Zwangssterilisierung I: Gesetz zur Verhütung des erbkranken Nachwuchses von 1933 – Vergessene Opfer

Gesetzblatt von 25. Juli 1933

Entstehung und Ziel: Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses wurde kurze Zeit nach der Machtergreifung am 14. Juli 1933 als erstes Rassegesetz in einer langen Reihe von Unterdrückungsmaßnahmen verabschiedet und trat im Januar 1934 in Kraft. Die Nationalsozialisten wollten, dass die Opfer des Gesetzes keine Möglichkeit hatten, der einmal beschlossenen Sterilisierung zu entgehen. Die letzte Änderung des Gesetzes datierte vom 4. Februar 1936. Die Idee des Gesetzes war durch und durch rassistisch: „Ziel der dem deutschen Volk artgemäßen Erb- und Rassenpflege ist: eine ausreichende Zahl Erbgesunder, für das deutsche Volk rassisch wertvoller, kinderreicher Familien zu allen Zeiten. Der Zuchtgedanke ist Kerngehalt des Rassengedankens. Die künftigen Rechtswahrer müssen sich über das Zuchtziel des deutschen Volkes klar sein.“

Das Gesetz nach 1945: Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses wurde nach dem 8. Mai 1945 durch die Kontrollratsgesetze nicht aufgehoben. Ein Großteil der NS-Gesetzgebung, dazu gehörte auch dieses Gesetz, rettete sich unter dem Ziel der Rechtssicherheit in die neue Bundesrepublik Deutschland hinüber und bestand lange Zeit fort. Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses, mit dessen Hilfe rund 350.000 Personen sterilisiert worden waren, hatten die Besatzungsmächte somit nicht außer Kraft gesetzt oder aufgehoben und im Nürnberger Juristenprozess war es – zugunsten der Angeklagten – sogar als „vernünftigerweise diskutierbar“ bezeichnet worden.

Weil man aber die Erbgesundheitsgerichte aufgelöst hatte, gab es keine Institutionen mehr, die das nach wie vor als gültig angesehenes Gesetz anwenden konnten. Wenn es auch in erster Linie die Ärzteschaft war, die darauf drängte, angesichts der vielen „verwahrlosten Jugendlichen“ endlich wieder Zwangssterilisationen durchzuführen, trieb die Sorge um die Erbgesundheit des deutschen Volkes auch Juristen um.

1951 forderte die Hamburger Justizbehörde, dass die Frage, ob und wann Unfruchtbarmachung zulässig sei, von den gesetzgeberischen Organen des Bundes neu entschieden werden müsse, unter gebührender Beachtung der bereits vor 1933 von der Wissenschaft festgelegten Grundsätze und Erfahrungen der Eugenik. In einigen Bundesländern wurde das Gesetz unmittelbar nach Kriegsende behandelt. Das Land Bayern hob das Gesetz am 20. November 1945 ausdrücklich auf. In Hessen wurde mit der Verordnung vom 16. Mai 1946 verfügt, dass das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses bis auf weiteres nicht mehr anzuwenden sei. Das damalige Land Württemberg-Baden erließ am 24. Juli 1946 ein Gesetz, dass die Anwendung des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses ausgesetzt werde. Im Land Thüringen wurde das Gesetz am 20. August 1945 aufgehoben, für die sowjetische Besatzungszone erging am 8. Januar 1946 der Befehl zur Aufhebung des Erbgesundheitsgesetzes. In der früheren britischen Zone wurde am 28. Juli 1947 eine Verordnung über die Wiederaufnahme von Verfahren in Erbgesundheitssachen erlassen.

Die Wiedergutmachung entscheidet die Frage: Opfer oder nicht Opfer? In den ersten Jahrzehnten nach dem Krieg wurde das Geschehen vorwiegend unter dem Gesichtspunkt behandelt, ob das Erbgesundheitsgesetz ein typisch nationalsozialistisches Gesetz sei, d. h. ein legislatives Unrecht enthaltendes Gesetz, dessen Anwendung zur Wiedergutmachung verpflichtete. Hierzu führte die Bundesregierung am 7. Februar 1957 im Deutschen Bundestag aus:

Das Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses vom 14. Juli 1933 ist kein typisch nationalsozialistisches Gesetz, denn auch in demokratisch regierten Ländern – z. B. Schweden, Dänemark, Finnland und in einigen Staaten der USA – bestehen ähnliche Gesetze; das Bundesentschädigungsgesetz gewährt aber grundsätzlich Entschädigungsleistungen nur an Verfolgte des NS-Regimes und in wenigen Ausnahmefällen an Geschädigte, die durch besonders schwere Verstöße gegen rechtsstaatliche Grundsätze Schäden erlitten haben.“ (Plenarprotokoll 2/191, S. 10876 (A).

Aus dieser Einordnung folgte, dass die durch dieses Gesetz Geschädigten nach den Bundesentschädigungsgesetzen keinen Anspruch auf Entschädigung hatten. Denn anspruchsberechtigt waren nur Opfer der nationalsozialistischen Verfolgung, d. h. Personen, die wegen ihrer gegen den Nationalsozialismus gerichteten politischen Überzeugung, wegen ihrer Rasse, ihres Glaubens oder ihrer Weltanschauung durch nationalsozialistische Gewaltmaßnahmen Schäden an Leben, Körper, Gesundheit, Freiheit, Eigentum, Vermögen oder in ihrem beruflichen oder wirtschaftlichen Fortkommen erlitten hatten (§ 1 Abs. 1 BEG). Das Bundesentschädigungsgesetz sah somit schon von der gesetzgeberischen Fassung her Wiedergutmachungsleistungen nicht für alle Opfer nationalsozialistischer Verfolgung vor, sondern nur für Personen, die wegen ihrer Gegnerschaft zum Nationalsozialismus oder wegen ihrer Rasse, ihres Glaubens oder ihrer Weltanschauung Nachteile erlitten hatten. Diese Ausgrenzung wurde damals bewusst getroffen.

Vergessene Opfer: Ein Verein kümmert sich seit Ende der achtziger Jahre um Menschen, die unter den Nazis zwangssterilisiert wurden und um Hinterbliebene der Getöteten. Sie leiden auch heute noch unter der Kontinuität von Verfolgung Kranker, den Auswirkungen des Gesetzes zur Verhütung erbkranken Nachwuchses und der Nichtentschädigungspolitik der Nachkriegsjahre bis in die Gegenwart. Dabei sind neben den medizinischen Folgen vor allem fehlender Berufsausbildung, psychische Schäden und mangelndes Selbstwertgefühl als Langzeitfolgen zu nennen.

 

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