Wer war Carl Tillessen, nach dem der Freizeitpark mit See auf der Hardt benannt ist? Er war auch ein politischer Attentäter, der vor Mord nicht zurückschreckte!

Carl Tillessen im Jahr 1932 vor dem Wohnhaus an der Kirchhellener Straße mit der Tochter Edith an der Hand und Elisabeth auf dem Arm; Foto: privat

Von Wolf Stegemann

Fünf Jahre lang, von 1930 bis 1935, war der 1891 in Köln geborene Carl Tillessen als Direktor der Westfälischen Sand- und Tonwerke in Dorsten beschäftigt. Nach ihm ist der Freizeitpark mit ehemaligem Baggersee im Stadtteil Hardt benannt. Während seiner Dorstener Zeit trat er in die NSDAP ein und vertrat auch öffentlich nationalsozialistische Thesen.
Carl Tillessen war von seiner Ausbildung her Marineoffizier. Als solcher hat er am Ersten und auch am Zweiten Weltkrieg teilgenommen, zuletzt im Rang eines Korvettenkapitäns. In der Zwischenkriegszeit der Weimarer Republik war er in bürgerlichen Berufen tätig. 1925 heiratete er Martha Pfeffer. Aus dieser Ehe gingen fünf Kinder hervor. 1930 wurde Tillessen, der vorher Betriebsleiter der Obertiefenbacher Basaltwerke gewesen war, auf Empfehlung des Miteigentümers Rudolf ten Hompel als Geschäftsführer bei den Westfälischen Sand- und Tonwerken in Dorsten vorgeschlagen und von der Gesellschafterversammlung eingesetzt. Er bewohnte mit seiner Familie eine Villa an der Kirchhellener Allee 59, die zuvor nach seinen Wünschen umgebaut worden war. Das Haus steht noch. Seine Frau Martha Tillessen berichtete in ihren Erinnerungen:

„Hier in Dorsten begann für Carl eine glückliche Zeit, ja, was die Arbeit in der Industrie betrifft, vielleicht die glücklichste Zeit. Der Betrieb war überschaubar. Die Sand- und Tongruben lagen in der Heide, und hier hatte er eine Belegschaft hinter sich, die für ihn durchs Feuer ging. Die Büros lagen im Erdgeschoss des Wohnhauses. So war er seiner Familie nah, und konnte zwischen Büro und Betrieb wechseln. Es gelang ihm, das Angebot an Produkten der Industriesande zu erweitern, und unter seiner Führung erlebten die Sand- und Tonwerke einen merklichen Aufschwung.“

Hinweisschild auf den Freizeitpark „Tillessensee“; Foto: Helmut Frenzel

Quarzwerke schickten Tillessen jahrzehntelang Grüße zum Jahreswechsel

1935 folgte Carl Tillessen einem Ruf zum Kohlebergbau als kaufmännischer Direktor bei der Bergwerksgesellschaft Hibernia AG in Herne. Die Namensgebung „Tillessen-See“ erfolgte erst später. Als in Dorsten ein Freizeitzentrum geplant wurde, sollte der Badesee einen Namen erhalten. Der Nachfolger in der Geschäftsführung und Miteigentümer, Dr. Erich Müller, hatte bei Tillessen dazu das Einverständnis eingeholt. Carl Tillessen berichtete seinen Söhnen, dass vorher eine Umfrage über den Namen stattgefunden habe. Allerdings ist nicht bekannt, ob diese Umfrage innerhalb der Firma oder auf Stadt- oder Stadtteilebene stattgefunden hatte. Wie groß die Anerkennung der Leistungen von Carl Tillessen für die Dorstener Kies-Firma gewesen sein musste, kann man daran erkennen, dass diese ihm noch Jahrzehnte danach jeweils zum Jahreswechsel in alter Anhänglichkeit einen Gruß schickte. Diese hatte den stets gleich lautenden Text: „Viel Kies für das Neue Jahr wünschen Ihnen die Westfälischen Sand- und Tonwerke Dr. Müller & Co. KG!“ – Karl Tillessen starb 1979 in Krefeld.

Carl Tillessens politisches Wirken in der Weimarer Republik und NS-Zeit

Carl Tillessens Vorname wird auch mit K geschrieben. Im Taufregister steht der Name mit C. Anfang des 20. Jahrhunderts gab es in Deutschland eine Schreibreform. Danach wurde aus dem C ein K. Im Alter legte Karl Tillessen wieder Wert auf das C. Daher steht das C auch auf seinem Grabstein. Carl Tillessen entstammt aus einer politisch rechtsnationalen Familie. Sein Vater Karl Hugo Franz Tillessen (1846 bis 1910) war Artillerieoffizier, zuletzt im Range eines Generalleutnants. Die Mutter Karoline war Holländerin. Carl Tillessen wuchs zusammen mit zehn Geschwistern (drei Brüder und sieben Schwestern) auf. Die Familie galt als streng katholisch. Als der Vater 1904 in den Ruhestand versetzt wurde, zog die Familie nach Koblenz. Vater und Mutter starben 1910 bzw. 1911. Viele Familienmitglieder waren Offiziere, vor allem bei der Kriegsmarine, wie Carl Tillessen selbst. Auch seine drei älteren Brüder dienten bei der Marine: Hans (1889 bis 1915) fiel im Ersten Weltkrieg als Kommandant eines Torpedobootes, Heinrich (1894 bis 1984) war Wachoffizier auf einem Torpedoboot und Werner (1880 bis 1953), zuletzt im Range eines Admirals, starb in russischer Gefangenschaft.

Walther Rathenau; Carl Tillessen war an der Vorbereitung seiner Ermordung beteiligt

Leitfigur der rechtsnationalen Geheimorganisation

Carl Tillessens Wirken in der Weimarer Republik war, bevor er nach Dorsten kam, hochbrisant, politisch und terroristisch. Er war in verschiedenen führenden Funktionen in der Terrormord-Organisation Consul (O.C.) aktiv (siehe unten). Nach Einschätzung des Historikers Martin Sabrow war er die eigentliche Leitfigur dieser rechtsnationalen Geheimorganisation. Sein Bruder Heinrich Tillessen (1894 bis 1984) war an der Ermordung des Zentrumspolitikers Matthias Erzberger direkt beteiligt.

Nach dem Ersten Weltkrieg schloss sich Carl Tillessen 1919 der II. Marinebrigade Ehrhardt in Wilhelmshaven an und war auch Mitglied der Ortsgruppe des Deutschvölkischen Schutz- und Trutzbundes von Wilhelmshaven-Rüstringen. Er war 1920 am Kapp-Putsch beteiligt, durch den die demokratische Regierung gestürzt werden sollte, und der die Kämpfe der Roten Ruhrarmee, die auch im Dorstener Gebiet stattfanden, auslöste. 1921 wurde Carl Tillessen Leiter der „Todesschwadron“-Organisation „Consul“ in Sachsen.

Vergeblicher Versuch, das Lazarettschiff zu versenken

Gemeinsam mit dem Polit-Mörder Erwin Kern versuchte Carl Tillessen am 10. August 1921 vergeblich, die beiden in den Leipziger Prozessen wegen der Versenkung des englischen Lazarettschiffs „Llandovery Castle“ als Kriegsverbrecher Verurteilten, die Oberleutnants John Boldt und Ludwig Dithmar, aus dem Leipziger Gefängnis zu befreien. Anfang 1922 wurde Tillessen Leiter der „Organisation Consul“ für Westdeutschland und übernahm die Oberbezirke II (Hannover) und IV (Frankfurt am Main).

Carl Tillessen war an den Vorbereitungen für das tödliche Attentat auf den Reichsaußenminister Walther Rathenau beteiligt. 1922 kündigte Carl Tillessen in der „Völkischen Rundschau“ den zu diesem Zeitpunkt bereits geplanten Mord an Rathenau an: „Der jüdische Kutscher, der den Reichswagen in langjähriger Dunkelarbeit in den Sumpf gefahren hat, muss beseitigt werden.“ In der gleichen Ausgabe warb Tillessen für Adolf Hitler und die NSDAP, die als einzige Partei die Deutschen vor „Alljuda“ schütze. Carl Tillessen war es schließlich auch, der den Attentätern Erwin Kern und Hermann Fischer den Befehl zur Ermordung Rathenaus erteilte. Nach dem Attentat wurde Carl Tillessen in Frankfurt verhaftet, wegen „Nichtanzeige eines Verbrechens“ angeklagt und musste sich ab Oktober 1922 vor dem neu gegründeten „Staatsgerichtshof zum Schutz der Republik“ in Leipzig verantworten.

Blausäure-Attentat auf Philipp Scheidemann 1922 in Kassel geplant

Philipp Scheidemann; Carl Tillessen plante seine Ermordung

Carl Tillessen hatte als führendes Mitglied der „Organisation Consul“ bereits vor dem Attentat auf Walther Rathenau einen Blausäure-Anschlag auf Philipp Scheidemann, den damaligen Oberbürgermeister von Kassel, 1922 geplant. Später war Tillessen Führer verschiedener Aktivistengruppen in ganz Deutschland. In Frankfurt führte er gemeinsam mit Kurt Münch den deutsch-völkischen Turnverein „Friedrich Ludwig Jahn 1919“, die spätere Keimzelle der nationalsozialistischen Sturm-Abteilung (SA) in Frankfurt.

In Dorsten trat Carl Tillessen der NSDAP bei

1933 trat Carl Tillessen in Dorsten der NSDAP und der SS bei und meldete sich bei Versammlungen der NSDAP oder anderer Organisationen, die im Hotel Koop am Marktplatz stattfanden, auch öffentlich zu Wort. Für die NSDAP-Ortsgruppe hielt er Vorträge über das Diktat von Versailles. In einem dieser Reden nannte er Adolf Hitler als das „gütige Schicksal“ des deutschen Volkes. Hitler habe die Ketten von Versailles Glied um Glied zerbrochen. Tillessen glaubte an die Vorsehung des Führers, der Deutschland „zu herrlichen Zeiten und zur Freiheit bringen werde“. Daraufhin bekam er „lebhaften Beifall“, wie Pfarrer Ludwig Heming in der Agatha-Chronik anmerkte. Auch beschrieb Heming unter dem 13. Januar 1935 eine persönliche Auseinandersetzung mit Carl Tillessen:

„Der 13. Januar war der denkwürdige Tag der Saar-Abstimmung. Am Abend dieses
Tages erhielt der Pastor einen saugroben Brief des Direktors der hiesigen Sand- und Tonwerke Karl Tillessen, in dem es hieß, seine Frau und er seien am Morgen beim Besuch des Hochamtes empört darüber gewesen, mit welcher Gleichgültigkeit der Pastor das vom Bischof angeordnete Gebet für die Saar-Abstimmung gesprochen habe. Pfr. Heming antwortete in sachlich-ruhiger Weise auf die ganz unbegründeten Vorwürfe.“

Die Organisation Consul – eine Terror-Organisation

Die Organisation war eine nationalistische Terror-Organisation während der Weimarer Republik. Ihre Mitglieder versuchten, durch politische Morde das demokratische System der Republik zu erschüttern. Sie kämpften für eine Revision der Ergebnisse des Ersten Weltkriegs, insbesondere des Friedensvertrags von Versailles. Die Organisation ging aus der Marine-Brigade Erhardt hervor, einem Freikorps. Der Altersdurchschnitt der Mitglieder lag zwischen 20 und 30 Jahren. Ihre Motivation nährte sich aus einem antibürgerlichen Affekt und aus einem extremen Nationalismus. Eines der bekanntesten Mitglieder der „Organisation Consul“ war der spätere Schriftsteller Ernst von Salomon. Die O. C. verfügte über Verbindungsleute im gesamten Reich und konnte aus einem geschätzten Personalstamm von etwa 5.000 Mann schöpfen, um ihre Attentäterkommandos zusammenzustellen.

Stets frische Blumen auf der Grabstelle der Mörder auf dem Friedhof Saaleck; Foto: Wolf Stegemann

Nach dem Mord an dem Zentrumspolitiker Matthias Erzberger durch Heinrich Schulz und Heinrich Tillessen wurde auch gegen 34 Mitglieder der „Organisation Consul“ ermittelt und einige von ihnen wegen Mitgliedschaft in einem Geheimbund angeklagt. Angehörige der „Organisation Consul“ ermordeten am 24. Juni 1922 den deutschen Außenminister Rathenau. Die beiden Mörder von Rathenau wurden in Saaleck (Sachsen-Anhalt) gestellt und in einem Schusswechsel von der Polizei erschossen. Sie erhielten als Mörder außerhalb des kleinen Saalecker Friedhofs eine Grabstätte.  Die Nationalsozialisten feierten sie als Helden und verlegten die Gräber 1933 in den Friedhof und errichteten ein Denkmal. Die DDR riss nach 1945 das Denkmal ab und ebnete die Gräber ein. Nach der Wende 1990 machten Rechtsradikale den Grabplatz im Friedhof wieder sichtbar und legen dort regelmäßig Blumen und Kränze nieder, in denen schwarz-weiß-rote Fähnchen stecken – bis heute.

Steckbrief (Plakat) zur Fahndung nach den Mördern von Matthias Erzberger

Die Organisation Consul spielte auch bei der Bildung der SA eine bedeutende Rolle, als 1921 der O. Co.-Leutnant Hans-Ulrich Klintzsch die militärische Führung der einstigen „Turn- und Sportabteilung der N.S.D.A.P.“ übernahm. Bei den Untersuchungen im Mordfall Matthias Erzberger wurde der Sitz der Organisation von der Polizei ausgehoben. Auf der Grundlage des 1922 erlassenen Republikschutzgesetzes wurde die „Organisation Consul“ verboten. Im Dritten Reich wurden die Mitglieder der Organisation Consul als „Helden des nationalen Widerstands“ gefeiert. Erzberger-Mörder und Bruder von Carl Tillessen, Heinrich Tillessen, wurde in der Weimarer Republik verurteilt, 1933 amnestiert und 1946 erneut amnestiert. Aufgrund von Protesten musste 1947 die Amnestie aufgehoben werden. In einem neuen Prozess forderte 1947 der Staatsanwalt die Todesstrafe. Heinrich Tillessen erhielt 15 Jahren Gefängnisstrafe und wurde 1953 begnadigt.

  • Klaus-Dieter Krause hat das Thema „Karl Tillessen“ am 7. Februar 2013 mit einer Veröffentlichung in der „Dorstener Zeitung“ aufgegriffen. Er fragte die Zeitungsleser, ob ein Freizeitpark nach einem SS-Mann und verurteilten Mordbeteiligten weiter benannt bleiben soll. Ich schließe mich dieser Frage gerne an und bitte um Kommentare. Inzwischen wurde der Tillessensee in Hardbergsee umbenannt.

_______________________________________________________________

Quellen: Mündliche und schriftliche Auskunft Dr. Ulrich Tillessen, Sohn von Carl Tillessen, in Waldshut-Tiengen 2010. – Dorstener St. Agatha-Chronik 1913-1940. – Wikipedia, Online-Enzyklopädie. – Martin Sabrow „Der Rathenaumord. Rekonstruktion einer Verschwörung gegen die Republik Weimar, Diss. Freiburg 1992, München 1994. – Howard N. Stern „The Organisation Konsul“ in „Journal of Modern History, Nr. 35, 1963. – Entnommen dem in Kürze erscheinenden Dorsten-Lexikon, gleichlautend veröffentlicht in DORSTEN-transparent.
Veröffentlicht unter Personen/Porträts | Verschlagwortet mit , , , .

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert