Die nationalsozialistische Presse im Ruhrgebiet bis 1933: Es galt, Arbeiter mit völkischen Anschauungen zu ideologisieren und über „Schweinereien“ aus Kommunen zu berichten

General-Anzeiger Dortmund vom 21. April 1933

Von Dr. Wilfried Böhnke

Wenn Hitler auch, wie er des Öfteren in seinem Buch „Mein Kampf“ betonte, das gesprochene Wort dem geschriebenen vorzog, versuchte man in den Reihen der NSDAP doch schon frühzeitig, einen eigenen Presseapparat aufzubauen. Dem im Dezember 1920 von der Partei erworbenen „Völkischen Beobachter“ folgten bis 1928 drei weitere Tageszeitungen mit einer täglichen Auflage von fast 30.000 Exemplaren. Bis zum Früh­jahr 1932 erhöhte sich diese Zahl besonders durch die Umwandlung von Wochenblättern in täglich erscheinende Zeitungen auf 49; daneben bestanden 45 Wochen- bzw. Halbwochenblätter und fast ebenso viele Zeitschriften, deren Gesamtauflage zu dieser Zeit ein­schließlich der zu Werbezwecken verteilten Gratisexemplare pro Woche bereits auf 6 bis 7 Millionen Stück geschätzt wurde. Die NSDAP folgte damit der althergebrachten Tra­dition aller politischen Gruppen und Parteien, die – wie auf der extremen Rechten bei­spielsweise schon die völkisch-antisemitischen Gruppen gegen Ende des 19. Jahrhunderts – eigene Presseorgane zur Verbreitung ihres politischen Gedankengutes und besonders bei den völkischen Blättern als Mittel der Agitation herausgaben. Innerhalb kurzer Zeit war also von der NSDAP ein Presseapparat aufgebaut worden, der abgesehen von dem der SPD in der Weimarer Republik kein vergleichbares Gegenstück hatte. Die Initiative zu derartigen Zeitungsgründungen ging zum großen Teil von der Gau-Leitung aus.

„Freie Presse“ der Arbeiterschaft vom 13. März 1920

„Kampfverlag“ brach mit völkischen Anschauungen ins Arbeitermilieu ein

Trotz seiner regionalen Ausdehnung und der großen Anzahl an Parteimitgliedern hatte es im Gau Ruhr bzw. Westfalen erst relativ spät selbstständige, gau-eigene Zeitungen ge­geben. Im Ruhrgebiet wurden neben dem offiziellen „Völkischen Beobachter“ aus dem Kampfverlag „Der nationale Sozialist für Rhein und Ruhr“ und die „Berliner Arbeiter­zeitung“ gelesen, ehe die ersten eigenen Zeitungen im Jahre 1928 herausgegeben werden konnten. Pläne und Anstalten dazu lagen aber schon Jahre zurück. Aus ihnen wird deutlich, welch großen Wert man auch im Ruhrgebiet einer eigenen Presse zumaß. So drängte man etwa im Sommer 1924 in den Reihen des VSB Westfalen-Süd (Völkisch-Sozialer Block) auf eine gemeinsame Wochenzeitung in den beiden Landesverbänden Westfalen-Nord und West­falen-Süd. Zu diesem Zweck sollten vorsichtige Verhandlungen mit von Pfeffer in Mün­ster geführt werden: „Eine Überstürzung ist zwecklos, da gerade diese Angelegenheit von größter Bedeutung ist“, heißt es in einem Organisationsplan des VSB. Auch nach der organisatorischen Vereinigung von Nationalsozialisten und Völkischen zur NSFB (Nationalsozialistische Freiheitsbewegung) bildete die Pressefrage ein wichtiges innerparteiliches Thema. In einem Rundschreiben des Gaues Westfalen vom 1. Oktober 1924 wurde für Ende des Jahres 1924 als Pres­seorgan der „Völkische Westfale“ angekündigt, dessen Bezug allen Mitgliedern zur Pflicht gemacht werden sollte. Offensichtlich ist diese geplante Zeitung aber niemals erschienen. Das Projekt fiel ver­mutlich der kurz darauf einsetzenden Diskussion um eine Trennung von Nationalsozia­listen und Völkischen zum Opfer. Als Ende Februar 1925 in Hamm unter der Leitung von Gregor Strasser Vertreter der NSFB zur Neugründung der NSDAP zusammenka­men, soll auf dieser Tagung einem Brief Goebbels’ zufolge für Mitte 1925 in Dortmund die Herausgabe einer Gau-Tageszeitung geplant gewesen sein.

„Völkischer Beobachter“ vom 10. Juni 1923

Zögerlich bei der Gründung eines eigenen Presseorgans im Gau Ruhr

In den nächsten Jahren bis 1927/28 scheint die Diskussion um die Gründung eines eige­nen Presseorgans im Gau Ruhr erloschen zu sein. Jedenfalls finden sich weder bei Goeb­bels in seinen Tagebuchaufzeichnungen noch bei Beck oder in den verschiedenen Archiv­beständen Hinweise darauf. Als Grund dafür werden in erster Linie die schlechten finanziellen Verhältnisse des Gaues ausschlaggebend gewesen sein, die den Kauf oder den Aufbau einer Verlagsanstalt mit dem dazugehörigen Apparat unmöglich machten. Weniger hatten sie vermutlich ihren Grund in dem Fehlen geeigneter Journalisten; denn Leute mit den Fähigkeiten, die dann ab 1928 im Ruhrgebiet Zeitungen herausgaben, hätten sich jederzeit auch früher in den Reihen der Ruhrgebiets-NSDAP finden las­sen. Zum anderen sah man offensichtlich im Ruhrgebiet die im Kampfverlag erscheinende Wochenzeitung „Der nationale Sozialist für Rhein und Ruhr“ als Gau-Organ an, die zusammen mit anderen Presseerzeugnissen der Gebrüder Strasser im Ruhrgebiet größere Beachtung fand als etwa der parteioffizielle, in München erscheinende „Völkische Beobachter“. Im „Nationalen Sozialisten“ und in der „Berliner Arbeiterzeitung“ wurde nämlich das Geschehen im Gau Ruhr wesentlich ausführlicher kommentiert und stärker berücksichtigt als im „Völkischen Beobachter“.

„Westdeutscher Beobachter“ vom 1. April 1933

Ruf nach eigenen Gau-Zeitungen wurde immer lauter

Als dann ab 1927/28 von mehreren Seiten im Gau Ruhr der Ruf nach einer eigenen Gauzeitung immer lauter wurde, ging die Gauleitung daran, dem Projekt konkrete For­men zu geben. In einem Presserundschreiben vom 6. Juni 1928 kündigte der Gauleiter Kaufmann für den 6. Juli d. J. das Erscheinen der Wochenzeitung „Die Neue Front!“ an, die nach den Erfahrungen im Wahlkampf zur Reichstagswahl 1928 als Hauptaufgabe „mit allen Mitteln den örtlichen Kampf gegen die Presse des Gegners und der hierdurch beeinflussten öffentlichen Meinung“ führen sollte. Als verantwortlicher Herausgeber zeichnete Kaufmann; die Zeitung – Untertitel: „Wochenblatt der Werktätigen“ – er­schien mit ihrer ersten Nummer wie vorgesehen am 6. Juli 1928 in Essen. Die finanzielle Basis der „Neuen Front“ lässt sich nicht genau ermitteln, jedoch scheint das Startkapital sehr gering gewesen zu sein. Man sah anscheinend in Kreisen der Gau­leitung bei einer großen Zahl von Postbestellern – wohlhabende Parteigenossen sollten nach Anweisung des Gauleiters in den Anfangsmonaten mehrere Exemplare beziehen – und in der Anzeigenwerbung eine ausreichende „wirtschaftliche Rückversicherung und damit die Existenzmöglichkeit der Zeitung“ gegeben. Durch ständiges, organisiertes Nachfragen an den Zeitungskiosken aller Städte und Gemeinden des Gaugebiets sollten zudem die Zeitungshändler zum Bestellen der „Neuen Front“ veranlasst werden. Die Ausgangsposition der „Neuen Front“ war unter diesen Umständen wie die der meisten regionalen nationalsozialistischen Zeitungen schlecht, und an diesem Zustand sollte sich in der Folgezeit kaum etwas ändern. Bis zum Einstellen ihres Erscheinens hatte die „Neue Front“ nur geringen Erfolg: Ihre Auflagenhöhe wurde für Anfang September 1928 nach Ermittlungen der Polizei mit 2.000 Stück angegeben, die bis gegen Ende des Jahres auf ca. 5.000 Exemplare anstieg. Für Anfang 1929 gab die Bezirksleitung Essen offiziell zwar eine Auflagenhöhe von 25.000 Stück an; diese Zahl dürfte aber kaum den Tatsachen entsprochen haben. Die „Neue Front“ erschien bis Mitte Dezember 1930, dann wurde sie durch die „National-Zeitung“ abgelöst.

Linkszeitung „Der Funke“ 1933

Angewiesen, über „Schweinereien“ aus der Kommune zu berichten

Diese erste vom Gau Ruhr bzw. dann vom Bezirk Essen herausgegebene Wochenzeitung glich in ihrer äußeren Aufmachung, in ihrem Stil und in der Form ihrer Berichte eher einem Flugblatt als einer üblichen Wochenzeitung für einen festen Abonnentenkreis. Auch sie wollte weniger informieren als vielmehr für die Partei agitieren und in der Be­völkerung Aufsehen erregen. In ihren Berichten über das kommunale Geschehen in den Städten des Ruhrgebietes war die „Neue Front“ keineswegs zurückhaltend und bemühte sich auch nicht um eine objektive Berichterstattung. Terboven, Leiter des Bezirks Essen und Herausgeber der Zeitung nach Auflösung des Gaues Ruhr, wies seine Ortsgruppen­leiter auf einer Tagung Anfang 1929 an, aus ihren Kommunen an die Redaktion zu be­richten („da gebe es immer Schweinereien“): „Ferner biete das unmoralische Verhalten einzelner Persönlichkeiten gute Angriffspunkte. Hierbei käme nicht in Frage, ob der In­halt objektiv richtig sei oder nicht. Der Leser beurteile den Erfolg später nicht objektiv, sondern ob tatsächlich ein solcher eingetreten sei. Die Presse der jetzigen Regierungspar­teien sei früher ebenso verfahren.“

Gauleiter ordnete den Bezug der „Neuen Front“ an

Die „Neue Front“ wurde nicht nur im Bezirk Essen, sondern auch im übrigen Ruhrge­biet gelesen. Als Anfang Februar 1930 auf einer Bezirkskonferenz in Dortmund Vertre­ter des Gaues Westfalen ihrerseits auf die Herausgabe einer eigenen Gauzeitung für Westfalen drängten, wies der Gauleiter Wagner auf die schlechte wirtschaftliche Lage der „Neuen Front“ hin. Die Zeitung müsse zwangsläufig ihr Erscheinen bei einer weite­ren NSDAP-Zeitung im Ruhrgebiet einstellen, „was aus moralischen Gründen unter al­len Umständen vermieden werden müsse“. Zugleich ordnete Wagner für alle Parteige­nossen im Gau Westfalen den Bezug der „Neuen Front“ an. Mit dem Anwachsen der Mitgliederzahlen vom Sommer 1930 an und mit der gleichzei­tigen Auflösung des Kampfverlages gab sich die Gauleitung Westfalen mit dem Bezug einer Zeitung aus dem Bezirk Essen jedoch nicht mehr zufrieden. Nun wollte man in dieser Hinsicht von Essen unabhängig sein. Im Juli erfolgten die ersten Vorbereitungen zur Herausgabe einer eigenen Wochenzeitung, die unter dem Titel „Der Westfale“ für den 1. September 1930 in Aussicht gestellt wurde. Die neue Zeitung sollte einmal „der organisatorischen Verbundenheit und geistigen Verknüpfung zwischen Leitung und je­dem einzelnen Mitgliede“ dienen; zum anderen sollte sie „Schrittmacherin in unserem Kampfe um die rote Erde sein und die nationalsozialistische Weltanschauung bis in die letzte Hütte tragen“.

„Volkswacht“ vom 31. März 1933

„Westfalenwacht“ mehr von der ländlichen Bevölkerung gelesen

Am 1. Oktober 1930 erschien das neue Gauorgan erstmals unter dem Titel „Westfalen­wacht“ (Untertitel: „Für Freiheit und Brot“) in einer Auflagenstärke von zunächst 11.000 Exemplaren. Erscheinungsort war Bochum, Sitz der Gauleitung. Bis zum No­vember des Jahres war die Auflagenhöhe bereits auf 38.000 Stück angestiegen. Vom 1. Januar 1931 an erschien die „Westfalenwacht“ dann halbwöchentlich. Schon Ende No­vember sollen nach Ermittlungen der Polizei für Anfang 1931 ca. 55.000 Bestellungen vorgelegen haben. Als am 1. Februar 1931 im Gau Westfalen-Süd außerdem die Ta­geszeitung „Rote Erde“ herausgegeben wurde, hatte die „Westfalenwacht“ lediglich noch geringe Bedeutung. Sie bestand bis Ende Mai 1932 weiter, wurde aber nach Angaben der Gauleitung fast ausschließlich von der ländlichen Bevölkerung Westfalens gele­sen.

In ihrem Niveau unterschied sich die „Westfalenwacht“ trotz gleicher Grundeinstellung doch relativ positiv von der „Neuen Front“, obwohl auch sie in erster Linie Agitations­mittel der Partei war und ebenfalls vor Entstellungen, Lügen und Verleumdungen nicht zurückschreckte. Die wirtschaftliche Grundlage der „Westfalenwacht“ war zwar ebenso wie die der „Neuen Front“ schwach. Doch konnte sich die „Westfalenwacht“ bei der großen Anzahl an regelmäßigen Beziehern offensichtlich recht gut halten. Nach Ermittlungen der Polizeibehörden hatte die Zeitung bis Ende 1930 sogar mit einem „erheblichen Überschuss“ gearbeitet, aus dem mit Zustimmung der Gauleitung die zunächst benötigten Geldmittel für das neue Organ, die „Rote Erde“, genommen werden konnten.

Essener Gauleiter und Herausgeber Terboven

Anonymer Großindustrieller sicherte den Erhalt der „National-Zeitung“

Mit dem 15. Dezember 1930 stellte die „Neue Front“ ihr Erscheinen ein; gleichzeitig wurde stattdessen vom Gau Essen die „National-Zeitung“ herausgegeben. Als Her­ausgeber zeichnete Terboven; stellvertretender Chefredakteur war der spätere Reichs­pressechef Dr. Otto Dietrich. Bis Ende des Jahres erschien die „National-Zeitung“ nur in einer Essener Ausgabe, ab Januar 1931 dann aber auch mit Nebenausgaben für Duis­burg, Oberhausen und das westfälische Dortmund. Dieser Neuerung war ein salomoni­sches Urteil des Untersuchungs- und Schlichtungsausschusses der NSDAP unter dessen Vorsitzenden Buch in Gegenwart Hitlers vorausgegangen. Wagner, Gauleiter von West­falen, hatte sich offensichtlich gegen eine Verbreitung der gaufremden „National-Zei­tung“ in Städten seines Gaugebietes gewehrt und den Untersuchungsausschuss angerufen. Hitler entschied: Beide Gauleiter dürften ihre Zeitungen in den benachbarten Gauen herausgeben und den Hauptausgaben „Blätter örtlicher Prägung“ beilegen. Die „National-Zeitung“ schwebte stets in Geldnöten. Ihre Auflage stieg ab Dezember 1930 von 16.000 Exemplaren bis Ende 1932 auf 27.800 Stück, so dass von ihrem Vertrieb kaum mehr als die anfallenden Kapitalkosten gedeckt werden konnten. Denn bei der Gründung hatte dem Gauleiter Terboven ein Kapital von nur 20.000 Mark zur Verfü­gung gestanden, mit dem er eine Druckerei im Werte von mehr als 200.000 Mark kaufte. Diese Tatsache zeigt einmal mehr, wie schlecht die finanziellen Verhältnisse der NSDAP auch noch nach 1929/30 tatsächlich waren. Bei der vielfach angenommenen, bis heute aber noch nicht überzeugend nachgewiesenen Finanzierung der NSDAP vor der Machtübernahme durch Kreise der Großindustrie hätte – zudem im Herzen des Ruhr­gebietes – der Gauleitung Essen die Beschaffung von 200.000 Mark für den notwendi­gen und dringenden Kauf der Druckerei jedoch keine Schwierigkeiten bereiten dürfen.

Einstellung der Westfälischen Volks-Zeitung 1933

Als im Herbst 1931 aufgrund einer Verordnung der Reichsleitung die Verbreitung von Gauzeitungen über die Gaugrenzen hinaus generell verboten wurde, geriet die „National-Zeitung“ sofort in größte wirtschaftliche Schwierigkeiten, da der Zeitung mit dieser Verordnung eine wesentliche Grundlage ihrer Existenz entzogen wurde. Bis Ende 1932 sank unter diesen Umständen die Auflagenziffer nach Ermittlungen der Polizeibehörden auf 15.000 Exemplare, und die Schuldenlast stieg infolgedessen weiter an. Ihr Erschei­nen war Ende 1931 sogar nur noch aufgrund der Bürgschaft eines nicht genannten Groß­industriellen gesichert. Aus den Berichten der Polizeibehörden für das Jahr 1932 ist zu ersehen, dass die „National-Zeitung“ bis zur Machtergreifung fortwährend am Rande des Ruins schwebte und vermutlich ohne das Eintreten des 30. Januar 1933 kaum über das Frühjahr d. J. hinaus hätte weiter erscheinen können.

„Rote Erde“ – Kampfblatt für den „Arbeiter der Faust und Stirn“

Die vom Leiter des Gaues Westfalen-Süd, Wagner, in Bochum herausgegebene Tageszei­tung „Rote Erde“ hatte im Gegensatz zur „National-Zeitung“ größeren Erfolg. Die Zeitung erschien für die Gaugebiete Westfalen-Nord und Westfalen-Süd erstmals am 2. Februar 1931 mit einer Auflage von 8.000 Stück, die konstant bis zum Januar 1933 auf über 20.000 Exemplare gesteigert werden konnte. Die finanzielle Grundlage der „Roten Erde“ bildeten Überschüsse aus dem Vertrieb der „Westfalenwacht“, die als Startkapital herangezogen werden konnten. Hinzu kamen nach Ermittlungen der Poli­zei Gelder der Reichsparteileitung. Das fehlende Kapital wurde durch die Ausgabe von Anteilscheinen gedeckt. Trotz regelmäßiger Einnahmen aus dem Vertrieb der Zeitung war aber auch die „Rote Erde“ bis zum Sommer 1932 in wirtschaftlichen Schwierigkei­ten, bis es – allerdings auf nicht bekannte Art und Weise – der Gauleitung gelang, den Verlag zu sanieren. Die „Rote Erde“ sollte „das Kampfblatt sein für den deut­schen Arbeiter der Faust und der Stirn. Sie wollte auch dem letzten verhetzten Volksge­nossen am Hochofen und im Bergwerk das revolutionäre und sozialistische Wollen der nationalsozialistischen Bewegung klar machen. Sie wollte die marxistischen und zentrümlichen Lügen von der Arbeiterfeindlichkeit der Nationalsozialisten zerstören und so den Boden vorbereiten für die Einigung des deutschen Arbeitertums unter nationalsozia­listischer Flagge“.

Gewaltsame Vereinigungen von Zeitungen 1933

Aufgrund ihrer Berichte wirkte die „Rote Erde“ anziehender als die „National-Zeitung“, eine Tatsache, die schließlich in dem Erfolg der Zeitung zum Ausdruck kam. Sie brachte Beiträge zu innen- und außenpolitischen Problemen; daneben hatte sie  Raum für regionale parteiinterne Nachrichten. Bilder, Rätsel, Romanfortsetzungen, ausführliche Reportagen von Sportereignissen auch lokaler Bedeutung und selbst kirchliche und kulturelle Nachrichten und Ankündigungen machten das Blatt nicht nur für die Parteigenossen attraktiv. Wie alle anderen nationalsozialistischen Zei­tungen wurde auch die „Rote Erde“ wegen ihres staatsgefährdenden Charakters wieder­holt verboten, und die verantwortlichen Redakteure wurden zu Geldstrafen verur­teilt.

Letzte Ausgabe vom 21. Februar 1933

Am 23. April 1933 wurde der „Dortmunder General-Anzeiger“ gewaltsam von den Nationalsozialisten mit der „Roten Erde“ vereinigt. Abteilungen der SA hatten auf­grund einer im „General-Anzeiger“ erschienenen Karikatur Hitlers zu dessen Geburts­tag auf Weisung des neuen Polizeipräsidenten, SA-Gruppenführer Schepmann, die Ver­lagsräume besetzt; die Staatsanwaltschaft wurde sogleich „zum Eingreifen gezwungen“. Die Besitzer des Verlages mussten nachgeben, und die Gauleitung Westfalen-Süd konnte auf diesem Wege die modernste Druckerei Europas „aufkaufen“. Die „Westfälische Lan­deszeitung Rote Erde“, wie das Blatt in Zukunft hieß, erreichte nach dem Zusammen­schluss schon im Mai 1933 eine Auflagenhöhe von 115.000 Exemplaren, die bis Ende d. J. auf 152.000 Stück gesteigert werden konnte. Die NSDAP hatte sich damit auf ihre Weise an einem ihrer erbittertsten Gegner gerächt.

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Quelle: Entnommen der Dissertation von Dr. Wilfried Böhnke „Die NSDAP im Ruhrgebiet 1920-1933“, als gleichnamiges Buch 1974 in der Neuen Verlagsgesellschaft Bonn-Bad Godesberg erschienen (Schriftenreihe des Forschungsinstituts der Friedrich-Ebert-Stiftung, Band 106.

 

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