Der gelbe Judenstern – Durch Verordnungen gekennzeichnet, ausgegrenzt, entrechtet, ausgeraubt und deportiert

Der gelbe Judenstern (Jüdisches Museum Westfalen, Dorsten)

Von Wolf Stegemann

Die Judenverfolgung im Dritten Reich ist das dunkelste Kapitel der deutschen Ge­schichte. Es war nicht das Werk des ganzen deutschen Volkes, nicht einmal der ganzen Partei und ihrer Mitläufer. Aber die Führer dieser Partei hatten von Anfang an nie einen Zweifel daran gelassen, dass der Kampfruf »Deutschland erwache!« unauf­löslich gekoppelt war mit dem anderen Kampfruf »Juda verrecke!«. Diese Parolen waren so laut, dass sie jeder hören konnte. Die Gewalt, die folgte, war so offenkundig, dass sie jeder sehen konnte. Der Beraubung, Kennzeichnung und Deportation in die Todeslager gingen Gesetze voraus, die jeder lesen konnte. Das Dritte Reich ist auch das dunkelste Kapitel der Rechtsgeschichte. Die erste gesetzliche Maßnahme der Nazis gegen Juden war 1933 das Gesetz zur Wie­derherstellung des Berufsbeamtentums, das die Ausschaltung der jüdischen Beam­ten mit Ausnahme der Frontkämpfer zur Folge hatte. Eine ähnliche gesetzliche Anordnung erging gegen die Rechtsanwäl­te, es folgte das Schriftleitergesetz, das die Juden aus der Presse ausschaltete. Im üb­rigen ist der Anfang des Nazi-Regimes durch einige außergesetzliche Maßnahmen gekennzeichnet: durch den Boykott am 1. April 1933 und die Bücherverbrennung am 10. Mai 1933, die allerdings im Ausland eine verheerende Wirkung zeigten, so dass sie nicht weiter durchgeführt wurden. Die nächste gesetzgeberische Maßnahme erfolgte 1935 auf dem Nürnberger Reichs­parteitag durch den Erlass des Reichsbür­gergesetzes und des Gesetzes zum Schütze des deutschen Blutes und der deutschen Ehre. Durch das erste wurden deutsche Juden politisch entrechtet und demgemäß auch die noch verbliebenen jüdischen Beamten entfernt. Für den jüdischen Gewerbebetrieb wurde die Aufnahme in ein Verzeichnis vorgeschrieben. Durch das zweite Gesetz erfolgte das Ver­bot der Eheschließung zwischen Juden und Nichtjuden, ebenso des außerehelichen Geschlechtsverkehrs zwischen Juden und Nichtjuden und das Verbot des Haltens von nichtjüdischen Hausangestellten unter 45 Jahren in jüdischen Haushalten. Weiter erging ein Verbot des Hissens der deutschen Reichsflagge durch Juden, wogegen – welch ein Hohn! – das Hissen der jüdischen Flagge mit dem Davidstern ausdrücklich gestattet wurde.

Eine Bank nur für "Arier"

Wälder und Parks für Juden verboten

Im Jahre 1938 setzten alsdann weitere gesetzliche und außergesetzliche Maßnahmen ein, nachdem in der vorhergehenden Zeit bereits durch kleinliche Schikanen und Verfolgungen ein günstiger Boden hierfür geschaffen worden war. An den Geschäften nahmen die Plakate »Juden unerwünscht« oder »Juden ist der Zutritt verboten« zu. In Parks und Anlagen wurde den Juden die Benutzung der Bänke in der Regel unter­sagt; später wurde ihnen das Betreten von Grünflächen und Wäldern gänzlich verbo­ten

Im Juni 1938 erfolgte die erste große Aktion gegen die angeblich asozialen Elemente unter den Juden durch Überführung in das Konzentrationslager Buchenwald. Um als »asozial« zu gelten, genügte schon die Über­tretung von Verkehrsvorschriften. Gleich­zeitig wurde die Ausschaltung der Juden aus den freien Berufen fortgesetzt (Ärzte, Tierärzte, Apotheker, Patentanwälte, Zahnärzte). Aus Ärzten wurden »Krankenbehandler«, aus Rechtsanwälten »Konsu­lenten«, die nur noch Juden versorgen und beraten durften.

Der Stürmer, das antisemitische NS-Hetzblatt

Kennzeichnung durch Stempel im Pass und jüdische Zusatznamen

Andere Maßnahmen gegen die Juden bestanden in der Einführung des Kennkar­tenzwangs mit dem großen eingedruckten »J«. Eine andere Verordnung zur Kennzeichnung war die Einführung des jüdischen Vornamens »Sarah« für Frauen und »Israel« für Männer. Betroffen waren die Juden, die keinen jüdischen Vornamen hatten. Die Ermordung des Botschaftssekretärs vom Rath in Paris durch den polnischen Juden Grünspan gab den Anlass für eine Flut von Gesetzen und eine Fülle von Dis­kriminierungen der schlimmsten Art. In der Pogromnacht am 10. November 1938 wurden Geschäfte und Woh­nungen von Juden sowie Synagogen zerstört und in Brand gesteckt. Wenige Tage darauf wurden Tausende von Juden verhaftet und als Geiseln in Konzentrationslager ge­bracht. Die Mehrzahl hat man nach einigen Wochen wieder entlassen, meistens unter der Auflage, so schnell wie möglich auszu­wandern.

Die Reichsregierung benutzte vor allem die Auswanderung als Anlass dazu, sich an dem Vermö­gen der Juden zu bereichern und diese in weitestem Maße aus dem Wirtschaftsleben auszuschließen. Die Juden mussten den Schaden, der ihnen zugefügt wurde, selbst bezahlen. Versicherungsleistungen mussten an das Reich abgetreten werden. Ihnen wurde zudem die Zahlung einer »Sühnelei­stung« in Höhe von einer Milliarde Mark auferlegt.

NS-Wochenparole in Millionen-Auflage verteilt

Theater, Kinos, Konzerte und Museen für Juden verboten

Es folgten weitere gesetzliche Anordnun­gen, so die Reichspolizeiverordnung über das Auftreten der Juden in der Öffentlich­keit, der so genannte Judenbann, der den Juden den Besuch von Theatern, Kinos, Konzerten, Museen, Ausstellungen, Sport­plätzen, Badeanstalten usw. verbot und für bestimmte Straßen und Zeiten Ausgehver­bote erließ. Man entzog den Juden die Fah­rerlaubnis und verbot ihnen das Halten von Kraftfahrzeugen mit dem Hinweis auf den Attentäter Grünspan. Die »feige Mordtat« lasse die Juden ungeeignet für das Führen eines Fahrzeugs erscheinen. Ein Erlass des Reichserziehungsministers schloss die Juden von deutschen Schulen aus, es konnte den nichtjüdischen Kindern nicht zugemutet werden, mit jüdischen Kin­dern auf denselben Bänken zu sitzen. Fer­ner wurden die Wohlfahrtsgesetze für Juden aufgehoben. Grundeigentum, land­wirtschaftliche und gewerbliche Betriebe von Juden mussten an »Arier« verkauft werden, wozu eine behördliche Genehmigung erforderlich war. Juden durften keine Grundstücke und Rechte daran haben, keine Juwelen, keinen Schmuck und keine Kunstgegenstände erwerben. Das ihnen verbliebene Vermögen war anzumelden. Die Zahlung an entlassene jüdische Beamte wurde eingestellt. Anfang des Jahres 1939 erging die Anordnung, wonach Juden zur Ablieferung von Gold, Juwelen, Edelstei­nen und Perlen verpflichtet waren. Auch die Steuergesetzgebung belastete die Juden schwer, sie wurden in der höchsten Steuerstufe veranlagt, später kamen noch so genannte Sozialausgleichsabgaben in Höhe von 15 Prozent des Einkommens dazu. Diese Maßnahmen hatten eine weite­re Herabsetzung des schon stark gesunke­nen Lebensstandards der Juden zum Zweck. In schlecht bezahlten Stellungen hatten sie oft zwischen 30 und 40 Prozent ihres Einkommens an Steuern zu zahlen.

"Jüdische Rundschau" 1933 (Jüd. Museum Dorsten)

Führerscheine und Telefonanschlüsse für Juden verboten

Im Jahr 1939 entzog ein Gesetz den Juden den Mieterschutz. Juden konnten nur noch an Juden untervermieten und zur Unterbringung anderer Juden verpflichtet werden. Neben diesen Maßnahmen gab es eine Anzahl anderer Anordnungen untergeordneter Instanzen und Schikanen. Bei geringfügigen Übertretungen setzte eine Welle harter Strafverfolgungen ein. In erschreckender Weise häuften sich z. B. die Polizeistrafen wegen falschen Überschrei­tens von Straßen. Man hatte in hinterlistiger Weise an jüdischen Friedhöfen und jüdischen Krankenhäusern Polizeiposten aufge­stellt, um die jüdischen Passanten zu schika­nieren. In diese Zeit fällt auch die Festle­gung bestimmter Einkaufszeiten, meistens nachmittags zwischen 16 und 17 Uhr: Natur­gemäß war es nicht möglich, dann die Ein­käufe zu tätigen, da es zu dieser Zeit kaum noch Waren gab. Bei Kriegsanbruch muss­ten alle Juden ihre Radiogeräte abliefern, kurz danach wurden ihnen die Telefonanschlüsse gesperrt, die Gas- und Wasserwer­ke verlangten von Juden eine höhere Kau­tion.

Das Jahr 1940 brachte den Beginn jener Maßnahmen, die als »Evakuierungen« bezeichnet wurden und das Schrecklichste darstellten, was Menschen erdulden muss­ten. Im Februar wurden zunächst die Juden aus Pommern in den Osten evakuiert, im Herbst folgte die Evakuierung der Juden in Baden und der Pfalz nach Südfrankreich. Diese Aktionen wurden als »Ausnahme­maßnahmen«, als militärische und polizeili­che Notwendigkeiten erklärt. Diese Eingrif­fe riefen unter den deutschen Juden große Bestürzung hervor.

Der gelbe Judenstern als Ausgrenzungszeichen

Der gelbe Judenstern war Höhepunkt der „Juden-Gesetzgebung“

Die Verordnung über die Kennzeichnung der Juden setzte im Herbst 1941 einen neuen Höhepunkt in der »Juden-Gesetz­gebung« des Nazi-Reichs. Jeder Jude vom 6. Lebensjahr an hatte einen gelben Stern auf der linken Brustseite zu tragen. Zu die­sem Zeitpunkt waren die polnischen Juden bereits durch eine Armbinde und durch einen Stern auf der Vorder- wie auf der Rückseite der Kleider markiert. Da die Juden aus den bisherigen Arbeitsverhältnissen entlassen waren, wurden sie zur Zwangsarbeit in kriegswichtigen Betrie­ben verpflichtet. Eine geheime Anweisung der zuständigen Stelle hatte ausdrücklich die Heranziehung der Juden zu den »schwersten und schmutzigsten« Arbeiten vorgesehen: Arbeitsrechtlicher Schutz und Vergünstigungen wurden ihnen entzogen. Von späteren gesetzlichen Maßnahmen sei nur noch die 11. Verordnung zum Reichs­bürgergesetz erwähnt, die den Verlust der deutschen Staatsangehörigkeit für solche Juden anordnete, die ihren gewöhnlichen Aufenthalt im Ausland hatten. Das Vermö­gen dieser Personen fiel an das Reich.

Bericht über das staatsgesteuerte Pogrom; Dorstener Volkszeitung vom 11. November 1938

Dorstener Volkszeitung vom 13. November 1938

Vögel, Fische, Katzen und Hunde verboten

Schließlich gab es noch die 13. Verordnung zum Reichsbürgergesetz aus dem Jahre 1943, wonach strafbare Handlungen von Juden künftig nicht mehr durch die ordent­lichen Gerichte, sondern durch die Polizei geahndet werden sollten. Dies bedeutete Gestapo, Folter, Konzentrationslager. Die Verordnung bestimmte ferner, dass nach dem Tode eines Juden dessen Vermögen dem Reich verfallen sollte. Seit 1942 brach eine Fülle außergesetzlicher Maßnahmen über die Juden herein, die sie in ihrer Rechtlosigkeit noch tiefer demüti­gen sollten mit dem Ziel, sie für die Deportation in die Todeslager gefügig zu machen. Dazu gehörten Lebensmittelkürzungen, das Verbot des Haltens von Haustieren (Hunde, Katzen, Vögel). Diese Bestim­mung erstreckte sich sogar auf nichtjüdische Mitbewohner des Haushalts. Es erging fer­ner ein Verbot der Inanspruchnahme von Friseuren durch Juden und der Benutzung öffentlicher Verkehrsmittel. Jüdische Wohnungen mussten kenntlich gemacht werden. Juden war der Kauf von Zeitungen und Zeitschriften verboten. Jüdi­sche Schulen wurden geschlossen, so dass die Kinder ohne Unterricht blieben. Abge­liefert werden mussten elektrische Geräte, Plattenspieler, Schallplatten, Schreibma­schinen, Fahrräder, optische Geräte, Pelze, Kleidung usw. An der Rampe in Auschwitz verloren die Juden die letzten Reste ihrer Habe. Es blieb ihnen das nackte Leben, das ihnen dann auch noch genommen wurde. An den Haken der Entkleidungsräume vor den als Duschen getarnten Gaskammern hingen die letzten Reste ihres Besitzes: Kleider mit dem angenähten Judenstern.

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