Der Deutsche ist brutal, wenn er siegt. Selbstmitleidig, wenn er geschlagen ist. In einer Gebrauchsanweisung für britische Soldaten für Deutschland kurz vor dem Fall des Nazi-Regimes geht es unmissverständlich zu. Nun steht das Buch auf den Bestsellerlisten. Bei Kiepenheuer und Witsch ist es 2014 als zweisprachige Ausgabe unter dem deutschen Titel „Leitfaden für britische Soldaten in Deutschland 1944“ erschienen. Aber kann man es heute überhaupt richtig lesen?
Deutsche können keinen Tee zubereiten
Ganz entgegen der Nazi-Propaganda war den Alliierten bereits 1943 klar, dass Deutschland im Krieg unterliegen würde. Im Mai des Jahres kam der Gedanke auf, die Soldaten mit einer Art Anleitung auszustatten, wie sie sich als Besatzer in Deutschland zu verhalten hätten. So entstand „Instructions for British Servicemen in Germany 1944“. Viele Passagen lassen einen schmunzeln. „Die Deutschen treiben erst seit den letzten dreißig Jahren Sport, sind aber eifrig dabei“, ist da zu lesen. „Die meisten Sportarten lernten sie von uns.“ Fußball sei das beliebteste Spiel, werde aber nicht so kämpferisch ausgetragen wie in Großbritannien. „Härte gilt als Foul.“ Das Buch wirft auch ein Schlaglicht auf die hiesige Küche („Die Deutschen wissen nicht, wie man Tee zubereitet, aber sie verstehen durchaus etwas von Kaffee“) und warnt vor Hochprozentigem („Seien Sie vorsichtig mit Schnaps“).
Deutsche müssen sich der Verantwortung stellen
Naturgemäß rückt der Band die deutschen Kriegsverbrechen und die Naziideologie in den Mittelpunkt. Er sollte die Truppen vor dem Einfluss deutscher Propaganda immunisieren; auch wirkte er darauf hin, die Kontakte zwischen Besatzern und Besetzten auf ein Minimum zu reduzieren – eine Haltung, die bei den britischen Soldaten selbst nicht immer Zustimmung fand und später gelockert wurde. Dennoch ist der Text angesichts der Umstände – er erschien mitten im Krieg – von erstaunlicher Fairness geprägt. Der Tenor lautet: Die Deutschen müssen sich ihrer Verantwortung stellen, sie haben aber auch viel erlitten und müssen in die Lage versetzt werden, ihr Land in Ordnung zu bringen. Insofern ist das Werk ein faszinierendes historisches Dokument. Die deutsche Fassung ist gelegentlich etwas frei – zum Beispiel gleich gänzlich befreit von der letzten Seite des Vorworts –, aber zum Glück zweisprachig. Man kann also das Original lesen.
Leidvoll hatte Großbritannien erfahren müssen, dass es ihr als frühere Besatzungsmacht in Deutschland nach dem ersten Weltkrieg nicht gelungen war, den Militarismus und Expansionsdrang der Deutschen in den Griff zu bekommen. Der 1944 erschienene Leitfaden folgte deshalb drei Prinzipien:
dass alle Deutschen, ganz gleich ob Mitglieder der Nazipartei, für den Krieg mitverantwortlich waren,
dass die Deutschen grundsätzlich umlernen müssten,
dass es zwischen Besatzern und Besetzten keine Fraternisierung geben dürfte.
Dennoch galt es, die Deutschen von den Vorzügen der Demokratie zu überzeugen. Britische Soldaten sollten deshalb gelassen und selbstbewusst auftreten, streng im Umgang mit der besiegten Nation sein, aber gleichzeitig fair und anständig.
Deutsche sind widerspruchslose Kampfmaschinen
Der Leitfaden ist selbstverständlich kein Geschichtsbuch. Er soll einfache, meist sehr junge Soldaten auf ihre Besatzungszeit in einem Land vorbereiten, mit dem sie kurze Zeit zuvor noch im erbitterten Kampf lagen. Dazu gehörte es auch, den britischen Truppen die Mentalität der Deutschen aus der Sicht der Briten näher zu bringen. Deshalb ist der Leitfaden nicht nur ein interessantes historisches Dokument, das die Meinung des Kriegsgegners über Nazideutschland in jener Zeit aufzeigt. Denn trotz der Bemühung um eine einigermaßen faire Darstellung, stellen die Verfasser auch die – gelinde gesagt – Schwachstellen deutscher Mentalität heraus, die sich hie und da bis zum heutigen Tag zumindest in Ansätzen in unserer Gesellschaft gehalten haben.
Da ist zwar auch vom deutschen Fleiß und von deutscher Gründlichkeit die Rede. Deutlich steht hier aber auch, dass die Deutschen seit Jahrhunderten gewohnt waren, sich Autoritäten zu fügen und die Armee mit Absicht die Moral der Rekruten gebrochen habe, um ihr Selbstbewusstsein zu zerstören und sie in widerspruchslose Kampfmaschinen zu verwandeln. Daraus sei ein „merkwürdiges Volk“ entstanden. So sei der Deutsche wie eingangs schon geschildert, brutal, solange er siegreich bleibe, werde aber selbstmitleidig und bettle um Mitleid, wenn er geschlagen sei.
Deutsche haben ein „krankes Selbstbewusstsein“
All dies habe zu einer Mentalität geführt, die Hitler akzeptierte. „Er kommandierte sie herum, und das gefiel den meisten. Er ersparte ihnen die Mühe des Nachdenkens. Sie mussten lediglich gehorchen und konnten das Denken ihm überlassen.“ Zudem habe Hitler das kranke Selbstbewusstsein der Deutschen genutzt und die Ideologie der Herrenrasse dagegen gesetzt.
Immer wieder ist es dieses so genannte „kranke Selbstbewusstsein“ der Deutschen, aus dem aus Sicht der Briten die schlimmsten Katastrophen entstehen: die Vertrauensbrüche Hitlers gegenüber anderen Nationen, die von den Deutschen letztlich als diplomatische Meisterleistungen empfunden wurden bis hin zu der Ermordung von polnischen und russischen Kindern. Das hilft es wenig, dass die Qualität der deutschen Wurst, des Krauts oder die Schönheit der Landschaft Lob findet.
Es sei noch einmal betont: der Leitfaden ist kein Geschichtsbuch. Aber er wirft ein Schlaglicht auf ein Volk und eine Zeit, die bis zum heutigen Tag noch starke Auswirkungen auf uns haben; auf eine Generation, die zudem noch unter großen Entbehrungen und starker Traumatisierung den Grundstein zu unserer Gesellschaft gelegt hat. Letztlich ist der Band deshalb aufgrund seiner Zweisprachigkeit nicht nur für den Englischunterricht empfehlenswert, sondern für alle Fächer, die sich mit unserem Denken und Handeln befassen.
Deutsche haben ihre Gefühle nicht im Griff
Leseprobe: „Wenn Sie deutschen Zivilisten Befehle erteilen müssen, äußern Sie dies in strengem, militärischem Ton. Der deutsche Zivilist ist daran gewöhnt und erwartet nichts anderes.“
Anders als nach dem Ersten Weltkrieg achtete die Militärführung auf klare Distanz zu Einheimischen. So waren beispielsweise Ehen zwischen britischen Soldaten und deutschen Frauen jetzt ausdrücklich verboten. Das Misstrauen war groß.
Leseprobe: „Über die deutsche Brutalität gibt es nicht mehr viel zu sagen. Sie hat sich in den Nazimethoden des Regierens und der Kriegsführung unmissverständlich entlarvt.“
Für die Verbrechen der Nationalsozialisten und der Wehrmacht hatten die Engländer keine rationale Erklärung. Die Antwort auf die Frage nach dem Warum fanden die Autoren des Leitfadens in einer kollektiv gespaltenen Psyche ihrer besiegten Gegner:
Leseprobe: „Die Deutschen habe ihre Gefühle nicht im Griff. Sie weisen einen hysterischen Charakterzug auf. Sie werden feststellen, dass Deutsche häufig bereits in Wut geraten, wenn auch nur die geringste Kleinigkeit daneben geht.“
Hartes Spiel oder Foul? Außerdem heißt es in dem Buch, dass die Deutschen zum Selbstmitleid tendieren, melancholische Lieder lieben und dass selbst kinderlose alte Ehepaare darauf bestehen, ihren eigenen Weihnachtsbaum aufzustellen. „An solchen Beispielen wird dann gezeigt, dass es in Deutschland eine kuriose Mischung gibt aus Sentimentalität auf der einen und Gefühlskälte auf der anderen Seite“, erläutert der Übersetzer Helge Malchow.
_______________________________________________________________