Presse I: An den Anfang setzten die Sieger das gedruckte Wort – Freie Presse anstatt Goebbels-Lügen

Die erste Ausgabe der in Dortmund herausgegebenen "Ruhr-Nachrichten"

Von Wolf Stegemann

Zwei wichtige Persönlichkeiten formulier­ten kurz nach dem Zweiten Weltkrieg Er­kenntnisse, die sich scheinbar ausschließen, jedoch die Einstellung der Deutschen in die­ser Zeit treffend wiedergeben. Der spätere Presse-Zar Axel Cäsar Springer baute sein Zeitungsimperium auf folgender Erkenntnis auf: »Ich war mir seit Kriegsende darüber klar, dass der deutsche Leser eines auf keinen Fall wollte, nämlich nachdenken.« Der deut­sche Emigrant, Romancier und Reporter Hans Habe, von den Amerikanern mit dem Aufbau der deutschen Presse betraut, handelte nach der begründeten Hoffnung: »Der Hunger nach Wahrheit war nicht geringer als der Hunger nach Brot!« Noch bevor der Krieg beendet war, hatten die Amerikaner eine »amerikanische Presse für die deutsche Bevölkerung« geplant. Die Zeitungen sollten solange in amerikanischen Händen bleiben, bis es den Lizenzierungs­teams gelingen würde, politisch saubere und publizistisch tüchtige deutsche Herausgeber zu finden.

Die "Frankfurter Presse", Ausgabe von 1945

Journalistische Qualität war gefordert

Diese Qualitäten mussten auch deutsche Journalisten nachweisen, zum Teil in lang­wierigen, extra ausgeklügelten Tests. Die Engländer waren dagegen überzeugt, sofort verlässliche deutsche Zeitungsleute finden zu können. Der Leiter der Presseabteilung der britischen Zone ließ in diesem Sinne drei Monate nach Kriegsende verlauten:

»Wir wollen den Deutschen kein neues Propagan­daministerium schaffen, das den Deutschen vorgeschriebene Gedanken eintrichtert, sondern wir wollen den Deutschen, soweit es geht, die Möglichkeit geben, ihre eigenen Gedanken auszudrücken und ihren eigenen Nachrichtendienst zu betreiben.«

So waren es auch die Briten, die die erste de­mokratische Zeitung auf deutschem Boden herausbrachten. Am 24. Januar 1945 erschie­nen die von dem deutschen Sozialdemo­kraten Heinrich Hollands herausgegebenen »Aachener Nachrichten«. Die amerikanischen Presseoffiziere, darun­ter deutsche Emigranten, hoben die erste amerikanische Zeitung im April 1945 in Köln (»Kölnischer Kurier«, Auflage 400.000) aus der Taufe. Ihnen ist es zu verdanken, dass die Blätter, die nun nacheinander in Essen (»Ruhr-Zeitung«), Frankfurt (»Frankfurter Presse«), Berlin (»Allgemeine Zeitung« u. a.) auf den Markt gebracht wurden, nicht nach Vorstellungen der US-Armee den An­strich kalter Anweisungs- und Mitteilungsblätter erhielten, sondern den Dialog mit der deutschen Bevölkerung aufnahmen. Hans Habe und sein Team bereicherten die amerikanische »Heeresgruppenpresse« um Nachrichten aus aller Welt, um Beiträge, die die Geschichte des Dritten Reiches aufblät­terten, die den Deutschen wieder Männer wie Thomas Mann vorstellten und die die un­vermeidlich gewordene Niederlage Deutsch­lands halbwegs verständlich zu machen ver­suchten.

Hans Habe baute für die Amerikaner maßgeblich die westdeutsche Nachkriegs-Presse auf.

Hans Habe gründete in kurzer Zeit 16 Zeitungen

In nur wenigen Monaten schaffte es Habe mit weniger als 20 redaktionellen Mitarbei­tern, 16 Zeitungen mit einer zeitweiligen Ge­samtauflage von achteinhalb Millionen Exemplaren herauszubringen. Einigen Blät­tern war jedoch keine lange Lebensdauer beschieden, da die amerikanischen Zeitungs­pioniere die Zeitungen nur solange heraus­brachten, bis die von ihnen unabhängigen Li­zenzierungsteams meldeten, dass deutsche Herausgeber gefunden worden waren. Die Alliierten achteten darauf, dass das Herausgeberteam jeweils aus mehreren Mitglie­dern bestand, zumeist aus Vertretern der Parteien. Fast alle lizenzierten Blätter in der US-Zone und die Hälfte in der französischen waren überparteilich, während die Englän­der zumeist »Parteirichtungszeitungen« li­zenzierten.

Ende 1949 wurde die Pressekontrolle der Westalliierten beendet

Frühe Ausgabe

Die mangelhafte Ausstattung von Drucke­reien, unzureichende Verkehrsverbindun­gen für den Vertrieb, Auflagenbeschränkungen und vor allem die großen Lücken in der Papierversorgung waren noch lange Sand im Getriebe des sich langsam normalisierenden Pressewesens.

Mit der Auflösung der Militärregierungen in den Westzonen Ende September 1949 wurde gleichzeitig die Pressekontrolle durch die Westalliierten beendet. Bis dahin erschienen 169 Lizenz-Zeitungen, davon 20 in Westber­lin. Die Briten lizenzierten 71 Zeitungen, die Amerikaner 58, die Franzosen 20. Danach verloren die vormaligen Lizenz-Zeitungen nur rund 20 Prozent der gesamten Zeitungs­auflage an die nun überall entstehende Kon­kurrenz. Die Alliierten hatten also zunächst ihr Ziel erreicht, eine freie, unabhängige und im demokratisch-politischen Sinn zuverlässige Presse zu schaffen. Auch war es ihnen gelungen, eine Pressekonzentration à la Hugenberg zu verhindern, der als Wegbereiter des Dritten Reiches fungiert hatte. Die neuen Druckerzeugnisse ließen sich mit denen von vor 1933 nicht mehr vergleichen: Leserbriefspalten, eine dritte Seite, zusam­mengestellt aus Leitartikeln, Glossen der Redaktion sowie aus Gastkommentaren und ausführlichen politischen Artikeln der Aus­lands- und Sonderkorrespondenten hielten Einzug in die Gazetten. Kommentar und Nachricht wurden nun strikt voneinander ge­trennt. Berühmte emigrierte Literaten lie­ferten Beiträge für das Feuilleton. Erich Kästner schrieb wohl das beste Feuilleton in der vorbildlich redigierten »Neuen Zeitung« (München), die sich unter Hans Habe weder bei den Besatzern noch bei den Lesern »Liebkind« machte.

 

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