Die Hans-Pfitzner-Straße im Stadtsfeld: Der Komponist war ein glühender Nationalsozialist, ein ausgewiesener Antisemit und ein begeisterter Verehrer Adolf Hitlers über 1945 hinaus

Straßenschild in Stadtsfeld; Foto: Helmut Frenzel

„Der Komponist war ein unbelehrbarer Nationalsozialist.
Auch die Freunde seiner Musik können ihn nicht reinwaschen.“
Jens Jessen, „Die Zeit“ 30. Okt. 2007

Hitler wollte Europa „einen großen Dienst leisten,
indem er alle Juden aus ihm vertriebe.“
Hans Pfitzner, 1946

Zusammengestellt von Wolf Stegemann

Was hat die Hans-Pfitzner-Straße mit dem Tillessen-See zu tun? Beide haben einen ausgewiesenen Nationalsozialisten als Namensgeber. Unlängst hat der Bauausschuss des Rates der Stadt Dorsten für eine Umbenennung des Tillessen-Seees votiert. Für die Umbenennung der Hans-Pfitzner-Straße aber nicht. Hans Pfitzner war Komponist und Dirigent und lebte von 1869 bis 1949.

Der Tillessensee wird bald umbenannt

Karl Tillessen, von 1930 bis 1935 Direktor der Dorstener Quarzwerke, gehörte zu jenen, die in der Weimarer Republik als Mitglied der rechtsradikalen Organisation Consul (C.O.) mit den Morden an Walter Rathenau und Kurt Eisner in nahe Verbindung gebracht werden konnten. Die Organisation wollte durch die Morde die Republik schwächen. Dieses mit Hilfe des Sohnes von Karl Tillessen erstmals aufgegriffene Thema, woher der Dorstener Tillessen-See seinen Namen hat, wurde umfangreich für die Online-Dokumentation „Dorsten unterm Hakenkreuz“ erforscht und am 28. Mai 2012 veröffentlicht; am 30. November 2012 auch in DORSTEN-transparent. Daraufhin griff die „Dorstener Zeitung“ das Thema auf und veröffentlichte es am 7. Februar 2013, was die Dorstener Jungsozialisten zum Anlass nahmen, zu überprüfen, ob es weitere solche fragliche Benennungen in Dorsten gebe. Erfreulicherweise nahmen sich dann auch die Stadtverwaltung und die Kommunalpolitik des Themas an und beauftragte „eine Arbeitsgruppe aus Historikern und Heimatkundlern, alle Dorstener Straßennamen auf NS-belastete Personen zu überprüfen“ (DZ vom 3. Juni 2015). Der Historiker Dr. Josef Ulfkotte erforschte nun die bereits veröffentlichte Geschichte Karl Tillessens und kam, wie die DZ berichtete, auch zu dem Schluss, wie die DZ berichtete, dass Tillessen an der rechtsorientierten terroristischen geheimen „Organisation Consul“ beteiligt war. Daher die bevorstehende Umbenennung.

Mit seinem Straßennamen „ehrt“ man auch den antisemitischen Menschen

Hans Pfitzner

Nun gibt es noch die Hans-Pfitzner-Straße im Stadtsfeld – im so genannten Musiker-Viertel. Warum wird ihm nicht die Ehre der Straßenbenennung entzogen? Darüber kann spekuliert werden: Entweder wurde der glühende Nationalsozialismus, der in dem Komponisten steckte  (berühmtestes Werk „Palestrina“), von der Heimatkundler-Kommission nicht erkannt oder negiert! Oder an ihn, den berühmten Komponisten, traut man sich wegen seiner Berühmtheit nicht heran! Oder der Stadt wird eine Straßenumbenennung zu teuer, denn die Anwohner haben Anspruch auf Kostenerstattung, wenn sie ihre Briefbogen, Visitenkarten und dergleichen ändern müssten. Die Ehrung einer Person mit einem Straßennamen schließt immer die gesamte Persönlichkeit in die Ehrung ein. Daher ehrt man bei Hans Pfitzner nicht nur den Komponisten, sondern auch seine Verehrung des Nationalsozialismus und seinen anhaltenden Antisemitismus vor, während und nach dem Dritten Reich.

Jüdische Gemeinde sagte Konzert mit Pfitzner-Stück ab

Pfitzner bei der Goethe-Preis-Verleihung 1934

Die jüdische Gemeinde in München hat 2007 ein Konzert abgesagt, bei dem Hans Pfitzners Sextett op. 55 von Mitgliedern der Münchner Philharmoniker gespielt werden sollte. Das ist, angesichts von Pfitzners unbelehrbarer Treue zum Nationalsozialismus, wie es hieß, mehr als verständlich. Einige Beispiele der Straßenumbenennung: 2010 wurde in Hamburg mit Wirkung vom 1. Januar 2011 die Pfitznerstraße wegen der Nähe Pfitzners zum Nationalsozialismus umbenannt; sie ist heute ein Teil der Friedensallee. Auch Hamm entzog Pfitzner den Straßennamen. Hilden hat eine Umbenennung 2012 abgelehnt, in Lübeck ist der Antrag von 2014 noch nicht entschieden. Die Stadt Münster hat sich ihrer „Pfitznerstraße“ 2012 entledigt. Die klare Aussage in der Begründung:

„Die Kommission empfiehlt einstimmig die Umbenennung der Pfitznerstraße. Ausschlaggebend für die Empfehlung der Umbenennung war die Bewertung, dass der Komponist und Dirigent Hans Pfitzner eine Stütze des NS-Regimes im Bereich Kultur war und die höchsten Würden erreicht hat, die man in der NS-Kulturpolitik erreichen konnte.“

Klavierauszug aus "Palestrina" Mussolini gewidmet

Die Münstersche Straßennamen-Kommission belegte ihre Begründung mit dem Verhalten Hans Pfitzners in der NS-Zeit, aus der wir hier einige Aspekte zusammenfassend aufgreifen. Wenn seine Werke auch nicht eindeutig NS-Propaganda waren, setzte er seine Kompositionen bewusst im Sinne der herrschenden Weltanschauung in Szene, was insbesondere für seine 1921 entstandene „Kantate von deutscher Seele“ gilt. Er scheute sich nicht, in den ab 1939 besetzten Gebieten, vor allem im polnischen Generalgouvernement in Goebbels „Propagandakompanie“ (PK) aufzutreten. Einen Klavierauszug seines Hauptwerks „Palestrina“ widmete er 1934 „seiner Excellenz Benito Mussolini“.

„Unsterbliche Verdienst unseres Führers“ angepriesen

Zur Reichstagswahl 1936 pries Pfitzner in der NSDAP-Zeitung „Völkischer Beobachter“ (27. März 1936) „das unsterbliche Verdienst unseres Führers Adolf Hitler, dessen Weitblick zu folgen die einfache Pflicht jedes Deutschen ist. Darum ihm am 29. März unsere Stimme!“ Einen ähnlichen Aufruf verfasste Pfitzner vor der Volksabstimmung über den „Anschluss“ Österreichs 1938: „Die Vereinigung Deutschlands und Österreichs war schon immer mein Wunsch!“ (Berliner Lokal-Anzeiger vom 5. April 1938).

Hässlicher Antisemit vor, während und nach dem Dritten Reich

Aquarell von Pretorius (1939)

Antisemitische Äußerungen Pfitzners liegen aus der Zeit vor 1933, dann bis 1945 und danach vor.  Bereits 1919 schrieb der Komponist, dass „deutsche Arbeiter, deutsches Volk sich von russisch-jüdischen Verbrechern anführen ließen“. (Pfitzner 1926). So konnte Pfitzner in einem Interview 1933 über sich behaupten: „Ich habe Zeit meines Lebens in diese Kerbe gehauen, die heute als theoretische Voraussetzung der nationalsozialistischen Weltanschauung gilt“ („Fanfare für Hans Pfitzner“ in „Die Musik“).
In seinem Antisemitismus unterschied Pfitzner jedoch allgemein zwischen dem Judentum und jüdischen Individuen. Was allerdings nicht für ihn spricht, denn die allgemeine Hetze gegen das Judentum bereitete den Boden für die individuelle Verfolgung bis hin zu den millionenfachen Morden. So setzte sich der Komponist während der nationalsozialistischen Herrschaft wiederholt für jüdische Freunde ein. Er schrieb Briefe wie jenen an den Stadtverordneten Heinrich König zu Gunsten seines Schülers Felix Wolfes, der ein ausgezeichneter Musiker und Dirigent sei, „obgleich er Jude ist“ (Adamy Bd. 1, Brief-Nr. 589).

Abgesehen von diesen Einzelfällen war Pfitzners Interesse am Umgang der Nationalsozialisten mit Juden im Allgemeinen nicht besonders ausgeprägt, schreibt Sabine Busch in „Hans Pfitzner und der Nationalsozialismus“. Dass seine Freundschaften zu jüdischen Menschen seinen generellen, rassistischen Antisemitismus nicht veränderten, zeigte sich spätestens nach 1945. Der Komponist pflegte ein durchaus freundschaftliches Verhältnis zu Hans Frank, der als Generalgouverneur in Krakau verantwortlich für die Ermordung zehntausender Menschen war und als „Polenschlächter“ bekannt wurde. Unter den mächtigen Vertretern des Dritten Reiches scheint Frank einer der größten Verehrer und Förderer Pfitzners gewesen zu sein und auch Pfitzner war dem „Polenschlächter“ zugeneigt. Noch 1946 schrieb er an Hans Frank ins Gefängnis, der bei den Nürnberger Prozessen wegen seiner Untaten als Generalgouverneur von Polen zum Tode verurteilt wurde: „Lieber Freund Frank. Nehmen Sie diesen herzlichen Gruß als Zeichen der Verbundenheit auch in schwerer Zeit. Stets Ihr Dr. Pfitzner.“

Hans Pfitzner nach 1945: „Das Weltjudentum ist ein Problem“

Nach dem Ende des Krieges fand sich Pfitzners Name kurzzeitig auf der von den Amerikanern erstellten „schwarzen Liste“. Auf ihr standen Namen von Künstlern, die das Münchener oder sogar deutsche Kunstleben aktiv (oder gar gewaltsam) im Sinne des NS-Regimes umgestaltet hatten. Die Amerikaner belegten ihn zwar mit keinem generellen Aufführungs- und Publikationsverbot. Jedoch wurden seine Einnahmen aus der STAGMA (Vorläuferin der GEMA) vorerst gesperrt. Im Spruchkammerverfahren im Frühjahr 1948 wurde der Künstler dann freigesprochen mit der Begründung, er sei „vom Gesetz [zur Entnazifizierung] nicht betroffen“.

Pfitzner glaubte noch nach dem Krieg an den „guten Glauben Hitlers“

Hans Pfitzner

Zwei zentrale Dokumente zeigen, wie wenig Pfitzner anscheinend nach 1945 Abstand von alten Ideologien und Feindbildern nahm. Zum einen verfasste er die „Glosse zum II. Weltkrieg“, in der er ihn als unausweichliche Folge einer „Lügen- und Gräuelpropaganda“ gegen Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg darstellte. Pfitzner schrieb, er glaube „heute noch an die bona fides, den guten Glauben Hitlers“. Hitler habe richtig gehandelt, Europa von den Juden befreien zu wollen, denn „das Weltjudentum ist ein Problem“. Lediglich die stümperhafte Durchführung seiner Ideen könne man Hitler vorwerfen. Auf keinen Fall jedoch sei es richtig, Hitler mit „den Deutschen“ gleichzusetzen, die immer noch als „edles Volk“ in der Welt stünden.

Eine ganz ähnliche Argumentation findet sich auch in einem Brief Pfitzners an seinen jüdischen Freund Bruno Walter, der nach New York emigriert war. Auf dessen Nachfrage, wie es ihrem gemeinsamen Freund Cossmann ergangen sei, hatte Pfitzner geantwortet, er sei verstorben „an einer Krankheit im Krankenhause in Theresienstadt unter guter, ärztlicher Behandlung“. Anderslautenden „Gräuelmärchen“ solle Walter keinen Glauben schenken. Als dieser in seinem Antwortbrief betonte, dass die schrecklichen Geschichten aus den Konzentrationslagern bei weitem keine Märchen seien, setzte Pfitzner zu einer weitschweifenden Rechtfertigung an. Er stellte den Zweiten Weltkrieg als unausweichliche Folge der Demütigung Deutschlands nach dem Ersten Weltkrieg dar. Außerdem wies er eine Verantwortung des gesamten deutschen Volkes für die „Taten und Untaten“ Hitlers ab. Pfitzner versuchte, die nationalsozialistischen Gräueltaten zu relativieren.

Entwurf der Urkunde "Wartheländischer Kulturpreis" 1942

In der Zeit des Nationalsozialismus erhielt der Komponist eine ganze Reihe von Ehrungen. Sein Name erschien sogar auf einer Sonderliste Hitlers der drei wichtigsten Musiker der „Gottbegnadeten-Liste“ (Klee: „Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945?“). Dennoch blieb insgesamt die Aufmerksamkeit, welche die Mächtigen des Regimes – vor allem Hitler und Goebbels – dem Komponisten entgegen brachte, weit hinter dem zurück, was Pfitzner sich erhofft hatte. Weitere Ehrungen: 1910 Ehrendoktorwürde der Universität Straßburg, 1931 Beethoven-Preis der Preußischen Akademie der Künste, 1934 Goethe-Medaille, Goethe-Preis der Stadt Frankfurt, 1935 Brahms-Medaille der Stadt Hamburg, 1936 Ernennung zum Reichskultursenator, 1939 Ehrenbürgerwürde der Stadt Frohburg in Sachsen, 1942 Wartheländischer Kulturpreis, 1943 Beethoven-Preis der Stadt Wien, 1944 Dotation von Hitler über 50.000 RM, 1944 Ehrenring der Stadt Wien, 1994 Sondermarke der Deutschen Bundespost zum 125. Geburtstag Pfitzners.

Fundierte Erkenntnisse über Hans Pfitzner veröffentlicht

Die Theaterwissenschaftlerin Dr. Sabine Busch-Frank konnte in ihrem vorzüglich vorgelegten Buch „Hans Pfitzner und der Nationalsozialismus“ (Stuttgart, Weimar 2001) mit umfassender Quellenrecherche das ideologische Tauziehen um die Verstrickungen des Komponisten im Dritten Reich transparent machen. In der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“ schrieb dazu Rezensentin Ellen Kohlhaas, diese erste Dokumentation zu Pfitzners Wirken im Nationalsozialismus sei längst überfällig: Sabine Busch führe hier „nicht dezidiert und ausschließlich pro-nazistische Dokumente vor“, hüte sich aber, „Pfitzners Rempeleien mit den Nazi-Bonzen“ zu Heldentaten eines Regimegegners umzudeuten. Doch Buschs Auswertung aller bisher zugänglichen Dokumente, „darunter etlicher neu aufgefundener oder erstmals unzensiert im vollen Wortlaut veröffentlichter Materialien“, untermauern für die Rezensentin das bekannte Pfitzner-Bild vom „antisemitischen Chauvinisten“. Die Studie enthält nach Auskunft der Rezensentin makabre Beispiele für Pfitzners starrsinnige Unbelehrbarkeit auch nach 1945 ebenso wie Vertuschungsversuche seiner Kontakte mit Nazi-Größen wie Hans Frank.

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Quellen und Literatur: Meist angegebenen im Text. Bundesarchiv Berlin R 43/1247, R 55/377, R 55/20066, 55/20231a, RK/W 0002, RK/D 0066. Literatur: Bernhard Adamy (Hg.), Hans Pfitzner. Briefe, Bd. 1: Textband, Tutzing 1991; Band 2, 1991. – Dr. Sabine Busch-Frank: „Hans Pfitzner und der Nationalsozialismus“, Stuttgart, Weimar 2001. – Boguslaw Drewniak: „Das Theater im NS-Staat. Szenarium deutscher Zeitgeschichte 1933-1945“, Droste 1983. – Ernst Klee: „Das Kulturlexikon zum Dritten Reich. Wer war was vor und nach 1945?“, Frankfurt a. M. 2007. – N.N. (vermutl. Walter Abendroth): „Fanfare für Hans Pfitzner“ in „Die Musik“ (1933). – Hans Pfitzner: „Glosse zum II. Weltkrieg“ in: „Sämtliche Schriften“ Bd. 4, Tutzing 1987. – Hans Rudolf Vaget: „Der gute, alte Antisemitismus. Hans Pfitzner, Bruno Walter und der Holocaust“ in: Riethmüller, Albrecht (Hg.): „Bruckner-Probleme. Internationales Kolloquium 7..- 9. Oktober 1996 in Berlin“, Berlin 1999.
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