Von Wolf Stegemann
Mit „Fremdarbeiter-Zeitungen“ wurde im nationalsozialistischen Deutschland das Propaganda-Netz auch über den mehr als zwölf Millionen Ausländern ausgebreitet, die in der deutschen Kriegswirtschaft arbeiten mussten. Ein Exkurs in die unrühmliche Geschichte der Zeitungen für Ausländer.
„12. April 1941: Ich kümmere mich stark um die kulturelle Betreuung der im Reich arbeitenden ausländischen Arbeiter. Das sind mehrere Hunderttausend… Wir sind auf ihre fleißige Arbeit angewiesen.“ Die Notiz aus dem Tagebuch des Joseph Goebbels ist knapp. Der Reichspropagandaminister setzte in den Apriltagen des Jahres 1941 aber eine Maschinerie in Gang, die bis zum Ende des Zweiten Weltkrieges immer schneller lief: die Propaganda für „Fremdarbeiter“.
Nazi-Propaganda machte vor den Lagertoren nicht Halt
Zwölf Millionen Ausländer, so schrieb im Juli 1943 die „Deutsche Bergwerkszeitung“, arbeiten in der deutschen Kriegswirtschaft. Historiker schätzen, dass diese Zahl tatsächlich noch weit höher war. Ohne die Männer und Frauen, die meist unter Zwang aus ihrer Heimat ins Reich verschleppt worden waren, wäre die deutsche Wirtschaft zusammengebrochen und mit ihr der Krieg. Die Ausländer, die in der Landwirtschaft, in den Kohlengruben und Panzerschmieden arbeiteten, mussten oft Waffen herstellen, die gegen ihr eigenes Volk eingesetzt wurden. Ihre Lebensbedingungen waren katastrophal – es fehlte an allem: Bekleidung und Schuhwerk waren unzureichend, die Lager in Baracken, Wirtshaussälen und Schulzimmern kalt und elend, die kargen Essensrationen wurden von profitsüchtigen deutschen „Lagerführern“ noch mit Wasser gestreckt. Doch das perverse Nazi-Propaganda-Netz, mit dem Goebbels das Deutsche Reich überspannt hatte, machte auch vor den Lagertoren der Fremdarbeiter nicht Halt.
Schon wenige Tage nach Goebbels’ Tagebucheintrag erschienen die ersten Wochenzeitungen für „Fremdarbeiter“ – zunächst für Dänen, Flamen, Holländer, Italiener, Slowaken und Wallonen. Weitere Titel, im wesentlichen in slawischen Sprachen, kamen im Laufe des Krieges hinzu. Produziert wurden diese vier bis acht Seiten starken Zeitungen von ausländischen Kollaborateuren. Ihr Chef war der deutsche Hauptschriftleiter Heinrich Satter, der sich seine Meriten als Propaganda-Mann in Spanien erworben hatte. So gab es im Frühjahr 1941 bereits fünf solcher Zeitungen im Deutschen Reich, bis Ende 1944 waren es 42 Titel (auch für „Ostarbeiter“ gab es eine eigene Zeitung“).
Zunächst Nebenprodukte des Fremdsprachendienstes
Zunächst erschienen die „Fremdarbeiter“-Blätter als Nebenprodukt des Fremdsprachendienstes der Reichsrundfunkgesellschaft. Doch schon bald gründete das Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda (RMVP) eine eigene Abteilung für diese Zeitungen. Um die „Volksaufklärung“ in Grenzen zu halten, wurde die RMVP-Abteilung als eigenständige „Fremdsprachendienst-Verlag GmbH“ getarnt, die ihren Sitz an der Friedrichstraße im Berliner Zeitungsviertel hatte. Im Juni 1943 hatte der Fremdsprachendienst 352 Mitarbeiter, wobei unter deutscher Verlagsleitung die 130 Personen starke Redaktion hauptsächlich aus Ausländern bestand. „Nicht nur die Bezahlung [sie erhielten Monatsgehälter zwischen 550 und 1200 RM], sondern auch die Hotelunterbringung und das Benehmen der ausländischen Mitarbeiter des Verlages“, so schrieb Thomas Schiller in seiner bibliographischen Studie über die „Lagerzeitungen für Fremdarbeiter im Zweiten Weltkrieg“, die er unter dem Titel „NS-Propaganda für den Arbeitseinsatz“ 1997 veröffentlichte, stand „in so krassem Gegensatz zu den Lebensbedingungen verschleppter Fremdarbeiter, dass kein Zweifel bleibt, dass sie zu einer Elite gut verdienender ausländischer Kollaborateure gehörten.“
„Le Pont“ war die erste Fremdarbeiter-Zeitung – für Franzosen
Dazu die Historikerin Dr. Cordula Tollmann (Stadtarchiv Göttingen): „Eine der ersten dieser Zeitschriften war die im Mai 1941 gegründete französische Zeitung, Le Pont. Hebdomadaire de l’Amicale des Travailleurs Français en Allemagne’ (Die Brücke. Wochenzeitung der Vereinigung französischer Arbeiter in Deutschland). Initiiert worden war diese Zeitung von der Deutsch-Französischen Gesellschaft, eine Neugründung des Jahres 1935, deren Geschäftsführer der deutschen Diplomaten und SS-Mann Otto Abetz war, der 1934 selbst für die Auflösung der sich der Versöhnung und dem Austausch verschriebenen 1928 gegründeten ursprünglichen Deutsch-Französischen Gesellschaft gesorgt hatte. Im Juli 1942 musste die Deutsch-Französische Gesellschaft allerdings ,Le Pont’ an den im September 1939 gegründeten Fremdsprachendienst der Reichsrundfunkgesellschaft, der im Frühjahr als Fremdsprachendienst Gmbh selbstständig wurde und direkt dem Reichspropagandaministerium unterstand, abgeben.“ – „Le Pont“ erschien wöchentlich in einer Auflage von 44.000 bis 61.754 bis September 1944. Die Zeitschrift ist in Deutschland nur noch mit einigen Exemplaren aus dem Jahr 1943 im Dortmunder Institut für Zeitungsforschung nachweisbar.
Die Rolle der Propaganda
Mit seiner „Lagerzeitung“ versuchte der „Fremdsprachendienst“ die Nazi-Ideologie eines neuen Europa unter deutscher Führung zu verbreiten. Die „Fremdarbeiter“ sollten „zum ersten Propagandisten für Deutschland und die europäische Zusammenarbeit“ werden, hieß es im ersten Geschäftsbericht des Verlags. Und je weiter im Laufe des Krieges Terror und Zwangsmaßnahmen versagten, um aus den Arbeitern die höchstmögliche Leistung herauszupressen, um so wichtiger wurde die Rolle der Propaganda, wie Hannah Arendt in ihrer Totalitarismus-Theorie diese Wechselbeziehung analysiert.
Ein weiteres Ziel der „Fremdarbeiter“-Presse war die „Zurückweisung und Neutralisierung der Feindpropaganda“ bei den ausländischen Arbeitern im Reich. Denn die informierten sich, so gut sie konnten, über „Feindsender“, aber auch durch Berichte von Urlaubern oder Neuankömmlingen. Dem setzten die Titel des „Fremdsprachendienstes“ die Nazi-Sicht der Welt entgegen: mit Berichten aus den Heimatländern, aus Deutschland und über den Kriegsverlauf.
Daneben wurden Romane gegen die Langeweile nach Feierabend veröffentlicht, sogar Witzecken zur Aufheiterung des finsteren Lagerlebens – und Sprachkurse, um den „Arbeitseinsatz“ zu rationalisieren. Ein Beispiel aus „Ukrainec“ zur Zeit der Hackfruchternte: „Lernen wir deutsch: Kartoffel, Rübe, Hackfrüchte, Mohrrübe, Möhre, Karotte, Zuckerrübe.“ Spezielle Zeitungen für ausländische Bergarbeiter, die gemeinsam mit dem heute in Essen ansässigen „Glückauf-Verlag“ herausgegeben wurden, illustrierten die Fachausdrücke für den „Arbeitseinsatz“ unter Tage sogar mit Bildern.
Je wichtiger die Arbeitskraft der „Fremdarbeiter“ wurde, desto stärker stieg die Auflage: Als Ende 1944 deutsche Zeitungen wegen Papierknappheit mit reduziertem Umfang oder überhaupt nicht mehr erschienen waren, kletterte die Auflage der „Lagerzeitungen“ über die wöchentliche Millionen-Marke. Einige der weit mehr als 30 Titel verdoppelten sogar noch kurz vor Kriegsende ihre Erscheinungsweise auf zwei Ausgaben pro Woche.
Profane Verwendung der Zeitung auf der Toilette
Dass alle Zeitungen tatsächlich in dem von den Nazis beabsichtigten Maße gelesen wurden, darf allerdings bezweifelt werden. Im „Lagerführer-Sonderdienst-Heft“ vom Juni 1944 klagt Lagerführer Paul W., mangels Butterbrotpapier würden Arbeiter die „Lagerzeitung“ zum Einwickeln ihrer Stullen benutzen. „Ich stellte sofort diese Missetäter zur Rede und verbot, Lagerzeitungen und Broschüren als Einwickelpapier zu benutzen. Es tritt jetzt also die Frage auf, wie die Lagerbewohner ihr Frühstücksbrot verpacken sollen.“ Ein holländisches Widerstandsblatt, das auf Schiffen nach Deutschland geschmuggelt wurde, empfahl für die Propaganda-Zeitung „Van Honk“ eine profanere Verwendung: „Tekort aan W. C. papiertjes?? Gebruikt Van Honk!!“
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