Fremdarbeiter waren die Sklaven eines barbarischen Systems. Über das Millionenheer der Zwangsarbeiter

Fremdarbeiterinnen aus der Ukraine im Mai 1942 vor der Abfahrt nach Deutschland ; Foto: Bundesarchiv

Von Wolf Stegemann

Mit dem Beginn des Krieges kam es zu Schwierigkeiten vor allem in der Wirtschaft und Industrie. Die Umstellung auf die Kriegswirtschaft und die Einberufung wehr­fähiger Männer zur Wehrmacht verschärften den bereits schon vor dem Krieg spürbaren Mangel an Arbeitskräften. Um die fehlenden männlichen Arbeiter er­setzen zu können, wurde zunehmend (die nach 1933 zunächst verpönte) Frauenarbeit propagiert, was rasch auf den Widerstand der Frauen stieß, die weitaus weniger ver­dienten als die Männer. Deshalb griff der Staat zunehmend zu dem Mittel der „Dienst­verpflichtung“.

Am 31. Mai 1941, wenige Wochen nach dem Überfall auf die Sowjetunion, standen der deutschen Wirtschaft neben 35 Millionen ar­beitsfähigen Deutschen noch 1.66 Millionen „Ausländer und Juden“ sowie 1,23 Millionen Kriegsgefangene aus den siegreichen Westfeldzügen der Wehrmacht zur Verfügung. Um den steigenden Forderungen der Rüstungsindustrie nachzukommen, hatte Hit­ler sich Ende 1941 entschließen müssen, durch Führerbefehl die „Zuführung aller ge­eigneten kriegsgefangenen Russen in die Rüstungsindustrie“ anzuordnen. Von einem mehrere Millionen umfassenden Heer sowjetischer Kriegsgefangener war Anfang Mai 1942 nur noch rund eine Million am Le­ben. Davon stand etwa die Hälfte im Reichs­gebiet „in Arbeit“. Rund 7.000 russische Kriegsgefangene waren Mitte April 1942 aus Gefangenen- und Konzentrationslagern »ausgekämmt« und davon 2.000 als „Ar­beitsfähige“ an die durch den Kriegsdienst der Männer beraubten Landwirtschaft abge­geben worden.

Arbeitskräfte gewaltsam ins Reich geschafft

Um die Rüstungsindustrie anzukurbeln, wurde Gauleiter Sauckel im März 1942 „Generalbevollmächtigter für den Arbeitseinsatz“. In den berüchtigten „Sauckel-Aktionen“ ließ er ausländische Ar­beitskräfte mehr oder weniger gewaltsam ins Reich schaffen. Die Zahl dieses internatio­nalen Sklavenheeres (hauptsächlich aus Po­len und der Sowjetunion) stieg rasch an: von drei Millionen im Jahre 1941 auf 7,5 Millio­nen Ende September 1944. Je weiter der Krieg fortschritt, desto rück­sichtsloser trieben SS-Einheiten und Spezial-Kommandos in den besetzten Gebieten ar­beitsfähige Männer und Frauen zusammen. Freiwillige gab es kaum noch. Ein deutscher Verwaltungsbeamter des Ost­ministeriums schrieb an Generalgouverneur Franck einen Bericht, in dem er auf die Fol­gen solcher gewaltsamen Treibjagden auf ar­beitsfähige Männer und Frauen hinwies:

„Wilde, rücksichtslose Menschenjagd, wie sie überall in Stadt und Land, auf Straßen und Plätzen, Bahnhöfen, ja sogar in Kirchen sowie nachts in Wohnungen durchgeführt wird, hat das Sicherheitsgefühl der Einwoh­ner erschüttert. Jedermann ist der Gefahr ausgesetzt, irgendwo und irgendwann von den Polizeiorganen plötzlich und unerwartet gefasst und in ein Sammellager geschleppt zu werden. Niemand von seinen Angehörigen weiß, was mit ihm geschehen ist.“

Karteikarten von Fremdarbeitern in Dorsten

Unmenschliche Transport-Zustände

In Güterwagen schaffte man die zusammen­getriebenen Menschen ohne ausreichende Versorgung nach Deutschland. Es waren oft dieselben Eisenbahnzüge, mit denen Juden aus dem Westen in die östlichen Vernichtungslager oder ausgemergelte Ostarbeiter in ihre Heimat zurück transportiert worden waren. Der Bericht von Dr. Gutknecht vom 30. September 1942 an das Ostministerium schildert die unmenschlichen Zustände der Sklaventransporte: Bei Brest-Litowsk habe ein Zug mit „neu angeworbenen“ russischen Arbeitskräften auf dem Gleis neben einem aus Deutschland kommenden und mit ausge­mergelten Ostarbeitern voll bepackten Zug gestanden, „was angesichts der Toten in dem Rückkehrerzug zu einer Katastrophe hätte führen können. Wie in diesem Zug Frauen Kinder geboren haben, die während der Fahrt aus dem Fenster geworfen wurden, während in dem gleichen Wagenraum tuber­kulöse und geschlechtskranke Frauen mit­fuhren, wie hier Sterbende in Güterwagen ohne Stroh lagen und schließlich einer der Toten auf der Bahnböschung landete so dürfte es auch mit den anderen Rücktransporten bestellt gewesen sein“. Solche Erlebnisse mögen für die Angewor­benen oder zwangsweise Verschleppten dazu beigetragen haben, schon frühzeitig ihre ei­gene leidvolle Zukunft zu erkennen.

Strenge Strafen bei Verstößen gegen die Disziplin

Während die der deutschen Rüstungsindu­strie zugeführten Kriegsgefangenen bewacht in Lagern lebten, genossen die so genannten Ostarbeiter zwar eine relative Freiheit, aber neben den Richtlinien über den Einsatz der Ostarbeiter und der Lagerordnung, die der Reichsführer-SS und die Deutsche Arbeits­front (DAF) herausgegeben hatten, gab es auch noch sicherheitspolitische Anordnun­gen über die Behandlung der in Lagern untergebrachten Ostarbeiter. Es waren Anord­nungen, die streng vertraulich zu behandeln waren und Außenstehenden nicht bekannt werden durften.

Ost-Arbeiter-Abzeichen aus Stoff

Ein vom Sicherheitsdienst angeworbenes „Netz von Vertrauenspersonen“ sorgte als „Lagerdienst“ für die Aufrechterhaltung von Disziplin und Ordnung. Den Ostarbeitern war der Verkehr mit Kriegsgefangenen aller Nationen und mit Deutschen verboten. Eine seelsorgerische Betreuung war uner­wünscht, später verboten. Der Dorstener Priester Laurenz Schmedding kam ins KZ Dachau, weil er Polen und Jugoslawen geist­lichen Beistand zukommen ließ. In den vertrau­lichen Anordnungen für die Unterbringung und Behandlung von Ostarbeitern heißt es u. a.:

„Die Lager dürfen nicht mit Stacheldraht umzäunt und die Fenster nicht vergittert werden. Das Lager muss jedoch mit einer Umzäunung versehen sein, die eine Flucht möglichst erschwert und einen Zutritt von Deutschen und anderen ausländischen Ar­beitskräften unmöglich macht. Den Ostar­beitern soll der Eindruck genommen wer­den, dass sie wie Gefangene gehalten wür­den. Es ist deshalb erforderlich, die Lager­insassen über die Notwendigkeit einer fe­sten Umzäunung in geeigneter Form auf­zuklären. Ebenso ist bei Kennzeichnung mit dem »Ost«-Abzeichen zu verfahren, das keine Diffamierung darstellt, sondern bei der Millionenzahl der eingesetzten Ostarbei­ter aus sicherheitspolizeilichen Gründen unerlässlich ist…“

Wer gegen die Disziplin oder die Anordnun­gen verstieß, konnte bestraft werden. Zu den „milden Strafen“ gehörten „Ordnungs­übungen nach Beendigung der Arbeitszeit“ oder „Zuteilung zum Straftrupp“. Ein sol­ches Straflager befand sich auf dem Werksge­lände der CWH Marl-Hüls. Viele überlebten die Tortur dieser »milden Strafen« nicht: In Standesamtsakten sind die Todesursachen festgehalten: Kreislaufversagen, Herz­schwäche, Schädelbruch, Freitod …

Nicht nur in Straflagern gab es Tote. Auch in Dorstener Lagern wurden Ostarbeiter erschlagen, erhängt, erschossen. Grabsteine und Massengräber auf den Friedhöfen der Stadt sind stumme Zeugen.

 

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