Erinnerungen Erich Jacobs’, jüdischer Lehrer in Recklinghausen: Nach dem Tod der Mutter holte der Sohn den Sarg nach Recklinghausen

Erich Jacobs konnte 1941 mit seiner Familie gerade noch rechtzeitig Deutschland verlassen und in Kuba bzw. den USA eine neue Heimat finden. Dort schrieb er seine Erlebnisse auf mit dem Hinweis an seine Familie, diese erst nach seinem Tod zu lesen. Er starb 1973. Die Tochter Fredel, in den USA geboren, stellte freundlicherweise das Manuskript zur Verfügung, aus dem seine Erinnerungen an Recklinghausen in der Zeit von 1937 bis 1941 in mehreren Artikeln veröffentlicht sind. Es sind erschreckende Erinnerungen.

Meine Mutter Emma Jacobs, wurde am 16. April 1866 in Siedlinghausen geboren und lebte zuletzt als Witwe in Nuttlar. Sie hat die politischen Ereignisse nie verstanden und vor allem auch nicht die Verfolgung der Juden. Sie ist mit Gojim aufgewachsen, hatte ihr Geschäft mit den Gojim, die sie nie betrogen hatte, die Kunden vertrauen ihr, sie half den Armen und Kranken. Und ganz plötzlich war alles vorbei. Mutter war gezwungen, ihr Haus zu verkaufen, um Geld für Lebensmittel zu haben. Mutters Leben war immer Arbeit. Und dann kam die Verfolgung. Das war zu viel für sie. Sie verlor den Willen zum Leben. Sie wurde schwächer und schwächer. Ich glaube, sie war bei uns in Recklinghausen zum letzten Mal im Winter 1940. Adele schrieb uns 1941, dass Mama krank war. Obwohl Juden nicht mehr reisen durften, fuhr ich unter Lebensgefahr zur kranken Mutter ins sauerländische Nuttlar. Sie starb mit Beginn des 7. Tags des Pessach am 17. April 1941, einen Tag nach ihrem 75. Geburtstag. Ich schloss ihre Augen – und ich muss G-tt dankbar sein, dass er ihre Leiden gestoppt hat.

Mutter Emma Jacobs aus Nuttlar

[Erich Jacobs Mutter konnte auf den jüdischen Friedhöfen in Bigge und Umgebung nicht mehr bestattet werden, weil sie amtlich geschlossen waren. Die Bezirksregierung Arnsberg empfahl daher, sie auf einem christlichen Friedhof in Brilon zu bestatten. Dies wäre möglich gewesen. Doch der Sohn wollte das nicht, weil es auf christlichen Friedhöfen kein eigenes Ruherecht gibt. Als orthodoxer Jude wollte er seine Mutter unbedingt auf einem jüdischen Friedhof bestattet wissen.]

Ich rief Hetti in Recklinghausen an und bat sie, dem Vorsitzenden der Gemeinde zu sagen, dass wir unsere Mutter auf dem jüdischen Friedhof in Recklinghausen begraben werden. Der Friedhof gehörte der Gemeinde. (Der Vorsitzende war einverstanden). Der, der sich um die Beerdigung kümmerte, wollte den Sarg in Nuttlar abholen, doch er bekam von den Behörden dafür kein Benzin. Die Entfernung von Recklinghausen nach Nuttlar war etwa 100 Meilen. […] Ich ging zum Bahnhof in Nuttlar! Es war nun bereits am Nachmittag des 8. Tags des Pessach. Der Stationsvorsteher rief den Stationsvorsteher in Bestwig an und fragte, ob wir einen Güterwaggon für den Sarg bekommen konnten. Antwort: „Während des Krieges sind Güterwagen sehr knapp!“ Der Stationsvorsteher in Nuttlar sagte mir dann: „Bringen Sie den Sarg übermorgen früh hier!“ […] Jetzt stellte sich die Frage: Wer wird bereit sein, den Sarg zum Bahnhof zu bringen? Es gab keine Juden, die ihn tragen konnten, denn alle Juden mussten für den Staat arbeiten! Niemand konnte es wagen, abwesend zu sein. Und die Nicht-Juden hatten wegen der Nazis Angst, es zu tun. Schließlich war einer unserer guten Freunde bereit (er hatte ein Pferd und Wagen), da es in den frühen Morgenstunden durchgeführt werden würde. Und so war es dann auch! Der Waggon wurde an den regulären Zug angehängt, in dem wir reisten. Hetti hatte in Recklinghausen die Gemeinde über unsere Ankunft informiert, die sich dann am Friedhof versammelte, um schließlich vier Tage nach ihrem Tod meine Mutter zu beerdigen. [Friedhof am Nordcharweg].

Tage später begrub ich den Vorsitzenden der Gemeinde in Recklinghausen, Herrn Hirschberg. Im Mai 1941 hatte ich die Asche von einem Herrn Tepper, der im KZ getötet worden war, begraben. Das Amtliche bei Beerdigungen war eine meiner Hauptaufgaben in diesen Jahren – nebbig!

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Weitere thematische Auszüge aus seinen Memoiren …

Erinnerungen Erich Jacobs’, jüdischer Lehrer in Recklinghausen: Ankunft in der jüdischen Gemeinde

Erinnerungen Erich Jacobs’, jüdischer Lehrer in Recklinghausen: In der Israelitischen Volksschule wurden alle Kinder in einem Raum unterrichtet

Erinnerungen Erich Jacobs’,  jüdischer Lehrer in Recklinghausen: November-Pogrom 1938 – Aus dem Bett geholt und blutend ins Gefängnis gebracht

Erinnerungen Erich Jacobs’,  jüdischer Lehrer in Recklinghausen: Nach dem Pogrom: jüdische Schule, Jethros Geburt, Judenhäuser – das Leben geht weiter

Erinnerungen Erich Jacobs’, jüdischer Lehrer in Recklinghausen: Letztmögliche Emigration über Spanien und Kuba in die USA. „Wir alle könnten ein ברכה sagen, dass wir frei waren!“

… und seinem Leben:

Erich Jacobs – ein jüdischer Lehrer in Recklinghausen konnte mit seiner Familie noch 1941 nach Kuba emigrieren. „Das war ein Wunder“ sagte er

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