Ständige Angst vor der Geheimen Staatspolizei – In Dorsten gab es keine regulären Gestapo-Beamten

Zelle im Dortmunder Gestapo-Gefängnis - nur 5 qm groß

Von Wolf Stegemann

Die Machtbefugnisse der Gestapo leiteten sich hauptsächlich aus der „Verordnung des Reichspräsidenten zum Schutz von Volk und Staat“ ab, die am 28. Februar 1933, dem Tag nach dem Brand des Reichstags, erlassen worden war. Diese Verordnung gestattete der Polizei, Verdächtige ohne ordnungsgemäßes Verfahren auf nahezu unbegrenzte Zeit in „Schutzhaft“ zu nehmen und setzte darüber hinaus die meisten bürgerlichen Rechte außer Kraft. Zum Beispiel kam es immer wieder vor, dass die Gestapo Personen, die vor Gericht freigesprochen worden waren, erneut verhaftete. Diese Umstände verschärften die Angst, mit der Gestapo in Berührung zu kommen, obwohl diese gar nicht über hinreichend eigene Mittel verfügte, die Bevölkerung flächendeckend zu überprüfen und zu überwachen. Ende 1944 standen im gesamten Reichsgebiet nur etwa 32.000 Personen im Dienst der Gestapo, darunter rund 3.000 Verwaltungsbeamte und 13.500 Arbeiter und Angestellte. Nur ungefähr die Hälfte des gesamten Personals, nämlich 15.500 Personen, nahmen aktiv Polizeifunktionen war, d. h. die im Außendienst tätigen Gestapo-Beamten waren zwangsläufig dünn gesät. So verfügte etwa die „Zentraldienststelle“ in Münster über 81 Beamte und weitere zwölf in Gelsenkirchen, acht in Recklinghausen, vier in Bottrop und einige wenige in ein paar anderen kleinen Außenstellen.

Gestapo-Marke, Vorder- und Rückseite

Der Bischof von Münster kritisierte die Gestapo öffentlich

Bekannt wurden drei kritische Predigten des Bischofs von Münster, Clemens August Graf von Galen, aus dem Jahre 1941, von denen sich die erste gegen die Gestapo richtete. Der Bischof monierte darin die fehlende Gerechtigkeit in der Staatspolitik und Justiz:

„Der physischen Übermacht der Geheimen Staatspolizei steht jeder deutsche Staatsbürger völlig schutzlos und wehrlos gegenüber. […] Keiner von uns ist sicher, und mag er sich bewusst sein, der treueste, gewissenhafteste Staatsbürger zu sein, mag er sich völliger Schuldlosigkeit bewusst sein, dass er nicht eines Tages aus seiner Wohnung geholt, seiner Freiheit beraubt, in den Kellern und Konzentrationslagern der Geheimen Staatspolizei eingesperrt wird.“

Die Gestapo-Beamten Tenholt (links) und Dr. Graf von Stosch („Gestapo-Stosch“). Zeichnung des Gerichtszeichners der Westfälischen Nachrichten von 1947.

Dorsten gehörte zur Gestapo-Dienststelle Recklinghausen, die zugleich Stapo-Leitstelle für den Regierungsbezirk Münster war und die 1934/35 von dem späteren Bürgermeister von Bottrop und Regierungspräsidenten von Münster und Minden, Dr. jur. Günther Graf von Stosch, geleitet wurde. Die Verhörmethoden im Recklinghäuser Gestapo-Gefängnis waren gefürchtet, was auch etliche Dorstener erfahren konnten: Prügel, Folter, Terror, Totschlag. In einem Prozess 1947 wurden Stosch und Kriminalpolizeirat Tenholt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Aussageerpressung mittels Folter und Misshandlungen in 237 Fällen, darunter zwei Selbstmorde und zwei Vernehmungen mit Todesfolge, angeklagt. Während das in Recklinghausen tagende Schwurgericht Bochum den Untergebenen Tenholt (Gerichtsurteil: „Landsknechtsnatur“) in 46 nachgewiesenen Fällen zu zwölf Jahren Zuchthaus verurteilte, wurde der Leiter der Gestapo-Dienststelle, Graf von Stosch, unter Bravo-Rufen der Zuhörer freigesprochen. Das Gericht traute dem adeligen und feinsinnigen Gestapo-Chef („Gestapo-Stosch“), dessen Familie im Hause Hindenburg verkehrte, nicht zu, vom Folterkeller und von Prügelböcken etwas gewusst zu haben, und wenn ja, dann hätte er dem „Treiben nicht Einhalt gebieten“ können. Die Presse feierte den Freispruch als einen „Sieg der Gerechtigkeit“.

Gestapo-Beamte waren meist Verwaltungsbedienstete im Rathaus

In Dorsten gab es keine regulären Gestapo-Beamten, wie in den meisten kleineren Städten auch nicht. Wenn beispielsweise die Rede davon ist, dass Gestapo-Beamte in Holsterhausen die Bibelforscher beobachteten oder in Kirchen Predigten missliebiger Pfarrer mitschrieben, so waren es meist keine hauptamtlichen Gestapo-Beamten, sondern als „Gestapo-Mitglieder“ geführte Beamte, meist Verwaltungsbedienstete aus dem Rathaus, die neben zahlreichen anderen Aufgaben auch die lokalen Funktionen der politischen Polizei versahen. Bislang ist nicht bekannt, wer in Dorsten und im Dorstener Rathaus für die Gestapo tätig war. Ebenso wenig gehörten ursprünglich alle Gestapo-Beamten der SS oder auch nur der Partei an, obwohl im Lauf der Zeit die meisten der einen oder anderen nationalsozialistischen Organisation beitraten. Hatte die Gestapo ihre Beamten anfangs im Großen und Ganzen von der Weimarer Republik übernommen, so dürfte deren Zahl bis zum Ausbruch des Krieges durch die vermehrte Einstellung hauptamtlicher Kräfte angestiegen, dann aber durch Einberufungen zur Wehrmacht schon bald wieder zurückgegangen sein. Dass die Gestapo bei diesem beschränkten Personalbestand ihre vielen, sich ständig ausgeweiteten Aufgaben ohne Beihilfe von außen strukturell wohl kaum bewältigt hätte, liegt auf der Hand.

Siehe auch den Artikel:
1) Gestapo- und SS-Leute arbeiteten als Beamte für den BND der 50er- und 60er-Jahre. Bundeskanzler Konrad Adenauer billigte das höchstpersönlich
2) Die Geheime Staatspolizei war an keinerlei Gesetze gebunden, konnte verhaften, foltern, verschleppen und mit einem umfassenden Spitzelsystem die Bevölkerung überwachen
3) Günther Graf von Stosch – Als Polizeichef wurde 1949 dem NS-Regierungspräsidenten der Prozess gemacht
4) Ein Witz und seine Folgen bei der Gestapo und vor der Justiz. Protokoll einer Vernehmung

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