Von Wolf Stegemann
Das fränkische Rothenburg ob der Tauber war nicht nur Schauplatz einer womöglich beispiellosen Nazifizierung einer fränkischen Kleinstadt, sondern 1949 auch Tagungsort aller Landesjustizministerien, die das gesetzliche Ende der Entnazifizierung vorbereiteten, damit die Entnazifizierung offiziell beendet werden konnte.
Dazu traf sich am 5. und 6. November 1949 das so genannte Justizkollegium, eine Arbeitsgemeinschaft der westdeutschen Justizminister. Den Vorsitz hatte der bayerische Justizminister und stellvertretende Ministerpräsident Dr. Josef Müller. Unter den Teilnehmern befanden sich neben Vertretern der Justizverwaltungen aller Länder der Bundesrepublik die Justizminister von Württemberg-Baden, Dr. Bayerle, von Schleswig-Holsteins Dr. Katz, Badens Dr. Fecht, von Nordrhein-Westfalen Artur Sträter, der Leiter der Westberliner Justizverwaltung Dr. Kielinger sowie Senator Drexelius. Aus Hamburg kam Dr. von Arnim und als Vertreter des Bundesjustizministeriums Prof. Ophüls und der Chef der Kanzlei des Justizkollegiums Oberlandesgerichtsrat Quaas. Der ebenfalls erwartete Bundesjustizminister Dr. Dehler war wegen anderer dienstlicher Geschäfte verhindert.
Herstellung eines gleichmäßigen Rechtszustands
Ein offizielles Schluss-Kommuniqué wurde nicht herausgegeben, aber der Leiter der Gesetzgebungsabteilung des Stuttgarter Justizministeriums, Dr. Otto Küster, teilte der Presse mit, über was die illustre Justiz-Gesellschaft geredet und was sie beschlossen haben:
„Das Justizkollegium kam zu der übereinstimmenden Auffassung, dass eine Gesetzgebung zum endgültigen Abschluss der Denazifizierung erforderlich und dass diese Gesetzgebung Sache der Länder sei. Das Ziel muss die Herstellung eines gleichmäßigen Rechtszustandes in allen Ländern der Bundesrepublik sein.“
Die „kleine Zahl“ nicht erledigter Entnazifizierungsfälle sollte in einem „beschleunigten und vereinfachten Verfahren“ vollends erledigt werden, hieß es in der Pressemitteilung. Bereits verhängte Beschränkungsmaßnahmen sollten „soweit als möglich ihrer Beendigung zugeführt werden“. In diesem Sinne hatte das im Rothenburger Hotel „Eisenhut“ tagende Justiz-Kollegium seine Empfehlungen für die Landesregierungen entworfen, die dann entsprechende Landesgesetze bei den Landtagen einbringen sollten.
Verbot der Auslieferung deutscher Staatsbürger
Auch befasste sich das Kollegium mit der Rechtsstellung des Richterstandes, konnte allerdings keine definitive Entscheidung treffen, da das Bundesbeamtengesetz noch nicht verabschiedet war. Ein anderes Thema war der Schutz der Deutschen im Ausland. Waren deutsche Staatsbürger im Ausland beschuldigt, so sollten sie Rechtsschutz durch die Bundesrepublik erhalten, was als Aufgabe des Bundes und nicht der Länder angesehen wurde. Bis dahin wurde der Rechtsschutz der beschuldigen Deutschen im Ausland im Auftrag der zwölf Länderjustizministerien vom Stuttgarter Justizministerium wahrgenommen. Auch empfahl das Justiz-Kollegium, endlich mit dem Paragrafen 16 des Grundgesetzes ernst zu machen, und Deutsche vor Auslieferung ins Ausland zu schützen.
„Die Schaffung der gesetzlichen Voraussetzungen über das Verbot der Auslieferung Deutscher an das Ausland und das Asylrecht für politisch Verfolgte ist eine vordringliche Aufgabe.“
In Sachen ihres eigenen Berufstands empfahl das Justiz-Kollegium den Ländern eine gleichmäßige Verteilung der „überzähligen Flüchtlingsjuristen“ auf die einzelnen Länder vorzunehmen. Am Ende der Tagung wurde beschlossen, die nächste Sitzung Ende des Jahres in Berlin abzuhalten.
Frau Oberamtsrichter sang zur Laute
Rothenburgs Nachkriegs-Oberbürgermeister Friedrich Hörner (SPD) war über den politischen Besuch der hohen Justizgäste erfreut. Vor ihrer Abreise gab er den Juristen zusammen mit Regierungspräsident von Mittelfranken Dr. Schregle und dem Rothenburger Landrat Dr. Nerreter einen Empfang im Hotel Eisenhut. Nach dem Festessen sorgte die Ehefrau des Oberamtsrichters am Amtsgericht Rothenburg für muntere Lieder zur Laute.