Nationalsozialistisches Propaganda-Deutsch: abgemeiert und entartet, verjudet und versippt, vergast und verreichlicht

„Wir jedoch sollen es wissen: dass die Sprache das Wahrnehmlichste dieses Unvergleichlichen ist, das wir deutsche Seele nennen und das kein anderes Volk mit uns teilt. Wir sollen es wissen, dass sie die Künderin des Schicksals ist.“ So steht es in dem „Deutschen Lesebuch für höhere Schulen“, 8. Aufl., Düsseldorf. Der Text stammt von Rudolf G. Binding, Schriftsteller und Nationalsozialist. Wie in vielen Lebensbereichen, so veränderten die Nazis auch die Sprache, führten vor allem in den Bereichen ihrer Verfolgung, Beraubung, Bestrafung und Ermordung ihre erklärten Feinde neue Sprachregelungen ein. Um mit diesen neuen Wortbedeutungen klar zu kommen, gab das US-Kriegsministerium im Juli 1944 ein Glossar heraus, das mit folgenden nüchternen Worten beginnt: „Unter der Naziherrschaft entstehen neue verwaltungstechnische Begriffe und die Bedeutung der eingeführten verändert sich. Wir geben daher ein Deutsch-Englisches Wörterbuch deutscher Verwaltungsausdrücke heraus.“

Es wurden neue Wörter erfunden oder bereits bestehende umgedeutet, ihnen ein anderer Sinn gegeben. Wer beispielsweise in Berlin ausgebombt wurde, also keine Wohnung mehr hatte, wurde in ländliche Gegenden „evakuiert“. Aber auch die Juden, die ab 1942 in die Todeslager in den Osten deportiert wurden, wurden nach verwaltungsamtlichem Sprachgebrauch „evakuiert“. Somit wurde verharmlost und verschleiert. Auch wurden Bedeutungen verdreht: Aus einem Deutschamerikaner wurde im offiziellen Sprachgebrauch ein Amerikadeutscher. Somit ist nach NS-Lesart ein Amerikaner, der deutsche Wurzeln hat, in erster Linie immer noch Deutscher. Heute noch sind etliche damals entstandene Begriffe im Sprachgebrauch, wenn auch in anderer Bedeutung, wie beispielsweise „Nacht- und Nebelaktion“ oder „abmeiern“. Und andere vordem harmlose Begriffe haben heute eine schwere Hypothek und sind für jenen harmlosen Gebrauch unbrauchbar geworden wie beispielsweise der Begriff „Bis zur Vergasung“, „Endlösung“ oder „Sonderbehandlung“.

Abgang: Tod; in dieser Bedeutung der „Veränderungsnachweis“ von Betrieben, die KZ-Häftlinge beschäftigten und jede Veränderung ihres Personenbestandes anzeigen mussten. So konnte die Meldung lauten: „Seit Dezember 1943: Abgang der Juden 165“

Abmeiern, Abmeierung: Enteignen; nach dem Reichserbhofgesetz konnte der Erbhofbauer (Meier), der seinen Hof schlecht bewirtschaftete, abgemeiert werden. Heute: jemanden herunterputzen.

Abschiebung: Zwangsweise Evakuierung; RSHA vom 4. 11. 1941: „Als Deckwort für die Abschiebung der Juden ist in Ferngesprächen die Bezeichnung, Aktion’ zu verwenden.“

Aktion: Das Wort erinnert an die 1) heroische NS-Frühzeit, betonte das Willensmoment und die straffe Organisation. Später wurde der Begriff auch für 2) schlagartig angesetzte Inhaftierung und Deportation von Menschen in den eingegliederten und besetzten Gebieten gebraucht, auch für 3) geplante, aber überraschend einsetzende Beschlagnahme von Wertsachen und Gebrauchsgegenständen in den besetzten Gebieten (Pelzmantelaktionen, Möbelaktionen), dann 4) Massentötung und organisierter Pogrom, unmittelbar an Ort und Stelle, oder nach Abtransport der zusammen getriebenen Menschen, an entlegenen Plätzen (Friedhöfen, Waldstücken).

Auswahl bekannter „Aktionen“: Aktion Heyde (Ärztekommission, die in Konzentrationslagern geisteskranke und arbeitsunfähige Häftlinge erfasste. Aktion Kugel: Tarnbezeichnung für die Exekution kriegsgefangener Offiziere. Aktion Meerschaum: Codewort der SS für Menschenjagden in Frankreich und anschließende Deportation in die Konzentrationslager des Reiches. Aktion Reinhard: Tarnbezeichnung (nach dem Vornamen des SD-Chefs Heydrich) für die im Generalgouvernement durchgeführte Massentötung von mindestens 1,5 Mio. Menschen (vorwiegend Juden, aber auch Sinti und Roma). Aktion T 4: Deckname für das systematische Töten von Geisteskranken; der Name steht für Tiergartenstraße 4, die Adresse der Kanzlei des Führers, von wo aus der Befehl dazu gegeben und die dann eingestellt Aktion geleitet wurde. Aktion Wolke: Deckname für einen bereitliegenden Befehl an die Luftwaffe, vor dem Eintreffen der Alliierten die jüdischen Arbeitslager Landsberg und Mühldorf in Bayern durch fingierte Luftangriffe zu vernichten.

Artbewusstsein: Stolz auf die eigene Rasse.

Arteigen: Lobendes Beiwort für die künstlerische und gedankliche Manifestation unverfälschten deutschen Wesens, wie es der NS ständig propagierte.

Artfremd: 1) Alles, was dem Geschmack und der Ideologie des NS zuwider lief und eine „Entseelung des deutschen Volkes unter artfremden Einflüssen“ befürchten ließ, z. B. atonale Musik, Jazz. 2) Rassen, die mit den sechs europäischen, angeblich im deutschen Volk vorkommenden Rassen nicht verwandt waren; Gegenbegriff: deutschblütig. 3) Personen mit 25 % nichtarischem Blut.

Artfremdes Eiweiß: Same eines Mannes von anderer Rasse, es verdarb angeblich die arische Frau.

Aufartung: Förderung der Fortpflanzung vom in nationalsozialistischem Sinne wertvollen Menschen durch soziale Maßnahmen (u. a. Lebensborn e. V.).

Auferstehung des Großdeutschen Reiches: Beiname für Weihnachten 1938, nach dem Anschluss Österreichs als Feier der Neugeburt des Lichts (Pressesprache).

Blitzkrieg: Bis 1939: Angriff ohne vorherige Kriegserklärung, danach schneller siegreicher Feldzug vor allem durch Panzervorstöße.

Deutscher Gruß: Gruß der NSDAP durch Heben des gestreckten rechten Arms bis zur Augenhöhe und der Ruf „Heil Hitler“ (gegenüber Hitler: „Heil mein Führer“). Nach 1933 bei öffentlichen Institutionen (Schule, Universität, Behörden) und beim Betreten von Gaststätten als Pflicht angesehen; nach dem 20. Juni 1944 für die gesamte Wehrmacht einzig zulässiger Gruß. Heute unter Strafe gestellt.

Mit deutschem Gruß: Übliche Schlussformel in halboffiziellen Schreiben (Geschäftsbriefe), wenn der Absender nicht „Heil Hitler“ schreiben wollte. Heute verboten und strafbar.

Eindeutschungsfähig: Auch: eindeutschfähig, eindeutschbar; Voraussetzung für einen Ausländer in die deutsche Volksgemeinschaft mit „gutem nordischen Rasseeinschlag“.

Endlösung der Judenfrage: 1) Der Ausdruck tauchte zuerst im „Madagaskarplan“ auf und bezeichnete die geplante Umsiedlung der Juden auf diese Insel. 2) Ab 1941: Interner Sprachgebrauch für die systematische Tötung der europäischen Juden in den Vernichtungslagern („Die Juden der Endlösung zuzuführen“).

Entartet: Nicht den offiziellen Vorstellungen von der nordischen Rasse und Wesensart entsprechend (entartete Kunst, entartete Musik, geschlechtlich Entarteter = Sittlichkeitsverbrecher).

Entjudung: Begriff aus dem 19. Jh.: in der NS-Zeit Schlagwort für Verdrängung der Juden aus dem öffentlichen Leben, Verdrängung des jüdischen Gedankenguts (Entjudung von Kirche und Christentum), Synonym für Arisierung von Geschäften und Fabriken.

Evakuierung: 1) Räumung kriegsgefährdeter oder durch Fliegerangriffe bedrohter Gebiete von ihren Bewohnern, wenigstens von Frauen und Kindern (freiwillige Evakuierung = Kinderlandverschickung). 2) Synonym für die Abschiebung von Juden und Polen aus dem Warthegau. 3) Deportation von Juden in Ghettos und Sammellager und Aneignung ihres Besitzes. 4) Deportation der Juden in die Vernichtungslager.

Er fiel für seinen (geliebten) Führer oder Er fiel im festen Glauben an seinen Führer: Stereotype Wendungen in Gefallenen-Anzeigen sollten uneingeschränkt nationalsozialistische Gesinnung ausdrücken.

Gottlos, gottgläubig: Amtssprache für: aus der Kirche ausgetreten; nur Deutsche und Menschen artverwandten Blutes durften sich so bezeichnen.

Hilfswillige, Hiwis: Fremdvölkische (hauptsächlich russische und ukrainische) Kriegsgefangene, die bei der deutschen Wehrmacht, der Polizei und in der SS als Hilfskräfte Dienst taten.

Humanität: Nach NS-Auffassung eine durch das Judentum entartete Anschauung, die den Schutz alles Menschlichen über die Interessen von Volk und Staat stellen.

Humanitätsduselei: Verächtliches NS-Wort für das Festhalten am alten Humanitätsbegriff.

Hundertfünfzigprozentiger: Übereifriger und besonders strenger, intoleranter und uneinsichtiger Nationalsozialist.

Kinderlandverschickung: 1) Zunächst: organisierte Erholung für Kinder und Jugendliche. 2) Ab 1940 als „erweiterte“ Kinderlandverschickung: die „freiwillige Evakuierung“ schulpflichtiger Kinder aus bombengefährdeten Städten in die von der Hitlerjugend geführten Kinderlandverschickungslager.

Kühlungsborn: Name des Ostseebade Brunshaupten ab 1938.

Bei Nacht und Nebel: Nacht-und-Nebel-Erlass vom 12. Dez. 1941 (auch Keitel-Erlass); er richtete sich gegen Personen, die in den besetzten Gebieten sich gegen das Reich oder die Besatzungsmacht vergangen hatten, aus Abschreckungsgründen in das Reich überführt und von jeglicher Verbindung zu ihrer Umgebung abgeschnitten wurden.

Neidingswerk: Deutschtümelndes Wort für eine von Neid motivierte Handlung

Recht auf Arbeit: Galt als Anspruch an den NS-Staat, den dieser durch Arbeitslenkung zu erfüllen habe, und zwar erklärtes Prinzip der NS-Wirtschaft; wurde allerdings nicht als individuelles Recht verstanden, sondern als Einsatz, der dem Gemeinwohl diente, dem Recht auf Arbeit stand die Pflicht zur Arbeit gegenüber.

Reichsfluchtsteuer: Steuer in Höhe von 25 % des Gesamtvermögens für Angehörige des Deutschen Reiches, die nach dem 31. März 1931 ihren Wohnsitz ins Ausland verlegten; bei Nichtentrichtung wurde das gesamte Inlandsvermögen beschlagnahmt; bereits 1931 gegen die Kapitalflucht eingeführt, und nach 1933 besonders gegen die Juden angewandt.

Rückdeutschungsfähig: Synonym für (wieder) eindeutschungsfähig;

Selektion, selektieren: 1) Das Aussondern nicht mehr arbeitsfähiger KZ-Häftlinge zur Ermordung. 2) die Trennung der in Auschwitz-Birkenau Ankommenden gleich nach dem Ausladen „von der Rampe weg“, in Arbeitsfähige und Nichtarbeitsfähige; Letztere wurden sofort umgebracht, die Kräftigeren wurden der „Vernichtung durch Arbeit zugeführt“.

Sonderbehandlung: Tarnwort zuerst für Exekution durch Hängen oder Erschießen aus politischen oder rassischen Gründen, später für Massentötungen ohne jede Formalität in Konzentrations- und Vernichtungslagern.

Untermensch: NS-Ausdruck der rassischen und politischen Diffamierung besonders für Juden, Kommunisten, Zigeuner, nach 1941 auch für Russen und überhaupt für Slawen.

Vergasung: 1) Massentötung von Behinderten, Juden, Zigeunern und politischen und weltanschaulichen Gegnern des NS durch Giftgas. 2) Vor bekannt werden dieser Morde war „Vergasung“ ein populärer Ausdruck für außerordentliche körperliche Anstrengungen, z. B. das Schleifen von Rekruten „bis zur Vergasung“; Holzvergaser.

Verjudung: Von Juden beherrscht; ihrem Einfluss anheimgefallen.

Verreichlichung: Die Schaffung einheitlicher Reichsbehörden „unter Fortfall der noch bestehenden Länderbehörden“; Übertragung der Hoheitsrechte von den deutschen Ländern auf das Reich (1934).

Verreist: Tarnwort für „verhaftet“ – besonders zu Anfang, als Verhaftung und Lager noch nicht unbedingt den Tod bedeuteten.

Volksschädling: 1) Vor der NS-Zeit Schmähwort für Schieber und Wucherer. 2) Ab 1939: Ausdruck der Gesetzessprache für den „hart gesottenen Berufsverbrecher“ und „Asozialen, der den Kriegszustand ausnutzte und damit der Schicksalsgemeinschaft und ihrem Abwehrkampf in den Rücken“ fiel; später auch ausgedehnt auf Menschen, die sich kritisch und pessimistisch äußerten, was als „Feindbegünstigung“ galt.

Volkswagen: Von Hitler in Auftrag gegeben und propagierter Kleinwagen für Jedermann, der nur 990 RM kosten sollte; die Organisation dieses Projekts lag bei der Deutschen Arbeitsfront und ihrer Gliederung „NS-Gemeinschaft Kraft durch Freude“. Deshalb hieß der Volkswagen zunächst KdF-Wagen und sein Produktionsort KdF-Stadt (heute Wolfsburg).

Vollfamilie: „Erbgesunde, geordnet lebende Familie mit vier oder mehr Kindern“. Sie wurde im Gegensatz zur „asozialen“ Großfamilie voll gefördert.

Züchtling: Gefängnisinsasse, Zuchthäusler

Zuchtwart: Von NS-Ideologen vorgeschlagener, aber nicht eingeführter neuer Beamten-Beruf; seine Mitglieder sollten die Erbgesundheit des deutschen Volkes überwachen, indem sie jede amtlich gewordene Geburt in der körperlichen und sittlichen Entwicklung eines Volksgenossen überwachen und im Heimatstandesamt registrieren sollten.

Eindeutschungen von Wörtern aus fremder Sprache: Gangwerk für         Maschine; Schreibgangwerk für Schreibmaschine; Fahrnis für Möbel, Gipfelwert für Maximum; Glanzstoff oder Glashaut für Zellophan; Gleichstoffen für homogenisieren; Halbe oder hälften für halbieren; Schriftleiter für Redakteur; Hauptschriftleiter für Chefredakteur; Sprechmaschine für Grammophon.

Monatsnamen: Eismond oder Hartung für  Januar; Hornung für Februar; Lenzing oder Lenzmond für März; Ostermond für April; Wonnemond für Mai; Brachet, Brachmond oder Sommermond für Juni; Heuet oder Heumond für Juli; Ähren-, Erntemond oder Ernting für August; Herbstmond oder Scheidung für September; Gilbhard oder Weinmond für Oktober; Nebelmond oder Nebelung im November; Juhl, Christ- oder Julmond für Dezember.

 

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