Von Wolf Stegemann
»Es ist doch kein Leben mehr für euch!« – Diese warnende Feststellung musste sich der Dorstener Viehhändler Moses Rosenbaum, der auch Max gerufen wurde, von Bauern oft anhören. Manche Kunden, die trotz Bedrohungen durch das NS-Regime mit ihm weiterhin Geschäfte machten, kamen nur noch nachts, um nicht gesehen zu werden. Später blieben sie ganz aus. Die bis zu ihrem Tod im holländischen Arnheim wohnende Witwe Frieda Rosenbaum geborene Humberg wurde am 7. Juli 1892 in Klein Reken geboren. Ihre Eltern zogen mit den neun Kindern in den 1920er-Jahren nach Lippstadt. Die Mutter war eine Kusine von Sophie Lebenstein aus Lembeck.
Frieda Humberg heiratete 1931 den damals 51-jährigen Witwer Max (Moses) Rosenbaum aus Raesfeld, der drei Söhne aus erster Ehe hatte: Walter, Max und Ernst. 1932 gaben die Eheleute ihr Viehhandelsgeschäft in Raesfeld auf und zogen mit den erwachsenen Söhnen nach Dorsten, wo sie in einem Mietshaus am Ostwall 20 wieder ein Viehhandelsgeschäft eröffneten. Seine Kunden hatte Rosenbaum in Dorsten, Kirchhellen, Altendorf-Ulfkotte, Scholven, Gelsenkirchen, Wulfen und in der Feldmark. Die hoch betagte Witwe erinnerte sich Mitte der 1980er-Jahre noch an die Namen Fahnebrock und Bellendorf in Dorsten, an Nothelle in Altendorf, Kuhlmann in Erle. »Das katholische Krankenhaus war unser Hauptkunde.«
Grabstein verschwand auf dem jüdischen Friedhof
In der Nazizeit verloren die Rosenbaums immer mehr Kunden. »Wir lebten sehr zurückgezogen und fielen nicht weiter auf«, erinnerte sich die Witwe Rosenbaum. »Schlimme Anfeindungen haben wir nicht erfahren.« Dazu Sohn Ernst, der noch vor 1933 in Borken das Abitur machte und anschließend Viehhändler wurde: »Mir hat nie einer ,Juda verrecke‘ nachgerufen!« Allerdings hat er 1935 in Osnabrück einen Anschlag auf ein jüdisches Geschäft gesehen. »Von da an war mir klar«, so Ernst Rosenbaum, »dass wir in Deutschland nicht mehr bleiben konnten.« Der Vater starb im selben Jahr und wurde auf dem Dorstener jüdischen Friedhof beerdigt. Grabstein und Grab verschwanden in den folgenden Jahren.
Verstecke im Wald und in ausgehobenen Gruben
Im holländischen Winterswijk hatten die Rosenbaums Verwandte. 1937 verzogen die Söhne illegal nach Westendorp bei Doetinchem; ein Jahr später ließen sie ihre Mutter aus Dorsten nachkommen. Nach dem Einmarsch der Deutschen in Holland musste sich die Familie verstecken. »Auch vor Holländern«, erinnerte sich Ernst Rosenbaum. Manchmal versteckten sie sich mitten in einem Kornfeld oder suchten vor deutschen Soldaten Zuflucht in Gräben. »Ein paar Monate verbrachten wir im Herbst und Winter in einem Waldstück unter Sträuchern und Bäumen in einer ausgehobenen Grube. Freunde brachten Lebensmittel und warme Decken.«
1942 gaben die Rosenbaums ihr mobiles Untertauchen auf, weil sie ein ständiges Versteck bei einem Bauern in der Nähe von Vrassefeld fanden. Unter dem Dach einer Scheune waren acht Personen untergebracht. Durch eine Luke wurde ihnen das Essen gereicht. Die Situation war gefährlich, denn zeitweise war im Bauernhaus die Schreibstube einer deutschen Militäreinheit untergebracht. Neben der Gefahr des Entdecktwerdens war die Einquartierung der Soldaten aber ein guter Schutz vor Hausdurchsuchungen durch die Gestapo oder holländische Polizei. Das hinter dem Haus befindliche Toilettenhäuschen wurde sowohl von der Familie des Bauern wie von den deutschen Soldaten benutzt. Nachts gingen die Juden auf das Häuschen. Als dies schließlich zu gefährlich wurde, bekamen die Flüchtlinge einen Eimer auf den Dachboden gestellt.
Platz mit Munitionssäcken der Widerstandsbewegung teilen
Unter solchen Verhältnissen verbrachten die Rosenbaums zweieinhalb Jahre auf dem Dachboden. Ihre Welt war die Enge zwischen Balken und Stroh, zwischen Toiletteneimer und Essensluke. Betreut wurden die Flüchtlinge von der holländischen Untergrundbewegung. Manchmal mussten die Rosenbaums und die anderen unter dem Dach untergebrachten Juden den Platz mit Säcken voller Munition teilen, die von Mitgliedern der holländischen Widerstandsbewegung dort versteckt wurden. Nach Beendigung des Krieges und nach der Befreiung blieben die Rosenbaums in Holland. Die Brüder Max und Ernst gründeten ein Viehhandelsgeschäft. Max Rosenbaum starb 1981. Die Mutter konnte die Jahre der Flucht und der Angst nicht vergessen. Ihr Sohn Walter kam am 20. März 1943 im Konzentrationslager Sobibor ums Leben; Neffen, Nichten und andere Verwandte auch. »Ich kann sie nicht alle aufzählen«, sagte sie, die nach Deutschland nie wieder zurück wollte, mit großer Bitterkeit in der Stimme. – Im Jüdischen wünscht man dem anderen, er möge 120 Jahre alt werden. Frieda Rosenbaum war auf dem besten Wege dahin. Sie war 103 Jahre alt, als sie in Arnheim starb.
Thank you for writing about my great-aunt, Frieda Humberg Rosenbaum, who, my grandmother’s sister. I hope I can find someone to translate this, as the „google translator“ did not do a good job. Tante Frieda lived to be one month less than 104 years old.