Sparkassen im Vest I: 1933 Gleichschaltung, 1938 Zugriff auf Konten jüdischer Sparer, ab 1939 Kriegsfinanzierung, 1945 Geld auf einen Handkarren gepackt

Sparkassen-Kinowerbung 1942

Nach der Machtübernahme im Jahr 1933 wurde auch die deutsche Kreditwirtschaft in die neuen staatlichen Strukturen integriert. Sie diente dem NS-Regime als wesentliches Finanzierungsinstrument. Den Sparkassen wurde aufgrund ihrer auf den Spareinlagen basierenden Finanzkraft sogar eine besondere Rolle zugewiesen. Die personelle Integration der Sparkassen in das Zentralverwaltungswirtschaftssystem des NS-Regimes, das letztlich deren Entwicklung als universelle Kreditinstitute verlangsamen sollte, begann unmittelbar nach der Machtübernahme. Dabei fielen die kommunalen Geldinstitute den Nationalsozialisten gewissermaßen als „leichte Beute“ zu, denn die politische Machtübernahme in den Kreisen, Städten und Gemeinden, die ja zugleich auch Gewährträger der Sparkassen waren, bewirkte beinahe automatisch auch den Austausch eines wesentlichen Teils des Führungspersonals der Geldinstitute. Das Prinzip der Selbstverwaltung blieb dabei formal zwar erhalten, die in Anpassung an die Vorschriften der Deutschen Gemeindeordnung erlassenen gesetzlichen Bestimmungen über die Berufung und Zusammensetzung der Sparkassenvorstände orientierten sich nun jedoch am Führerprinzip.

Allgegenwärtige Sparkassenwerbung

Leitung der Sparkasse nach dem Führerprinzip ausgerichtet

Ebenfalls am Führerprinzip ausgerichtet wurde die Stellung des Sparkassenleiters, der nun als Geschäftsführer und Leiter einer „Gefolgschaft“ verstanden wurde. Schließlich wuchs auch der politische Druck auf die Belegschaft. Beförderungen und Einstellungen wurden von Parteimitgliedschaft oder – eintritt abhängig gemacht. Verdiente Parteimitglieder wurden bevorzugt, missliebige Angestellte unterdrückt oder aus ihrer Position entfernt. Allerdings wurde nicht die gesamte Personalpolitik im Nationalsozialismus dem Primat der Politik unterstellt. Gerade bei wichtigen Funktionsaufgaben wurde auch weiterhin auf die fachliche Qualifikation der Mitarbeiter geachtet. Den NS-Machthabern war durchaus bewusst, dass sie gerade im Bereich der Kreditwirtschaft neben einem linientreuen vor allem einen fachlich qualifizierten Apparat benötigten, der dazu in der Lage sein musste, die anstehenden Aufgaben mit finanzpolitischem Sachverstand zu bewältigen.

Personelle Gleichschaltung am Beispiel der Stadtsparkasse Recklinghausen

Wie der personelle Austausch im NS-Regime funktionierte, macht das Beispiel der Stadtsparkasse in Recklinghausen deutlich: 1933 wurde Fritz Gersmeyer, ein linientreues NSDAP-Mitglied, neuer Sparkassendirektor. Der neue Oberbürgermeister Recklinghausens, Fritz Niemeyer, bereits seit 1924 Bürgermeister und in dieser Eigenschaft auch Vorsitzender des Sparkassenvorstandes, durfte in seiner Position verbleiben, weil er sich als deutlich konform mit den neuen Machthabern erwies. 1939 wurde er durch Emil Irrgang ersetzt, der bis 1945 im Amt bleiben sollte. Auch auf der Ebene unmittelbar unterhalb des Vorstandsvorsitzenden wurde ausgetauscht: Vor 1933 entstammten die meisten Vorstandsmitglieder dem katholischen Milieu oder dem Zentrum. Beispiele hierfür waren die Stadtverordneten Melchior Münch, Heinrich Kros oder Otto Neuhaus. Alle drei wurden kurz nach der Machtübernahme aus dem Sparkassenvorstand abberufen. Ebenfalls aus seinem Amt entfernt und schließlich in den Ruhestand versetzt wurde der Stadtrat und Dezernent des Wohlfahrtsamtes, Dünnebacke. An die Stelle der alten Zentrumsvertreter traten nun „verdiente“ alte Parteigänger der Nationalsozialisten. Diese „Getreuen“  dienten einerseits als Kontrollinstanz, sie wurden andererseits von der Partei aber auch mit Sparkassenposten belohnt, die in der Regel jedoch nicht viel mehr als eine Zwischenstation ihrer Karriere waren. So war etwa Fritz Bettenworth, Kandidat und Stadtverordneter der NSDAP, ab Juli 1933 im Vorstand vertreten, ebenso der Bergbauangestellte Franz Rottmann, der zu den Mitbegründern der Nationalsozialistischen Betriebszellenorganisation der NSDAP (NSBO) in Recklinghausen zählte. Ebenfalls zwischenzeitlich im Sparkassenvorstand vertreten war der Recklinghäuser Ortsgruppenleiter Löw.

"Judendepot", Dachbodenfund der Sparkasse in Aurich

Zugriff des Staates auf das Geld jüdischer Kontoinhaber

Unter der Vorgabe, an der Lösung der vom Staat gestellten Aufgaben mitzuwirken, erhielten die Sparkassen auch eine neue gesellschaftspolitische Zielrichtung. Es ging nun vorrangig um die Integration der Kreditwirtschaft in das nationalsozialistische Wirtschafts- und Herrschaftssystem. Schwerpunktaufgaben waren die Finanzierung der Arbeitsbeschaffung, die Verbreiterung der nationalen Rohstoffgrundlagen, die „Erzeugungsschlacht“ und die Wiederwehrhaftmachung. Spätestens 1938 begann aber auch die „Entrechtung“ und Ausbeutung jüdischer Kontoinhaber. In den Sparkassen kam es, wie in allen anderen Kreditinstituten auch, zum Zugriff des Staates auf jüdisches Vermögen.

Bei Kriegsende Geld auf einem Handkarren transportiert

Mit Kriegsbeginn 1939 traten alle nichtkriegswirtschaftlichen Ziele vollkommen in den Hintergrund. Die Sparkapitalbildung floss nun ausschließlich in die Kriegsfinanzierung. Darüber hinaus war das Sparen längst zur „nationalen Aufgabe“ und zur „Kriegspflicht“ erklärt worden. Ihm kam u. a. auch die Aufgabe zu, die überschüssige Kaufkraft zu absorbieren, um die (zurückgestaute) Inflation nicht offen ausbrechen zu lassen. Für die städtische Sparkasse in Recklinghausen endete der Krieg auf eine etwas weniger chaotische Weise, wenn auch die Kasse der Institution kurz vor Kriegsende eine unfreiwillige Reise in Kauf nehmen musste. Das nahe Kriegsende trieb manche verwaltungstechnische Blüte, vor der auch die Sparkassen nicht verschont blieben. So wurde noch kurz vor Einstellung der Kampfhandlungen in der Stadtsparkasse Recklinghausen der Versuch gemacht, die Bestände und die Kasse auszulagern. Zurück ging die gesamte Aktion auf einen Plan aus dem Jahr 1944, nach dem die Bestände unbedingt im Falle des Einmarsches feindlicher Truppen vor diesen in Sicherheit zu bringen seien. Die Sparkassenleitung zögerte diese Anordnung jedoch lange hinaus, da sie den Sinn der Maßnahme nicht einsehen wollte. Erst kurz vor Kriegsende erfolgte die Auslagerung auf direkten Befehl des NSDAP-Oberbürgermeisters.

Geld und Dokumente im Milchwagen nach Recklinghausen zurück

Der legendäre Spar-Pfennig

Die „Flucht“ gegen Osten endete allerdings schon in Beckum, wo die Begleiter des Transports im Keller der örtlichen Sparkasse Unterschlupf fanden. In der Nacht wurde Beckum dann von den Amerikanern eingenommen. Der Sparkassenangestellte Lenzmeier, der für den Transport verantwortlich war, erhielt vom amerikanischen Ortskommandanten einen Passierschein und die Erlaubnis, Geld und Papiere wieder nach Recklinghausen zurückzubringen. Der Transport erfolgte in Ermangelung anderer Transportmittel bis Bochum auf einem Milchwagen, das letzte Stück musste man dann mit einem Handwagen zurücklegen.

Siehe auch:

Sparkassen im Vest II: In der Nachkriegszeit Beteiligung am Wiederaufbau, der Währungsreform und am so genannten „Wirtschaftswunder“

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Quelle: „150 Jahre Sparkasse Vest Recklinghausen. Gut für die Region“, hgg. von der Sparkasse Vest 2005.
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