KPD/SPD: Sie waren die Männer und Frauen der ersten Stunde. 1945 kämpften Kommunisten und Sozialdemokraten gemeinsam für die Lebensbedürfnisse der Dorstener

SPD-Wahlplakat 1946

Von Hiltrud Landua

Eine begründete Vorbemerkung zu diesem Kapitel sei gestattet: Schon früh fanden Zeit- und Parteigeschichtsforscher Interesse an der Politik der Sozialdemokratischen Par­tei des Nachkriegsdeutschlands und insbe­sondere an der Rolle des Vorsitzenden Kurt Schumacher. Dagegen wurde die Geschichte der SPD nach 1945 in den Bundesländern und Parteibezirken nur ansatzweise er­forscht, auf regionaler und lokaler Ebene bis Mitte der 1980er-Jahre stark vernachlässigt.

Spuren der Nachkriegs-KPD in Dorsten sind kaum vorhanden. Es gibt nur noch wenige Beteiligte, die die Geschichte der KPD-Gründung aus dem engen Sichtbereich des eigenen Miterlebens her kennen. Erinnerun­gen mit all ihren Vorbehalten sind das Ein­zige, das wiedergegeben werden kann. Die Geschichte der KPD ist bis heute ein Tabu-Thema. 1956 als verfassungsfeindlich verbo­ten, wurden Parteiunterlagen beschlagnahmt oder vernichtet; etliche Mitglieder sagten sich los, andere gingen wieder einmal in die Illegalität oder wurden mit Zuchthaus­ oder Gefängnisstrafen verurteilt. Darunter der Dorstener Edmund Labendz, der später der SPD angehörte und heute Mitglied der Linken ist.

SPD-Politiker der "ersten Stunde": Hans Winkel, Alma Wittig, Gustav Emmrich, Otto Tausend

SPD versuchte den Anschluss an die Zeit von vor 1933

Über die Mitgliederrekrutierung, innerpar­teiliche Willensbildungsprozesse, Programmdiskussionen der SPD- und KPD-Ortsgruppen nach dem Kriege und über ihre Beiträge zum Aufbau des politischen Sy­stems ist wenig bekannt, sieht man von den Sitzungsprotokollen der Beiräte und der Stadt- und Amtsvertretung ab, in denen so­wieso nur dürftige Anhaltspunkte zur Auf­baugeschichte der Stadt herauszulesen sind, nicht aber parteipolitische Ziele und Stel­lungnahmen, die über tagespolitische Ak­tualität hinausgehen.

1945 versuchten die Sozialdemokraten an ihre Organisationsformen und an die Entwicklung anzuknüpfen, die 1933 gewaltsam unterbrochen worden waren. Karl Teppe kommt in seinem Aufsatz über die SPD-Wiederbegründung, erschienen in „Geschichte von Westfalen“, zu dem Schluss, dass der Aderlass durch Verfolgung, Inhaftie­rung und Emigration in den Reihen der Sozialdemokratie erheblich gewesen war, aller­dings doch nicht so einschneidend, dass dar­unter der Wiederaufbau der Partei und die vergleichsweise rasche Rekrutierung in den zahlreichen Orts- und Stadtverbänden in Frage gestellt gewesen wäre. Führungsmit­glieder waren fast durchweg die von vor 1933.

KPD-Wahlplakat 1945

KPD litt stark unter der Verfolgung durch das NS-Regime

In Dorsten hat sich die SPD mit drei arbeits­fähigen Ortsvereinen schnell stabilisiert. Am 1. Juli 1945 wurde der Ortsverein Her­vest-Dorsten, am 15. Juli der Ortsverein Dorsten wieder begründet, wenn auch zu dem Zeitpunkt noch „illegal“. Unverzüglich wurde auch ein provisorischer Stadtverband mit Gustav Emmrich aus Holsterhausen an der Spitze ins Leben gerufen. Die KPD hat wie kaum eine andere Partei unter den Verfolgungen des NS-Regimes gelitten. Noch vor Unterzeichnung der Kapitulationsurkunde vom 8. Mai 1945 bildeten sich in zahlreichen Städten sofort wieder Organisationskomitees der kommunistischen Partei. Sie wurden Anlauf- und Sammelstel­len ehemaliger Funktionäre, die in den er­sten Stunden eine außerordentliche Betrieb­samkeit entfalteten. Bereits am 8. Mai 1945 wählten die Vertreter der Städte Essen, Oberhausen, Dortmund, Hamm, Gelsenkir­chen und Recklinghausen das Sekretariat der Bezirksleitung „Ruhrgebiet“ und beauf­tragten Adolf Prinz mit der politischen Lei­tung, Walter Jarreck mit der Organisation und Josef Ledwohn mit der Agitation und Propaganda. Der Aufbau der KPD vollzog sich in der Illegalität, da zu diesem Zeit­punkt noch jegliche politische Arbeit verbo­ten war. Auf diese Weise verschaffte sich die KPD einen politischen Vorsprung vor den anderen Parteien.

Eine Fusion von SPD und KPD scheiterte

Nach einer kurzen Zeit erheblichen Mitglie­derzulaufs und großer Erfolge bei Gewerkschafts- und Betriebsratswahlen, vor allem im Bergbau, stagnierte und verfiel der Mit­gliederbestand, weil sich die KPD-Komitees nach wenigen Monaten einer freien, ungebundenen Zeit an die politische Leine des Zentralkomitees (ZK) in Ost-Berlin bzw. von Moskau legten. Eine Fusionsanstrebung der KPD mit der SPD nach dem ostzonalen Vorbild, wo sich KPD mit SPD unter dem Führungsanspruch der Kommunisten zur SED vereinigten, scheiterte an der SPD und an dem Einspruch der britischen Militärre­gierung. Die politische Großwetterlage machte die anfänglich gut funktionierende punktuelle Zusammenarbeit von Sozialde­mokraten und Kommunisten mehr und mehr unglaubwürdig und schließlich gar unmög­lich. Am 20. April 1947 vermochte bei den Landtagswahlen die KPD im Regierungsbe­zirk Münster noch 14 Prozent der Stimmen zu holen, drei Jahre später erreichte die Par­tei nur noch einen Landesdurchschnitt von 5,5 Prozent. Damit stand die Partei am Rande der parlamentarischen Existenz, de­ren Ende besiegelt war, als die KPD bei den Wahlen vom 27. Juni 1954 mit 3,8 Prozent den Wiedereinzug in den Düsseldorfer Landtag verfehlte.

KPD-Plakat 1945 gegen Wiedereinsetzung alter Nazis

KPD-Wahlplakat 1946 gegen die Zonengrenzen

Gemeinsamer Kampf für die Sicherung der Ernährung

Im Jahre 1945 ergaben sich für Sozialdemo­kraten und Kommunisten in Dorsten vielfäl­tige Ansatzpunkte zur Zusammenarbeit in tagespolitischen und grundlegend gesellschaftspolitischen Fragen. KPD und SPD kämpften gemeinsam für die Sicherung der Ernährung und anderer wichtiger Lebensbedürfnisse der Not leidenden Dorstener. Auch beim Aufbau der Betriebsgewerkschaft und in den Betriebsräten arbeiteten SPD und KPD eng zusammen. In einem Haus an der Halterner Straße fanden die gemeinsamen Besprechungen zwischen SPD und KPD statt.

Wortführer waren bei der SPD Alex Kostulski und bei der KPD Gustav Labendz, der Vater von Edmund Labendz. Beide wa­ren fest davon überzeugt, so erinnert sich Edmund Labendz, dass die Spaltung der deutschen Arbeiterbewegung nur gemein­sam überwunden werden könne und dass die Fehler der Jahre 1918 bis 1920 und 1933 nicht wiederholt werden dürften. Bereits in Kon­zentrationslagern beschworen Sozialdemo­kraten und Kommunisten politische Ge­meinsamkeiten für eine neue Demokratie nach der Befreiung. Der Dorstener Kommu­nist Gustav Ossa besprach diese Gemein­samkeiten mit dem Sohn des ersten deut­schen Reichspräsidenten, Friedrich Ebert, im KZ Papenburg (Moorland), wo beide ein­saßen. Friedrich Ebert (SPD, dann SED) wurde nach dem Krieg Bürgermeister von Ost-Berlin; Gustav Ossa, Mitglied der Amts­vertretung Hervest-Dorsten, besuchte ihn dort des Öfteren.

Unmittelbar nach dem Einmarsch der Ame­rikaner in Dorsten am 29. März 1945 haben sich in Holsterhausen und Hervest-Dorsten Kommunisten zu ersten Besprechungen un­ter Führung von Gustav Ossa zusammenge­funden, der vor 1933 Vorsitzender der KPD in Dorsten gewesen war. Nach ihrer offiziel­len Zulassung am 15. September 1945 ent­wickelte sich die Dorstener KPD schnell zu einer mitgliederstarken Partei. Traditionsge­mäß war sie am stärksten in Holsterhausen und Hervest-Dorsten. Nach Schätzungen von damals Beteiligten gehörten ihr im Jahre 1946 etwa 500 eingeschriebene Mitglieder an.

KPD-Wahlplakat 1946

KPD- und SPD-Amtsinhaber mussten den „rein gewaschenen“ Nazis weichen

Sozialdemokraten und Kommunisten waren die Männer der ersten „Stunde nach Null“. Die amerikanischen Besatzungsbehörden grif­fen bei der Neuordnung auf diese faschi­stisch unbelasteten Männer zurück, mehr noch, die Amerikaner waren auf sie ange­wiesen. Allerdings stellte sich bald heraus, dass vielen von ihnen Erfahrung bei der Be­wältigung von Verwaltungs- und Ordnungs­aufgaben fehlte. Noch 1945 wurden die mei­sten Sozialdemokraten und Kommunisten spätestens von der englischen Militärverwal­tung aus dem Dienst wieder entlassen. Mitar­beiter der früheren NS-Behörden kehrten – „rein gewaschen“ durch die Entnazifizierung – an ihre Schreibtische zurück.

In Hervest-Dorsten machten die Amerika­ner den von den Nationalsozialisten verfolg­ten Kommunisten Gustav Ossa zum Bürger­meister, Robert Bernhard zum Polizeichef und Johannes Nuschler zum Kripochef. In Holsterhausen wurde Kaplan Bernhard van Heiden Bürgermeister, Otto Budzus (KPD) Polizei­chef und Josef Schröter (KPD) Kripochef. An der Spitze der Polizei in Dorsten-Alt­stadt stand der Sozialdemokrat Jan ten Bulte. Zudem wurden als Hilfspolizisten zuerst aus­schließlich Sozialdemokraten und Kommu­nisten eingesetzt.

Ungerechte Einteilung der Wahlbezirke zugunsten der CDU

Bei den ersten Gemeindewahlen, die Major Dunsmore bzw. Gadd von der Militärregierung auf den 15. September 1946 legte, bekamen in Dor­sten Sozialdemokraten wie Kommunisten jeweils zwei Sitze (je 9,5 Prozent der Man­date), während die CDU 17 Sitze (81 Prozent der Mandate) erhielt. Diese damalige Sitz­verteilung mag angesichts des tatsächlichen Stimmenverhältnisses stutzig machen: Für die CDU stimmten 53,8, für die SPD 23,9 und für die KPD 20,1 Prozent. Das von den Briten verordnete Wahlsystem, die Eintei­lung in Wahlbezirke, benachteiligte die Par­teien der Arbeiterbewegung in Holsterhau­sen und Hervest-Dorsten. Den traditionel­len Hochburgen der SPD und KPD wurden Stimmbezirke mit hohen CDU-Wählerantei­len angegliedert, so dass das Sitzverteilungs­ergebnis am Ende nicht mit der tatsächlichen Stimmabgabe im Einklang stand.

Während sich die Sozialdemokraten in die westlich orientierte Demokratie und Gesellschaftsform einbanden, verlor die KPD. die in diesem politischen Verhalten der SPD Ver­rat an der in Notzeiten gemeinsam beschwo­renen Sache sahen, im Zuge der westlich-de­mokratischen Willensbildung durch ihre starre ideologische Anbindung an Ost-Ber­lin und Moskau an Einfluss und wurde von den sich heranbildenden politischen Kräften in den anderen Parteien immer mehr zurück­gedrängt, bis die KPD 1956 als verfassungs­feindlich verboten und aufgelöst wurde.

Die KPD enttäuschte

Die organisatorisch starke KPD hat es nach 1945 nicht vermocht, die ihr anfangs zuströmenden Menschen zu halten, die in dieser Partei einen Hoffnungsträger für ein neues und freiheitliches Deutschland sahen. Im­merhin hatte die Partei am 1. März 1946 im Bezirk Ruhrgebiet-Westfalen schon über 24.000 Mitglieder, und Ende des Jahres wa­ren es 50.500, ein Jahr später 67.000. Dieser Mitgliederstand verringerte sich in den fol­genden Jahren schnell. Während sich die SPD gerade den jungen Menschen als politi­sche Heimat erfolgreich anbot, kehrten diese der KPD immer mehr enttäuscht den Rücken.

Freie Deutsche Jugend: 60 gingen in die Illegalität

Edmund Labendz war Mitglied der FDJ in Dorsten; Foto: Stegemann

Die Freie Deutsche Jugend (FDJ) war in der DDR die einzig erlaubte Jugendor­ganisation, gegründet am 7. März 1946 aus den seit Juni 1945 errichteten „antifa­schistischen Jugendausschüssen“ Sie er­fasste die Jugendlichen ab dem 14. Lebens­jahr und erzog sie im Sinne der SED. In der Bundesrepublik Deutschland wurde die FDJ im Juni 1951 als verfassungs­feindliche Organisation verboten. Zu­letzt hatte sie etwa 35.000 Mitglieder. Dieses Verbot wurde 1954 durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt. In Dorsten wurde die FDJ 1946 durch die Brüder Ehrenfried und Edmund Labendz gegründet. Wie Edmund Labendz mitteilte, war diese kommunistische Ju­gendorganisation mit 200 eingeschriebe­nen Mitgliedern die stärkste Jugendgruppe in Dorsten. Nach dem Verbot im Jahre 1951 gingen etliche Mitglieder in die Illegalität. 20 Jungbergleute, die auf der Zeche Fürst Leopold arbeiteten, wurden wegen ihrer Mitgliedschaft in der FDJ fristlos entlassen. In der Nacht zum 16. Juli 1951, wenige Wochen nach dem Verbot der FDJ, hissten unbekannt gebliebene Personen auf dem Dachstuhl der neu erbauten Franziskanerkirche eine FDJ-Fahne. Dazu die Ruhr-Nach­richten vom 17. Juli 1951:

„Eine Polizei­streife, die frühmorgens durch die Lip­pestraße kam, entdeckte die Fahne und entfernte sie. Die etwa drei Quadratme­ter große Fahne, die aus blauem Tuch mit einem gelben FDJ-Schild besteht, wurde eingezogen.“

Als sich die FDJ 1954 auch in der Illegali­tät auflöste, bestand die Dorstener Gruppe noch aus 60 Mitgliedern. Ihre Gründer wurden 1954 in Dortmund we­gen verfassungsfeindlicher Tätigkeit vor Gericht gestellt.

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