Jüdischer Besitz – Der NS-Staat raubte mit zynischer Legalität. Amalie Perlstein durfte im eigenen Haus wohnen bleiben

Amalie Perlstein mit den Enkelkindern Ursula und Liesel, die im KZ ermordet wurden

W. St. – Zug um Zug raubte der deutsche Staat das Eigentum seiner jüdischen Bürger. Auch die Dorstener Juden wurden nach dem 9. November 1938 verhaftet und ins Gefäng­nis gebracht. Unter Druck und Drohung ver­pflichteten sich die Verfolgten, ihre Geschäfte und Grundstücke zu verkaufen und ins Ausland zu gehen. Dann wurden sie freigelassen. Wer noch konnte, wanderte unter Zurück­lassung der Habe aus. Das Deutsche Reich erließ eine Flut von Gesetzen und Verord­nungen, um den Milliardenraub zu legalisie­ren.

Bei dem vorliegenden Fall der Amalie Perl­stein ist bereits ersichtlich, wie zynisch von „Auswanderung, die schon eingeleitet ist“ gesprochen wird. Der ursprünglich vereinbarte Kaufpreis über 16.000 Reichsmarken dürfte dem tatsächlichen Wert entsprochen haben. Die deutsche Regierung wollte aber nicht, dass die jüdi­schen Bürger von dem „Verkauf“ ihrer Häu­ser und Grundstücke auch noch Geld beka­men. So setzte der Regierungspräsident den »Kaufpreis« auf 12.000 RM herab, wohl wis­send, dass damit lediglich die Bankschulden bezahlt wurden und Frau Perlstein aus dem Verkauf des Hauses keinen Pfennig erhielt. Die ursprünglich vereinbarte Ratenzahlung war durch die Auflage des Regierungspräsi­denten hinfällig geworden. Amalie Perlstein musste ihr Haus in der Essener Straße abtre­ten und obendrein noch 20 RM Miete bezah­len.

Amalie Perlstein wanderte nicht aus. Ihr Tod im Oktober 1941 ersparte ihr die Deportation im Januar 1942 in das Rigaer Ghetto, das sie zweifellos nicht überlebt hätte. Das Haus ihrer Nichte Hildegard Perlstein, Lippestraße 57, übernahm nach ihrer „Abschiebung ins Ausland“ das Deutsche Reich – kostenlos und nach dem damaligen Gesetz legal. Unter „Abschiebung ins Aus­land“ verstanden die Behörden den zwangsweisen Transport in die Vernichtungslager, psychische und physische Vernichtung. Hil­degard Perlstein wurde im Januar 1942 (nicht Dezember 1941 wie in der Urkunde fälschlicherweise angegeben) ins Rigaer Ghetto deportiert. Mit dem 8. Mai 1945 wurde sie für tot erklärt.

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Betreff: Witwe des Metzgermeisters David Israel Perlstein, Amalie Sara geborene Voss

Vertrag vom 2. März 1939.

 Vor dem Notar Ferdinand Beckmann in Dorsten (…) schlossen die Erschienenen folgenden Vertrag:

§ 1

Frau Witwe Metzgermeister David Israel Perlstein Amalie Sara geborene Voss verkauft die in der Stadt Dorsten gelegenen Grundstücke (insgesamt 627 m2) mit aufstehenden Gebäuden und mit dem in dem mitverkauften Geschäftshaus Essener Straße 24 befindlichen Geschäfts-Inventar an Metzgermeister (…).

§ 2

Der Kaufpreis beträgt: für den Grund und Boden mit Gebäuden 14.500 RM und für das Geschäftsinventar 1.500 RM. Dieser Gesamtkaufpreis von 16.000 RM ist wie folgt zu begleichen: Auf den verkauften Grundstücken stehen (…) insgesamt 12.225 RM Belastungen ein­getragen.

Diese Schuld in Höhe von noch 11.747,52 RM übernimmt der Käufer in Anrechnung auf den Kaufpreis. Den Restbetrag des Kaufpreises mit 4.252,48 RM hat der Käufer in monatlichen Raten von 100 RM in bar und durch Gewährung der bisherigen Wohnung an die Verkäuferin zu entrichten. Die Wohnung wird mit monatlich 20 RM bewertet. (…)

Die Verkäuferin hat das Recht, bis zu ihrer Auswanderung, die schon eingeleitet ist und von Frau Perlstein nicht schuldhaft verzögert werden soll, in dem zweiten Stockwerk des verkauften Hauses die bisher von ihr benutzten vier Räume mietweise für sich und ihre Kinder zu benutzen. (…)

Wenn durch die vorgesehenen Ratenleistungen von monatlich 120 RM der ganze Restkaufpreis gezahlt ist und die Verkäuferin noch in Dorsten ist, dann soll ihr die Wohnung gegen Zahlung eines mäßigen Mietzinses bis zu ihrer Auswanderung mietweise ver­bleiben. Als Mietzins hat sie dann monatlich 20 RM an den Hauseigentümer zu zahlen. Der Mietzins wird deshalb auf diesen Betrag ermäßigt, weil die Verkäuferin dem Käu­fer dadurch Entgegenkommen gezeigt hat, dass sie ihn als Käufer bevorzugt hat. (…)

§ 6

Die Wirksamkeit dieses Vertrages hängt ab von der Genehmigung desselben nach der Verordnung vom 3. Dezember 1938. Die Parteien sind darüber einig, dass der Vertrag auch dann wirksam bleiben soll, wenn die genehmigte Behörde den Kaufpreis für die Grundstücke herabsetzen sollte, sofern die Herabsetzung des Kaufpreises für die Grundstücke nicht unter den Betrag von 11.747,52 RM geht.

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