Antisemitismus in nationalsozialistischen Liedern vor und nach 1933 – „Deutschland erwache! Volk ans Gewehr! Sie kämpfen für Hitler, für Arbeit und Brot! Juda den Tod!“

Von Wolf Stegemann

In der „Kampfzeit“, also in den Jahren vor 1933, als die Nationalsozialisten um die Gewinnung der Macht kämpften, gab es eine ganze Reihe von antisemitischen Liedern, die auch von der HJ gesungen wurden. In der Hauptsache handelte es sich dabei um SA-Lieder, in denen Juden der Ausbeutung und Unterdrückung des Arbeiters bezichtigt wurden, darunter das berüchtigte „Volk ans Gewehr“ von Arno Pardun aus dem Jahr 1931:

  • 1. Siehst du im Osten das Morgenrot,
    ein Zeichen zur Freiheit, zur Sonne?
    Wir halten zusammen, ob lebend, ob tot,
    mag kommen, was immer da wolle!
    Warum jetzt noch zweifeln, hört auf mit dem Hadern!
    Noch fließt uns deutsches Blut in den Adern.
    Volk ans Gewehr, Volk ans Gewehr.
  • 2. Viele Jahre zogen dahin,
    geknechtet das Volk und betrogen;
    Verräter und Juden hatten Gewinn,
    sie fordern Opfer Legionen.
    Im Volke geboren erstand uns ein Führer,
    gab Glaube und Hoffnung an Deutschland uns wieder.
    Volk ans Gewehr …
  • 3. Deutscher, wach auf nun und reihe dich ein,
    wir schreiten dem Siege entgegen;
    frei soll die Arbeit und frei woll’n wir sein
    und mutig und trotzig verwegen.
    Wir ballen die Fäuste und werden es wagen,
    es gibt kein Zurück mehr und keiner darf zagen;
    Volk ans Gewehr …
  • 4. Wir Jungen und Alten, Mann für Mann,
    umklammern das Hakenkreuzbanner;
    ob Bauer, ob Bürger, ob Arbeitsmann,
    sie schwingen das Schwert und den Hammer.
    Sie kämpfen für Hitler, für Arbeit und Brot,
    Deutschland erwache! Juda den Tod!
    Volk ans Gewehr …

Aus „Juda den Tod wurde sprachlich modifiziert „Ende die Not“

"Der Kilometerstein" 1934 mit antisemitischen Liedern

Lieder mit einem derart brutalen Duktus verloren nach 1933 an Bedeutung, denn ein solch offener Antisemitismus wurde nun von der Reichsjugendführung nicht länger als opportun erachtet. „Volk ans Gewehr“ hielt sich als Reminiszenz an die Kampfzeit gleichwohl in den Liederbüchern, wurde in den Ausgaben der Reichsjugendführung jedoch sprachlich modifiziert: Aus „Juda den Tod“ wurde „Ende die Not“. In regionalen Liederbüchern, darunter in der Textausgabe des Liederbuches des Obergebietes West, „Uns geht die Sonne nicht unter“, hielt sich antisemitische Variante allerdings.
Zudem tauchen Morddrohungen gegen Juden auch in einer ganzen Reihe von Spottliedern auf, die vor allem durch die seinerzeit weit bekannte Liedersammlung „Der Kilometerstein“ verbreitet wurden. Solche Lieder zeigen die antisemitische Haltung der HJ vielleicht noch eindrücklicher als die „Kampfzeit“-Lieder, denn im Gegensatz zu diesen waren sie nicht den offiziellen Gelegenheiten vorbehalten, sondern prägten das Alltagssingen. Vordergründig waren sie ja gar nicht so schlimm, sie waren schließlich lustig gemeint. Einem heutigen Leser stockt gleichwohl der Atem bei dem Gedanken, dass solche Texte einmal als witzig galten, denn sie offenbaren eine Gedankenlosigkeit, die darauf verweist, dass die Herabsetzung von Juden einmal als völlig selbstverständlich galt – so selbstverständlich, dass man eben auch darüber lachen konnte. Ein Beispiel für ein solches Lied ist „O Herr, gib uns den Moses wieder, das – Kirchengesang karikierend – psalmodierend als „Litanei“ gesungen wurde:

  • 1. O Herr, gib uns den Moses wieder, damit er seine Stammesbrüder heimführe ins gelobte Land!
  • 2. Laß‘ wiederum das Meer sich teilen, so daß die beiden Wassersäulen fest stehn wie eine Felsenwand!
  • 3. Und wenn in dieser Wasserrinne das ganze Judenvolk darinnen, o Herr, dann mach‘ die Klappe zu, und alle Völker haben Ruh!

Liederbuch aus der "Kampfzeit"

Lied-Schulung in Heimabenden

Neben dieser offenen Form fand Antisemitismus in den Liedern der HJ auch durch den Kontext statt, in dem Lieder vermittelt und gesungen wurden. Dies betraf vor allem die weltanschauliche Schulung auf den Heimabenden, bei der es um Kommunismus und Rassenkunde ging. „Viele deutsche Arbeiter […] wurden Kommunisten und Sozialdemokraten. Der Jude stand neben ihnen und hetzte sie auf“, erklärte „Die Kameradschaft, das Schulungsheft für die HJ, in grotesker Verzerrung der Tatsachen und machte die Juden für die Weltwirtschaftskrise und die Verelendung der deutschen Arbeiter verantwortlich: „Dadurch, dass der Marxismus weiter nichts tat, um dem Volk die unerträglich drückenden Lasten zu nehmen, geriet das Volk in immer größeres Elend. Die Zahl der Arbeitslosen nahm mit jedem Tag zu, die Löhne wurden gekürzt und die Preise stiegen. Eine Inflation kam und raubte dem Volk was es in einem Leben voll Arbeit und Sparsamkeit erworben hatte. Der Jude bereicherte sich daran.“ Begleitet wurde dieser Text von Ausführungen über den Marsch zur Feldherrenhalle, und gesungen werden sollte dazu „In  München sind viele gefallen. Das war kein ausdrücklich antisemitisches Lied, doch bekam die dort besungene Zielsetzung, für „Ehre, für Freiheit und Brot“ zu kämpfen, durch den Kontext eine antisemitische Bedeutung. Der Kampf für die Freiheit war ausdrücklich zugleich ein Kampf gegen die Juden.

Nach 1933 lösten Vaterlandslieder antisemitische Lieder ab

Nach diesem Schema wurde bei den Heimabenden oft verfahren. Nahezu alle Lieder, die in den Heimabendheften im Zusammenhang mit antisemitischen Themen gebracht wurden, waren keine antisemitischen Lieder, sondern Kampflieder, Marschlieder und vor allem Vaterlandslieder – Lieder, die Aufbruchstimmung, Sieg über das alte System oder den Gedanken der „Volksgemeinschaft“ zum Ausdruck bringen sollten. Antisemitismus wird hier nicht explizit als Ausgrenzung formuliert, sondern implizit: Wenn das deutsche Volk besungen wurde, meinte dies immer eine Gesellschaft ohne die jüdischen Bevölkerungsanteile. So entfaltete auch das seinerzeit weithin bekannte Lied „Du bist die Kette ohne Ende“ von Heinrich Spitta im Zusammenhang mit einem Text für die Jungmädel über die „Reinerhaltung des Blutes“ eine antisemitische Wirkung und illustrierte die Mahnung „Du und ich, wir alle sind nur Glieder in der großen Kette von Ahnen. Hier liegt unser Weg und unser Ziel, und für dieses Volk müssen wir die Kette rein und stark erhalten.“

  • 1) Du bist die Kette ohne Ende,
    ich bin nur deiner Glieder eins,
    was ich beginne, was vollende,
    ist nur Vollendung deines Seins.
    Ahn und Enkel fallen, werden bald zunicht.
    Wuchtig aus uns allen wuchst du, Volk, ins Licht.
  • 2) Wer für dich fällt, stirbt nicht vergebens,
    du trägst ihn in die Ewigkeit;
    so sind wir Pfänder deines Lebens
    und Bürgen deiner Herrlichkeit.
    Ahn und Enkel …
  • 3) Du hast uns längst, eh wir geboren,
    genährt mit deinem teuren Blut,
    so sind wir ewig dir verschworen
    als deines Lebens sterblich Gut.
    Ahn und Enkel …

Siehe weitere Artikel zum Thema in dieser Dokumentation:
Das Lied als Anstiftung zum Judenhass – Das „Heckerlied“ und seine antisemitischen Varianten in der Weimarer Republik, im Nationalsozialismus und heute

Nationalsozialisten ließen bei jedem Anlass singen – Lieder dienten der Indoktrination, der Vergöttlichung des Führers und förderten den Durchhaltewillen

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Quellen: „B.D.M. Liederbuch“, Berlin 1934. – „Unser Liederbuch. Lieder der Hitler-Jugend“, hg. von der Reichsjugendführung, München 1939. – „Der Kilometerstein. Eine lustige Sammlung“, hg. von Gustav Schulten, Feldpostausgabe, Potsdam 1941. –„Die Kameradschaft. Blätter für Heimabendgestaltung in der Hitler-Jugend“, hg. von der Reichsjugendführung, Berlin 1935. – „Die Jungmädelschaft. Blätter für Heimabendgestaltung der Jungmädel“, hg. von der Reichsjugendführung, Berlin 1936. – „Wir Mädel singen. Liederbuch des Bundes Deutscher Mädel“, hg. von der Reichsjugendführung, Wolfenbüttel/Berlin 1938.

 

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