Robert Paton: Wie sich ein kirchentreuer Unternehmer mit NSDAP-Parteibuch durch das Dritte Reich mogelte

Von Wolf Stegemann

Noch heute, Jahrzehnte nach der Schließung der Bleicherei Paton im Jahre 1972, erinnern Gebäude und augenfällig die weiße, südländisch aussehende Villa an der Borkener Straße und Einmündung zur Pliesterbecker Straße an die einstige Bleicherei der R. Paton GmbH. Auf dem Rest des ehemaligen Friedhofs an der Bovenhorst sind noch die Rudimente der aufgelassenen Familiengruft zu sehen.

Die Betriebsführung bei einer Jubilarfeier 1938 mit Robert Paton (re. vom Jubilar)

1934 übernahm Robert Paton jun. die Firma von seinem schottischen Vater gleichen Namens, der sie 1890 gründete. Bis zu 250 Mitarbeiter waren dort beschäftigt, 1952 noch 120. Robert Paton arrangierte sich mit den Nazis, war Parteimitglied (Paton: „Die genaue Mitgl.-Nummer ist mir nicht mehr bekannt, so um die 1 Million 800.000 herum“), war Amtsverordneter in der Amtsvertretung Hervest-Dorsten seit 1922 und ab 1933 als ein solcher von der NSDAP bestätigt und neu eingesetzt. Somit gehörte Robert Paton zu denen, die, warum auch immer, vielleicht aus geschäftlichen Gründen, als Mitläufer galten. Für seine Person bestritt er es nach 1945 vehement. Er war auch Kirchmeister und Presbyter der evangelischen Kirche in Holsterhausen.

Die ehemalige Paton-Villa an der Borkener Straße heute; Foto: Wolf Stegemann

Zum 1. Oktober 1934 musste auch er seinen Betrieb auf das Führerprinzip umstellen und eine entsprechende „Betriebsordnung“ erlassen. Damals hatte die Woche noch 48 Arbeitsstunden, später im Krieg sogar 60. Paton musste betrieblich mit ausländischen Webereien und Spinnerein zusammenarbeiten, unterhielt Auslands-Vertreter vor allem in Brüssel. Darunter waren auch jüdische Betriebe. Dies war dem Holsterhausener NSDAP-Ortsgruppenleiter und Volksschullehrer Heinrich Schwarz ein Dorn im Auge. Er beäugte argwöhnisch das Geschäftsgebaren des „Betriebsführers“, wie der Firmeninhaber seit 1934 hieß. Die Holsterhausener NSDAP nannte Paton sogar „antifaschistisch“.

„Der Ortsgruppenleiter Schwarz warf mir vor, ich sei kein Nationalsozialist, weil ich ihm gegenüber die autarke Einstellung Deutschlands als eine Unmöglichkeit immer wieder hinstellte.“

NS-Betriebsordnung der Bleicherei Paton 1934

In der heftigen Kritik des NSDAP-Ortsgruppenleiters Schwarz

Robert Paton war ein Chef der alten Zeit. Er kümmerte sich um das Wohlergehen seiner Mitarbeiter, fühlte sich verantwortlich für sie, nahm keinen Einfluss auf deren religiöse oder politische Anschauungen. Das führte dazu, dass er auf einer Tagung der Arbeitsfront in Königswinter, zu der Paton nicht erschienen war, vom Gauleiter und späteren Reichsfachwalter Erwin Voss als „verfluchter, unverbesserlicher Liberalist“ beschimpft wurde. Voss verlangte auch die Wegnahme des Betriebes, was allerdings rechtlich nicht möglich war. Der Betrieb wurde jedoch von jeglicher Zusammenarbeit ausgeschlossen. Damit geriet Paton noch mehr in die Kritik des Holsterhausener NSDAP-Ortsgruppenleiters Heinrich Schwarz. Dieser bemängelte den schlechten Besuch der Paton-Belegschaft bei Parteiveranstaltungen und ermahnte Robert Paton, er hätte als Betriebsführer die Pflicht, die Gefolgschaft „restlos in die Versammlung zu bringen“. Paton scherte sich nicht darum.

Arbeiterinnen bei Paton während des Krieges

Ein andermal bemängelte Schwarz, wie sich die Belegschaftsmitglieder in der Firma begrüßten, dass weniger „Heil Hitler“ gesagt würde, sondern immer noch „Guten Morgen“, „Mahlzeit“ und „Gute Nacht“. Schwarz ließ sich durch den NSDAP-Betriebsobmann regelmäßig Bericht erstatten und verwarnte Paton offiziell. Da es aber so viele waren, die weiterhin bürgerlich grüßten, wollte die NSDAP sie nicht weiter belangen. Paton selbst sagte zu seiner Mitarbeiterin Else Grabaum aus Holsterhausen: „Ich freue mich über jeden Tag, der uns Heil an der Seele schenkt und wenn ich zu Tisch gehe, denke ich an meinen Magen und nicht an Hitler!“ Da Paton sich weigerte, in seinem Betrieb den Hitlergruß offiziell einzuführen, sondern es jedem einzelnen überließ, wie er grüßen wollte, entzog die Partei ihm seinen Sitz in der Amtsversammlung Hervest-Dorsten.

Auch aus Holsterhausens Bevölkerung spürte Robert Paton Ablehnung, obwohl er ein wichtiger Arbeitgeber war. Mit „du verdammter Engländer, du hast hier nichts zu suchen, mach’, dass du wieder nach England kommst!“ beschimpften ihn kleine Parteigenossen, meist in anonymen Briefen. Dazu Paton: „Beschimpfungen in diesem Sinne bewiesen mir immer wieder, dass sie auch das Echo dessen waren, was Schwarz als Lehrer den Kindern predigte.“

Trotz Verbot zahlte Paton für seine Mitarbeiter soziale Leistungen

Zu einem großen Streit kam es, als Paton jeden Arbeiter und Angestellten, die über fünf Jahre dem Betrieb angehörten, in eine Lebensversicherung einkaufte, und zwar je nach Beschäftigungsdauer zwischen 1.000 und 3.000 Reichsmark im Todesfall. Diese Gepflogenheit behielt Paton übrigens auch im Kriege bei.

Als Ortsgruppenleiter Schwarz davon hörte, verbot er offiziell derartige soziale Leistungen für die Belegschaft und wünschte im Namen der NSDAP die Einstellung der Zahlungen, was auch die Kreisleitung der NSDAP in Recklinghausen forderte. Trotz Verbots dieser Zahlungen hatte Paton an Angehörige von Verstorbenen und im Krieg Gefallenen 33.301 Reichsmark „als Unterstützung für Not leidende Gefolgschaftsmitglieder und Lebensversicherungen für Hinterbliebene von ehemaligen Gefolgschaftsmitgliedern“ ausgezahlt. Bei so vielen Mitarbeitern blieb es nicht aus, dass darunter auch stramme Parteigenossen waren, die Patons renitentes Verhalten gegenüber der Partei nicht gut hießen. Die langjährige Angestellte Hermine E. zeigte ihren Chef wegen der Lebensversicherungszahlungen beim NSDAP-Kreisgericht an. Daraufhin entließ Paton Hermine E. Anderntags wurde Robert Paton um 11 Uhr abgeholt und unter Bewachung vor das Parteigericht in Recklinghausen gebracht. Er musste wegen Entlassung einer „alten Kämpferin“ 500 Reichsmark Strafe zahlen. Hermine E. bekam einen neuen Arbeitsplatz in der Kreisverwaltung.

Die aufgelassene Familiengruft der Patons auf dem früheren Friedhof an der Bovenhorst im heutigen Zustand; Foto: Wolf Stegemann

Paton blieb Mitglied in der Kirchengemeinde

Obwohl Heinrich Schwarz Paton als einen „politisch unzuverlässigen Nationalsozialisten auf dem Papier“  betrachtete, verlangte er 1943, dass Paton einen Antrag stellen sollte, um stellvertretender Schulungsleiter der NSDAP zu werden, da der amtierende Schulungsleiter zum Militärdienst eingezogen worden war. Paton lehnte ab, weil der Betrieb alle seine Kraft kostete. Daraufhin stellte Schwarz ihm ein Ultimatum. Innerhalb einer Woche sollte er das übergebene Antragsformular ausfüllen. Er brauche es nur pro forma, sagte Schwarz zu ihm, um melden zu können, der Posten sei besetzt. Er, Schwarz, würde für Versammlungen schon andere Redner finden. Paton füllte das Formular aus, schrieb aber darauf, dass er sich gegenüber dem Ortsgruppenleiter geäußert habe, diesen Posten nicht zu wollen, nie eine Partei-Uniform tragen werde. Obwohl der NSDAP-Kreisschulungsleiter in Recklinghausen diesen Antrag nicht bestätigte, wurde Robert Paton in Holsterhausen als stellvertretender Schulungsleiter der NSDAP-Ortsgruppe geführt. Schwarz erwartete nun, dass Paton aus der Kirche austrete. Denn ein NSDAP-Schulungsleiter könne unmöglich in der Kirche sein. Paton lehnte ab und Schwarz bestellte daraufhin für Versammlungen auswärtige Redner nach Holsterhausen.

Das Paton-Unternehmen war kriegswichtig

Die Auseinandersetzungen zwischen Paton und der Partei, in persona des hochgekommenen Volksschullehrers Heinrich Schwarz, dauerten an. Da das Paton-Unternehmen kriegswichtig war, wetzte sich der NSDAP-Ortsgruppenleiter letztlich erfolglos an Paton. Dieser versuchte stets mit Geschick und am Ende erfolgreich, sich mit seiner christlichen Gesinnung, seinem menschlichen und sozialen Gerechtigkeitsgefühl und einer ausgeprägten Fürsorgepflicht für seine Belegschaft, wohl mit braunen Flecken am Hemd, durch das Dritte Reich zu lavieren. Robert Paton starb 75-jährig 1964 in Boisheim/Kempen an einem Schlaganfall.

 

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