Volksschulen waren allgemein besonders leistungsschwach. Viele Lehrer hatten Ämter in der NSDAP

Hindenburgschule (Martin-Luther-Schule) mit Rektor Kirchhoff, Führer des Dorstener NS-Lehrerbundes in brauner Partei-Uniform. Welcher Schüler erkennt sich auf dem Bild?

Von Wolf Stegemann

1934 reiste aus Bottrop der Parteigenosse und Studienrat Krekeler nach Dorsten, um vor dem versammelten NS-Lehrerbund von Dorsten und der Herrlichkeit Lembeck im Saal Koop die Lehrer aller Schulformen über die „Grundpfeiler der Erziehung im Nationalsozialismus“ zu instruieren. Die neue Zeit bringe einen neuen Erziehertyp, sagte er. „Jeder Staat müsse die Jugend für seine Ideale erziehen.“ Wer aber für den Staat erziehen wolle, so Krekeler weiter, müsse selbst von ihm begeistert sein. „So müsse sich ein neuer Lehrertyp heranbilden, der, losgelöst vom Marxismus, ritterlich und heldisch für die hohen Ideale des Nationalsozialismus kämpfe.“ (Bericht der „Dorstener Volkszeitung“).

Geschmücktes Klassenzimmer 1942

Die Lehrer selbst waren das erste Ziel nationalsozialistischer Indoktrination, damit die Jugend im NS-Geiste umerzogen werden konnte. Die Schnelligkeit, mit der insbesondere Volksschullehrer, von denen viele vorher Sozialdemokraten waren oder dem Zentrum angehörten, Parteiposten übernahmen, gab Anlass zu der Scherzfrage, was die kürzeste messbare Zeiteinheit sei. Die Antwort lautete: Die Zeit, die ein Volksschullehrer braucht, um seine politische Gesinnung zu ändern. So fanden sich schon im ersten Jahr nach der Machtübernahme, in der auch der „deutsche Gruß“ an Schulen eingeführt wurde, Lehrer als Schulungsleiter in den örtlichen NSDAP-Ortsgruppen oder gar als Ortsgruppenleiter wie den Holsterhausener Lehrer Heinrich Schwarz.

Das Volksschulsystem war Anfang der dreißiger Jahre gut ausgebaut und konnte im wesentlichen seine Strukturen durch die NS-Zeit erhalten, sieht man etwa von der Zusammenlegung der Wilhelmschule und Antoniusschule in Holsterhausen und den Namensänderungen ab, die nach 1945 wieder rückgängig gemacht wurden. Lediglich die 1922 als konfessionsfreie Schule gegründete Baldurschule wurde – wohl aus ideologischen Gründen – Opfer der Nationalsozialisten. Am 1. Oktober 1936 veröffentlichte die Nationalzeitung anlässlich des 25-jährigen Jubiläums der Wilhelmschule einen Artikel, der sich gegen die 1933 aufgelöste und der Wilhelmschule eingegliederte Baldurschule richtete:

„Wohl in keiner Gemeinde Westdeutschlands wurde ein so scharfer Kampf um die Errichtung einer weltlichen Schule geführt wie in Holsterhausen. Man bestand nicht nur darauf, dass die Kinder vom Religionsunterricht befreit wurden, sondern man wollte eigene Klassen und eigenes Lehrpersonal haben, um dann die Kinder im Sinne des jüdischen Marxismus erziehen zu können. 1922 wurde von diesen Zeitgenossen die Baldurschule bezogen. Nach der Machtübernahme war es mit der dreiklassigen weltlichen Schule, einer ausgesprochenen Erziehungsanstalt zum Klassenhass, vorbei. Die Baldurschule wurde dem System der Wilhelmschule angegliedert.“

Ab 1937 erfolgte die Vereinheitlichung des Schulsystems. Konfessions- und Privatschulen wurden verboten. Der Volksschulbesuch begann im Alter von sechs Jahren und endete nach der 8. Klasse. Daran schloss sich der dreijährige Besuch der Berufsschule an. Begabte Schüler wechselten nach vier Volksschuljahren entweder in die Mittelschule oder in die Oberschule. Nach Festigung ihrer Macht waren es dann die Nationalsozialisten selber, die die Schulen entkonfessionalisierten. 1939 wurde die  „Gemeinschaftsschule“ eingeführt.

Rassenlehre im Biologieunterricht

Schon früh wurde die Rassenlehre in den Biologieunterricht eingeführt. Die Eiche wurde als „Sinnbild deutscher Kraft“ dargestellt, die Walnuss, die Edelkastanie und der Weinstock dagegen als „Fremdlinge auf deutschem Boden“. Eine Hauptaufgabe dieses Faches lag in der Verherrlichung der nordischen Rasse. Schüler wurden angehalten, ihre Schädel zu messen und sich gegenseitig nach Rassetypen einzuteilen, was besonders Rektor Kellner praktizierte und darüber auch im „Vestischen Kalender“ veröffentlichte. Besonders die Volksschulen im Dritten Reich waren im Allgemeinen leistungsschwach. Das lag einmal daran, dass die Lehrer durch Nebenbeschäftigungen in verschiedenen Parteiorganisationen überlastet waren, zum anderen daran, dass das Programm der HJ die Kinder körperlich erschöpfte, so dass sie unfähig waren, sich auf das Einerlei der Schularbeiten zu konzentrieren. Hinzu kamen erschwerend die ständigen Reibereien zwischen HJ-Führung und Lehrern. Daher fragte 1942 der General-Anzeiger: „Wird unsere Jugend dümmer?“ Sie berichtet, dass bei einer Lehrlingsprüfung von 179 Bewerbern 94 Prüflinge u. a. den Namen von Deutschlands größtem Dichter Goethe nicht zu buchstabieren wussten.

Robert Kombergs Klage nach 1945

Im Heimatkalender der Herrlichkeit Lembeck von 1952, der ersten Ausgabe nach der Nazi-Zeit, beklagt der ehema­lige Rektor der Lembeck-Becker Schule, Robert Komberg (geb. 1890), die Situation eines durch den National­sozialismus belasteten Lehrers. Komberg war von 1933 bis 1945 NSDAP-Mit­glied und hatte die Funktion eines Schulungsleiters. Außerdem war er in mehre­ren anderen NS-Gliederungen aktiv tä­tig: NSV, NS-Lehrerbund, DRK, Reichsluftschutzbund. Der Berufungs­ausschuss Münster teilte ihn bei der Ent­nazifizierung in die Kategorie III (Nazi, geringer Übeltäter) ein, gewährte ihm aber die Ruhestandsbezüge. Hier Kom­bergs öffentliche Klage aus dem Jahre 1952, in der er über sich selbst in der dritten Person redet:

»Doch das Herz des alten Lehrers blu­tete in Bitternis und Schmerz. Ihm blie­ben die Tore der alten Erziehungsstätte verschlossen. Durch höhere Gewalt war seiner bisherigen Tätigkeit ein jähes Ende gesetzt. Wegen aktiver Zugehörig­keit zur Partei der Nationalsozialisten zweimal verhaftet, zur Zwangsarbeit kommandiert und schließlich in die Ka­tegorie der Belasteten eingestuft, galt er aus dem Schuldienst als entlassen. Äu­ßerlich entehrt und von minderwertigen Kreaturen verachtet, trat er seinen Weg in die Stille der Einsamkeit an. Gemein­heit und Niedertracht hatten gesiegt…«

Katholischer Volksschullehrerverband rief 1933 zur Tilgung alles Undeutschen im Volk auf

August Weber, gestorben 1963 in Dorsten

Von 1928 bis 1933 war der 1963 in Dorsten verstorbene Volksschullehrer August Weber Vorsitzender des bedeutendsten Berufsverbandes der Volksschullehrer „Katholischer Lehrerverband des Deutschen Reiches“. Zudem war Weber, 1875 in Bochum geboren und politisch aktiv in der Zentrumspartei, im Wahlkreis 18 (Westfalen-Süd) Mitglied des Reichstags. Allerdings nur ein Jahr lang bis 1933. Weber stimmte mit seiner Faktion für das Ermächtigungsgesetz, das zur nationalsozialistischen Diktatur führte. Nach Selbstauflösung des Zentrums schied Weber als Reichstagsmitglied aus. Auf der Kundgebung des bedeutendsten Berufsverbandes der Volksschullehrer, dem nach dem „Kulturkampf“ 1889 gegründeten „Katholischen Lehrerverbandes des Deutschen Reiches“ in Berlin sprach der Reichstagsabgeordnete und Verbandsvorsitzende (von 1928 bis 1933) August Weber am 1. April 1933, also zu einer Zeit, als die Nationalsozialisten politisch bereits etabliert waren. Wie viele katholische Funktionäre und die Amtskirche selbst war Weber vom neuen Reich und neuen Reichskanzler Hitler begeistert. Wie einst in den Augusttagen des Jahres 1914, sagte er, habe ein nationales und deutsches Fühlen und Aufbegehren das Volk erfasst. Der Umbruch des Bestehenden und die Zielausrichtung auf ein neues werdendes deutsches Volk und einen neuen deutschen Staat seien vollzogen. Er bedauerte aber, dass die katholischen Führer bedauerlicherweise ebenso wenig beteiligt gewesen waren wie bei der Gründung des Deutschen Reiches Bismarckscher Prägung.

„Durch den Mahn- und Weckruf Adolf Hitlers und seiner Bewegung und durch seine Arbeit ist der Durchbruch durch den undeutschen Geist, der in der Revolution von 1918 zum Siege kam, gelungen. Jetzt ist das ganze deutsche Volk in allen seinen Gliedern, auch den katholischen, zur Mitarbeit und zum Aufbau des Neuen aufgerufen. Es darf nun nicht mehr so kommen, dass der Katholizismus abwartend und tolerierend, oder nur geduldet, in dieser Zeitenwende dasteht. Wir legen, vertrauend auf den Führer der deutschen und völkischen Bewegung und vertrauend auf die volksverwurzelten Kräfte des Katholizismus, mit Hand an, den neuen Reichs- und Volksbau zu schaffen.“

Durch den Abschluss des Konkordats ließen sich viele täuschen

Ähnliches verkündete der Dorstener Agatha-Pfarrer Ludwig Heming 1934 in seiner Neujahrspredigt. Dieser sagte, dass die Katholiken nun aufrechten Schrittes in das neue Reich eingetreten seien. Grund der Hinwendung zu Hitler dieser beispielhaften beiden Männer war der Abschluss des Konkordats zwischen Vatikan und Reichsregierung einerseits und andererseits auch die weit verbreitete nationale Gesinnung dieser Generation katholischer Funktionäre, die noch am Trauma von Versailles litten. August Weber glaubte zu diesem Zeitpunkt noch daran, zumindest sagte er das, dass zur „neuen Ordnung des geschichtlichen Volkstums“ man „unsere katholische  Kirche“ nicht entbehren könne.

„So ist einmal unser Schicksal in den vergangenen Jahrhunderten geworden, dass aus Katholizismus und germanischem Volkstum die Eigenart deutschen Wesens erwuchs. So hat auch der Katholische Lehrerverband seine erste und letzte Aufgabe wieder erhalten, aus seinen Prinzipien: Treu dem Vaterlande, treu dem Stande, treu der Kirche an der sittlichen, moralischen und staatsformenden Aufgabe der Volksbildung mitzuarbeiten. Mehr als ehedem wird er in Weckung und Vertiefung, in Klärung und Zusammenfassung seiner Mitglieder zu ganzen, in ihrem Sein und Sollen sich vor Volk und Staat verantwortlich fühlenden Gliedern der deutschen Volksgemeinschaft seine Aufgabe sehen.“

Auch glaubte Weber noch, dass der Volksschullehrerverband bei diesem Streben frei sei von parteipolitischen Bindungen, wolle aber Mithelfer und Freund der nationalen Bewegung sein, die heute die Macht und das Ansehen habe, allem Neuen und Gesunden in unserer Zeit und unserem Volke zum Leben zu verhelfen. Dann appellierte er an die Volksschullehrer:

„An den einzelnen wenden wir uns mit der Bitte, bereit zu stehen und mit Hand anzulegen, wo immer er einen Platz findet und sieht, dem Ganzen zu dienen. Wir aber werden in den nächsten Wochen die Nah- und Fernziele unserer Bewegung überprüfen und zu den Aufgaben aufrufen, die uns zur Unterstützung der nationalen Bewegung die jeweils vordringlichen zu sein scheinen. Möge es vereinter Kraft aller in unserem Volke gelingen, möglichst bald die Spuren alles Undeutschen und alles Volks- und Christentumsfremden aus unserem öffentlichen und staatlichen Leben zu verbannen. Darum schließt die Reihen und seid bereit!“

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