Aus Holsterhausen, Hervest-Dorsten und Dorsten wurde 1943 durch Eingemeindung Groß-Dorsten

Von Wolf Stegemann

Mitten im Krieg, am 1. April 1943, wurde rechtskräftig, was der Regierungspräsident angeordnet hatte: Die Eingemeindung von Holsterhausen und Hervest in die Stadt Dorsten mit nunmehr 25.000 Einwohnern. Damit wurde aus der kleinen Lippestadt Dorsten „Groß-Dorsten“, ein Begriff, der nach Ende des Dritten Reiches nicht mehr verwendet wurde. Groß-Dorsten verblieb zusammen mit den Gemeinden der Herrlichkeit (Wulfen, Lembeck, Altschermbeck, Rhade und Erle) im Amt Hervest-Dorsten, dem die Stadt am 1. April 1937 beigetreten war. Erst bei der kommunalen Neugliederung von 1975 wurden die Zugehörigkeiten geändert, die heute noch Bestand haben.

Über die Eingliederung der bis dahin selbstständigen Kommunen Holsterhausen und Hervest-Dorsten in die Stadt erschien 1943 eine Broschüre, in der die Feierstunde dokumentiert ist.

Die damalige Zusammenlegung der beiden Bergbaugemeinden mit der früheren Handelsstadt Dorsten stieß nicht auf ungeteilte Zustimmung in der Bevölkerung. Zu sehr achteten die jetzt als „Altstädter“ bezeichneten südlich der Lippe wohnenden „Städter“ auf ihre poahlbürgerliche Herkunft und die sozialen Unterschiede. Der Volksmund kreierte in der Stadt den Ausspruch „Über den Jordan gehen“ als etwas, was man eigentlich nicht tut: Die angestammte Heimat und die besseren sozialen Verhältnisse verlassen. Doch die damaligen nationalsozialistischen Kommunal- und Kreispolitiker schwärmten geradezu von der angeordneten Zusammenlegung. Da schien es ihnen gleichgültig zu sein, dass es Widersprüche über die Auffassung gab, ob die Zusammenlegung nun wirtschaftlich und finanziell einen Vorteil für die Stadt bringe oder einen Nachteil. Diese aufkommende Diskussion wurde schnell unter den Teppich einer gemeinsamen euphorischen Haltung gekehrt.

Regierungsvizepräsident: „Zusammenschluss ist ein völlig freiwilliger“

Entsprechend feierten die Politiker dieses Ereignis in einer Ratsherrensitzung unter Leitung von Bürgermeister Dr. Josef Gronover am 9. Juni 1943 im damaligen Landesaufnahmeheim, der früheren klösterlichen Krankenanstalt „Maria Lindenhof“ der Barmherzigen Brüder von Montabaur, die schon 1936 nach einem Schauprozess vertrieben worden waren. Hochrangige Vertreter von Staat und Partei waren anwesend, darunter Regierungsvizepräsident Klein als Abgesandter des Oberpräsidenten von Westfalen und des Regierungspräsidenten, dann der NSDAP-Oberbereichsleiter Auras mit seinem gesamten Stab, Landrat Dr. Reschke, der Standortälteste der Wehrmacht, General Hempel, viele Altbürgermeister sowie eine handverlesene Auswahl verwundeter Soldaten, darunter auch Schwerstverwundete, die in dem im Landesaufnahmeheim untergebrachten Lazarett lagen.

Regierungsvizepräsident Klein legte in seiner Ansprache nach vielen Dankesworten den heilenden Finger auf die Wunde, indem er hervorhob, dass „sich alle in voller Anerkennung der Notwendigkeit des Zusammenschlusses zu diesem Schritt entschlossen“ hätten, dass „nirgendwo das Gefühl aufgetreten“ sei, „irgendwer sei majorisiert“ worden. Er konstatierte: „Der Zusammenschluss ist ein vollkommen freiwilliger“, und mit der Zusammenlegung beginne die Periode einer neuen einheitlichen Verwaltung, „die glücklich und segensreich sein möge“. Dann berief er für die neue größere Gemeinde die Herren Fabrikant Ludwig Schürholz, Landwirt Großblotekamp und Lehrer Schwarz, den NSDAP-Ortsgruppenleiter von Holsterhausen, auf Vorschlag der NSDAP zu ehrenamtlichen Beigeordneten.

Von der Dornröschenstadt zur Industriegemeinde

NSDAP-Kreisleiter Auras ernannte als Beauftragter der Partei danach folgende Parteigenossen zu neuen Stadträten Groß-Dorstens: Rechtsanwalt Heinrich Nordmann, Kaufmann Wilhelm Beisenbusch, Kaufmann Anton Döpp, Vorarbeiter Ernst Horstkamp, Anstreichermeister Wilhelm Gahlen, Rendant Karl Schämann, Kaufmann Paul Schürholz, Kaufmann Heinrich Brune, Bergassessor Paul Schulte-Borberg, Kaufmann Ludwig Cirkel, Ortsbauernführer Fritz Einhaus, Bergmann August Riepa, Bäckerobermeister Karl Kochen, Fahrsteiger Otto Berke, Versandleiter Gustav Prenzler, Möbelhändler Bernhard Wemhoff, Bergmann Friedrich Dornhöfer, Landwirt Heinrich Ostrop, Gastwirt Bernhard Möller, Fabrikant Robert Paton, Kaufmann Friedrich Stöckmann, Bergmann Klaus Glinka, Obergerichtsvollzieher Karl Wolters, Betriebsbahninspektor Gottfried Pfannkuche. Er beglückwünschte die zu Stadträten ernannten Parteigenossen aus Dorsten, Holsterhausen und Hervest.

Bürgermeister Dr. Gronover schloss sich den Glückwünschen an und gab einen Überblick über die Entwicklung Dorstens „von der alten Dornröschenstadt zur heute großen Industriegemeinde“. Er sprach dabei von der wirtschaftlichen Not vor allem in der danieder gelegenen Bergarbeitergemeinde Holsterhausen, von den Existenzängsten der Arbeiter sowie die Verschuldung der Kaufmannschaft und ging auch ein auf die Versuche der Regierung, gerade in Holsterhausen die Not zu lindern. „Hier wäre jeder Sanierungsversuch ein zweckloses Beginnen geblieben“, sagte er, „wenn nicht der nationalsozialistische Umbruch des Jahres 1933 den Weg aus dem wirtschaftlichen und kommunalpolitischen Wirrwarr freigemacht hätte.“ Und dann ging er auch auf die Unstimmigkeiten ein, die eine Zusammenlegung der Gemeinden hervorgerufen hatte.

„Es kann nicht verschwiegen werden, dass auch diese Lösung [Zusammenlegung] durchaus nicht den ungeteilten Beifall der Einwohnerschaft links und recht der Lippe fand. Weite Kreise in der Stadt fanden die Einamtung als eine Art Degradierung, während zahlreiche Einwohner des Amtsbezirks als Folge dieser Maßnahme ein Übergewicht der Stadt in verwaltungsmäßiger Hinsicht und eine Verschlechterung der eigenen Gemeindefinanzen befürchteten. […] Heute darf indessen festgestellt werden, dass die damaligen Befürchtungen unbegründet waren. Die im Amtsverband geschaffene Verwaltungsgemeinschaft von Stadt und Land hat ihre Schlagkraft im harten Kriegseinsatz unter Beweis gestellt. Durch die gemeinsame kommunalpolitische Arbeit im Amt in kurzer Zeit [ist über zwei Monate] eine Entspannung in den Beziehungen der Nachbarn von hüben und drüben eingetreten, so dass auch vor Kriegsausbruch die dringend notwendige Verschmelzung der drei Gemeinden Dorsten, Hervest und Holsterhausen eingeleitet werden konnte.“

Bürgermeister: „Forderungen der Gegenwart auf Krieg und Sieg eingestellt“

Dr. Gronover erwartete von der „Verschmelzung“ neben erheblichen Verwaltungsvereinfachungen vor allem eine „weitere Verbesserung der städtischen Finanzen“. Als dringliche Probleme bezeichnete er die Industrieplanung, den Wohnungsbau, die Altstadtsanierung, den Neubau des Rathauses und eines Schulhauses sowie Verkehrsverbesserungen vom rechten zum linken Lippeufer [ein Problem, das bis heute nicht zufriedenstellend gelöst werden konnte]. Er schränkte die Dringlichkeit dieser Probleme sofort wieder ein: „Heute müssen die örtlichen Wünsche zurücktreten, weil alle Forderungen der Gegenwart auf Krieg und Sieg eingestellt sind.“

Landrat Dr. Reschke, der die Glückwünsche des Kreises überbrachte, ging auch auf die vorangegangenen Streitereien um die Vereinigung der Gemeinden ein. Als er dem Gauleiter den Zusammenschluss vorgetragen habe, sagte der Landrat, habe dieser „als erste Voraussetzung“ verlangt, dass dadurch keinerlei kommunale Streitereien entstehen dürften. Er, der Landrat, habe sich dem Gauleiter gegenüber dafür verbürgt. Pathetisch wurde er am Ende seiner Rede, die auch den Schlusspunkt der festlichen Ratsherrensitzung bildete. Angesichts der verwundeten Soldaten, die als Gäste am Festakt teilnahmen, sagte er an die von der NSDAP neu bestellten Ratsherren gewandt:

„Sorgen Sie dafür, dass alles, was hier gesprochen worden ist, bestehen kann vor den Augen und Ohren der Männer, die für das Vaterland dem Tode ins Auge gesehen haben.“

Mit der Führerehrung und „dem Gesang der Nationalhymnen“ [Deutschlandlied und Horst-Wessel-Lied] schloss diese denkwürdige Ratsherrensitzung. Das Dritte Reich verschwand schon zwei Jahre später. Aber Holsterhausen und Hervest gehören immer noch zu Dorsten. Und der Beifall ist immer noch geteilt.

 

 

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