Bischof Clemens August von Galens Besuch in Dorsten. NSDAP-Mitglied Hoffrogge kutschierte den Oberhirten 1936 durch die Stadt

Bischof Graf von Galen wird 1936 an der Lippebrücke mit der Kutsche abgeholt und in die Stadt gefahren

Von Wolf Stegemann

Nach ihm sind fast in jeder münsterländischen Stadt und in jedem Dorf Straßen benannt, wie beispielsweise in Dorsten die Clemens-August-Straße. In Altendorf-Ulfkotte ist er Namensträger der Hauptschule. Denn der Graf war von 1933 bis zu seinem Tod im Jahre 1946 Bischof von Münster und besuchte in dieser Zeit mehrmals Dorsten und umliegende Landgemeinden. Er war als Angehöriger des konservativen Flügels des Zentrums auch politisch engagiert. Bekannt wurde er unter anderem durch sein öffentliches Auftreten gegen die Tötung so genannten „lebensunwerten Lebens“. 1946 wurde er zum Kardinal erhoben und 2005 selig gesprochen.

Bischof Clemens August besuchte vom 8. bis 16. September 1936 die St. Agatha-Gemeinde in Dorsten. Vorstand und Bevölkerung holten ihn, wie es üblich war, an der Lippebrücke mit Pomp ab und geleiteten ihn zur Kirche. Pfarrer Heming schrieb in die Kirchenchronik am 8. September:

„Ankunft des H. H. Bischofs Clemens August in Dorsten. Zwei Tage vorher regnete und stürmte es furchtbar. Erst am Nachmittag des 8. September wurde das Wetter besser. In aller Eile wurde nun gekränzt und geschmückt, so dass doch bei der Ankunft des Bischofs noch alles fertig war. Alle Straßen, durch die der Bischof kommen sollte, waren mit Fahnen und Guirlanden aufs prächtigste decoriert. Die ganze Geistlichkeit des Dekanates mit dem Dechanten Vrey an der Spitze und eine unübersehbare Menschenmenge erwarteten den Bischof an der Lippebrücke. Nach der Begrüßung schritt der Bischof unter dem Baldachin durch die Straßen, die voll waren von Menschen, und hielt dann in der Kirche eine Ansprache. In der Pastorat begrüßte er den Clerus und die Mitglieder des Kirchenvorstandes von St. Agatha.“

Und weiter heißt es unter dem 9./10. September 1936:

Der Bischof 1936 in einer Prozession in Dorsten

„Am 3. Tag machte der Bischof eine Rundfahrt im offenen Wagen durch die prächtig geschmückte Stadt. Überall wurde er von der Bevölkerung begeistert begrüßt. Die Kapläne, die in einem Auto hinterher fuhren (warum nicht auch in einer Kutsche?), mussten unterwegs aussteigen und zu Fuß nach Hause gehen, weil der Wagen keinen Sprit mehr hatte! … Besonders eindrucksvoll waren die Besuche in St. Ursula und Gymnasium. Die Schulen irgendwie mit Grün zu schmücken, war von der Regierung verboten worden. Die Ausschmückung der Pfarrkirche verdient noch besonders hervorgehoben zu werden. Oben auf dem Turm wehten 4 Banner, ebenso auf der Galerie; an der Vorderseite des Turmes hing eine lange Fahne in den Bischofsfarben. Rechts und links vom Eingang waren 2 riesige Spruchbänder angebracht. Auch das Innere der Kirche war mit Guirlanden und Lorbeerbäumen schlicht, aber wirkungsvoll geschmückt.“

Die Chronik berichtet von Firmungen mit dem Bischof in anderen Kirchengemeinden und einer Feier im Pfarrhaus, das mit „roten Lampions sehr schön illuminiert“ war, von einer Dekanatskonferenz mit dem Bischof. Unter dem 16. September steht:

„Gegen 6 Uhr abends trat der Bischof die Rückreise an. Dem Viergespann, das Bauer Hoffrogge kutschierte, gab wieder ein stattlicher Reiterzug das Ehrengeleit. Man machte später Hoffrogge von seitens der Partei allerlei Vorwürfe wegen seines Verhaltens m aber dieser ließ sich nicht bange machen, sondern erklärte: ,Wenn ihr wollt, könnt ihr mich ruhig heraus werfen. Den Bischof von Münster zu fahren, rechne ich mir zur höchsten Ehre an!’ [Hoffrogge war Nationalsozialist und Mitglied der NSDAP.] Der Bischof ist in den Dorstener Firmungstagen unzählige Male geknipst worden. Die Bilder fanden reißenden Absatz und der Fotograf Adrian hat selten ein so gutes Geschäft gemacht wie in jenen Tagen.“

Bei seinem Besuch im Mai 1937 weihte Bischof von Galen die Laurentiuskirche in Lembeck ein und am 13. August 1942 in Deuten die Herz-Jesu-Kirche.

Handeln und Wirken des Bischofs – Diskussion in Dorsten

Der Bischof 1937 in Lembeck; v. l. Ferdinand Graf von Merveldt, davor Josef Haane, Bernhard Kerkmann und Heinrich Sondermann.

Noch vor seiner Amtseinführung protestierte er erfolgreich unter Bezugnahme auf Art. 21 des Preußenkonkordats, wonach der Unterrichtsstoff für den Religionsunterricht im Einvernehmen mit den kirchlichen Stellen festzulegen war. In seinem ersten Osterhirtenbrief griff er 1934 zentrale Aussagen der NS- und Rassen-Ideologie als „Rückfall in das Heidentum“ an. In Denkschriften, Hirtenbriefen und Predigten nahm er immer wieder Stellung gegen die NS-Politik und den Krieg. Bekannt wurden seine drei kritischen Predigten von 1941, von denen sich die erste gegen die Gestapo richtete und kritisierte die fehlende Gerechtigkeit in der Staatspolitik und Justiz:

„Der physischen Übermacht der Geheimen Staatspolizei steht jeder deutsche Staatsbürger völlig schutzlos und wehrlos gegenüber. […] Keiner von uns ist sicher, und mag er sich bewusst sein, der treueste, gewissenhafteste Staatsbürger zu sein, mag er sich völliger Schuldlosigkeit bewusst sein, dass er nicht eines Tages aus seiner Wohnung geholt, seiner Freiheit beraubt, in den Kellern und Konzentrationslagern der Geheimen Staatspolizei eingesperrt wird.“

In der zweiten dieser Predigten beklagte der Bischof die Verfolgung der katholischen Kirche und der Gläubigen. In der dritten Brandpredigt prangerte er die Ermordung geistig-kranker Menschen in den westfälischen Heil- und Pflegeanstalten an:

„Hier handelt es sich um Menschen, unsere Mitmenschen, unsere Brüder und Schwestern! Arme Menschen, kranke Menschen, unproduktive Menschen meinetwegen! Aber haben sie damit das Recht auf das Leben verwirkt? Hast du, habe ich nur so lange das Recht zu leben, solange wir produktiv sind, solange wir von den anderen als produktiv anerkannt werden?“

Da die Machthaber zu der Einschätzung gelangten, dass ihre Versuche einer Geheimhaltung der Tötung von Kranken gescheitert waren, weiterer Widerstand der Kirchen zu befürchten stand und die „Euthanasie“ sich als in weiten Teilen der Bevölkerung nicht konsensfähig erwies, wurde die Aktion T4 unterbrochen und erst ein Jahr später in weniger auffälliger Form fortgesetzt.

Bischof von Galen 1936 in St. Antonius Holsterhausen

Unterschiedliche Bewertung der Person und des Werkes

Person und Werk des Bischofs werden unterschiedlich bewertet. Von Galen wird – abgesehen von vereinzelten Stimmen, die ihn als Wegbereiter und Anhänger des Regimes darstellen – von einer breiten Öffentlichkeit als Gegner des NS-Regimes angesehen. Unterschiedlich bewertet werden Beginn der Gegnerschaft, Umfang der Auseinandersetzung und des Beweggrunds von Galens. Dabei stehen sich im Wesentlichen drei Hauptströmungen gegenüber.

Sr. Johann Eichmann OSU merkte in ihrem Aufsatz „Der späte Mut des Löwen von Münster“ in „Dorsten unterm Hakenkreuz. Kirche zwischen Anpassung Widerstand“, Band 2, kritisch an, dass der Bischof zwar die Interessen der Kirchen immer wieder laut verteidigte und gegen die Verletzung der „Menschenwürde und die Missachtung des Naturrechts“ protestierte, dass er aber zu den Nürnberger Rassegesetzen geschwiegen hätte, ebenso zur so genannten „Reichskristallnacht“, zu den Judenpogromen und Deportationen, „obwohl auch zahllose getaufte Juden von diesen Maßnahmen betroffen waren“. Die Autorin schreibt weiter:

„Drei Wochen nach den Brandpredigten, am 14. September 1941, lässt er sich aus Furcht vor der ,roten Gefahr’ zur Bejahung des Paktbruchs mit der Sowjetunion hinreißen und prangert im Nazi-Jargon die ,jüdisch-bolschewistische Machthaberschaft’ an, gegen deren Herrschaftsanspruch man das deutsche Heer zum tapferen Kampf angetreten sei.“

Ein Leser des Aufsatzes fasste diese Aussagen als „Verunglimpfung“ auf, was die Autorin in Band 4 als „Missdeutung“ bewertete. Sr. Johanna Eichmann OSU:

„Es stimmt. Nicht von spätem Mut sondern von verspäteter Einsicht müsste die Rede sein. Kein Nachgeborener wird glauben können, dass die Bereitschaftserklärung zu Beginn der NS-Ära nur kirchenpolitische Rhetorik waren. Der Bischof war kein gewiegter Diplomat, sondern in seinen Äußerungen sehr gerade heraus.  Was meint er also, wenn er im April 1934 in Borken sagte: ,Heute dürfe der Führer, den Gott uns gegeben hat, in der katholischen Jugend die treuesten Helfer finden, um ein neues Deutschland aufzubauen.’ Es gab eben Irrtümer, auch beim Episkopat […]. Wir [die Forschungsgruppe Dorsten unterm Hakenkreuz] brauchen nicht die anonyme Zusendung von Nachrufen und Zeitungsausschnitten aus dem Jahr 1986, um zu wissen, dass Clemens August Graf von Galen einer der ganz Starken war, an denen wir – seine Zeitgenossen – uns später halten und festmachen können.“

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Quellen: Chronik St. Agatha (unveröffentlicht). – Sr. Johanna Eichmann OSU „Der späte Mut des Löwen von Münster. Seine Brandpredigten stärkten den Widerstand“ in Dirk Hartwich/Wolf Stegemann (Hg) „Dorsten unterm Hakenkreuz. Kirche zwischen Anpassung und Widerstand“, Dorsten 1984 (Bd. 2).

 

 

 

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