort war Truppführer Hermann Roth. In der Wirtschaft Altegoer fanden die Parteiversammlungen statt. Das war 1945 der Anlass für die Amerikaner, das Haus Altegoer zu beschlagnahmen.
Am 15. Mai 1933 gründeten Wulfener Frauen unter Leitung der NS-Frauenführerinnen von Hervest-Dorsten und Gladbeck in der Gaststätte Humbert eine Ortsgruppe der NS-Frauenschaft, deren Leiterinen Frau Sicking, später Frl. Börding wurden. Sämtliche anwesende Frauen, es waren nicht mehr als zehn, erklärten ihren Beitritt. Im November versammelten sich Frauen aus den Bauerschaften Brosthausen, Sölten, Deuten bei Grewer und gründeten eine „Zelle Deuten der NS-Frauenschaft Wulfen“. Von 60 erschienenen Frauen ließen sich sofort 43 als Mitglieder registrieren. „Sogar eine 75-jährige Dame wünschte ihre Aufnahme“, ist der „Dorstener Volkszeitung“ zu entnehmen. Der Mitgliederstand der NS-Frauenschaft in Wulfen stieg 1934 somit auf 55 Frauen.
Die Gemeinde übergab der Partei im Juli 1935 das alte Schulhaus als HJ-Heim und NSDAP-Geschäftsstelle. 1936 fand in der Ortsgruppe Wulfen, wie in allen Ortsgruppen der Region, eine Neueinteilung statt: Die Partei bestand nunmehr aus zwei Zellen und zwölf Blocks. Der Führungsstab bestand aus Ortsgruppenleiter Hohmeyer, seinem Stellvertreter Inhester, Propagandaleiter Lehrer Lippick und Ortsbauernführer Tüshaus.

Ortsgruppe Erle

Der Stützpunkt wurde Mitte Juli 1934 in einer Feierstunde im Saal Schneemann zur NSDAP-Ortsgruppe erhoben. Der bisherige Stützpunktleiter Stegerhoff wurde Ortsgruppenleiter, Lehrer Fritz Sagemöller Schulungsleiter.

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Zur Sache: Die Ortsgruppe war nach dem Block nächst höheres „Hoheitsgebiet“ der NSDAP auf Gemeinde- und Stadtteilebene. Der Ortsgruppenleiter wurde vom Gauleiter auf Vorschlag des Kreisleiters ernannt. Er hatte nach 1933 auch Befugnisse gegenüber den Nichtmitgliedern in seinem Bereich: Er sollte „durch geeignete Veranstaltungen die Bevölkerung nationalsozialistisch ausrichten“ und führte Listen über die „politische Zuverlässigkeit“ der Bewohner. Innerparteilich kontrollierte er die Blockwarte, auch wenn diese dem Kreisleiter unterstanden, und war verantwortlich für die „gesamtpolitische Lage“ in der Ortsgruppe und die Schulung der Politischen Leiter.

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