1945 (I) – Das Jahr einer welthistorischen Zäsur

Von Prof. Dr. Christoph Kleßmann

Das Schlüsseljahr 1945 ist sicherlich primär eine europäische Größe, weil hier die Folgen besonders einschneidend waren. Ohne Frage reichte jedoch die Wirkung der mit diesem Jahr verknüpften Entwicklungen weit über Europa hinaus, wie nicht nur die welthistorische Zäsur des Atombombenabwurfs auf Hiroshima und Nagasaki im August 1945 verdeutlicht. Der Weltkrieg und seine Konsequenzen waren ein globales historisches Ereignis wie bislang wohl kein anderes. Zwei Drittel aller Staaten und drei Viertel der Weltbevölkerung waren davon betroffen. Für Deutschland stellte 1945 als Befreiung von der NS-Herrschaft auch „einen Tiefpunkt der neueren deutschen Geschichte“ dar. Neben enormen Gebietsverlusten legte eine nie erlebte Zahl von Toten, Flüchtlingen und Vertriebenen, Vergewaltigten, Evakuierten und Gefangenen den Eindruck von Finis Germaniae nahe. Weiterlesen

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1945 (II) – Das Jahr der Niederlage oder das der Befreiung?

Von Prof. Dr. Christoph Kleßmann

Eng verknüpft mit dem Kriegsende in Deutschland war die lange und in komplizierten Fronten verlaufende Debatte um das Jahr 1945 als „Niederlage“ und „Katastrophe“ oder als „Befreiung“. Diese Diskussion bekam ihre spezifisch politische Konnotation durch ihre Verbindung mit der Teilung Deutschlands. Während in der SBZ/DDR die Formel der „Befreiung vom Faschismus“ kanonisiert wurde und bis zum Ende des ersten „Arbeiter-und-Bauern-Staates auf deutschem Boden“ erhalten blieb, dominierten in Westdeutschland zunächst die düsteren Farben in der Kennzeichnung des Kriegsendes als „Niederlage“, „Kapitulation“, „Untergang” oder „Katastrophe“. Das bedeutete einerseits eine demonstrative Abgrenzung von der DDR. Es entsprach andererseits durchaus der Erfahrung und der Gefühlslage einer großen Mehrheit der Deutschen, die sich eben 1945 keineswegs befreit fühlte, auch wenn sie erleichtert war, dass der längst verlorene Krieg endlich vorbei war. Weiterlesen

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1945 (III) – Ende und Anfang als gefühlte „Stunde Null“

Von Prof. Dr. Christoph Kleßmann

Von Um das Schlagwort „Stunde Null“ gibt es seit seinem Auftreten in der Nachkriegszeit viel Begriffspolemik. Wann der Begriff erstmals auftauchte, ist kaum zu ermitteln. Der Titel von Roberto Rossellinis Film von 1948 „Deutschland im Jahre Null“ hat vermutlich die Verbreitung des Ausdrucks gefördert, der auch in den Titeln vieler Bücher vorkommt: Hans Habe „Im Jahre Null“ (Dersch 1966), „Drei Jahre nach Null“ (Droste 1978), „Stunde Null in Deutschland“ (Droste 1978). Auch die Forschungsgruppe „Dorsten unterm Hakenkreuz“ nannte ihren 4. Band „Dorsten nach der Stunde Null“ (1986).  

Mit der Zäsur von 1945 verbinden sich – wie mit vielen tiefen historischen Zäsuren – verschiedenste zeitgenössische und historiografische Charakterisierungen. Als „Stunde Null“ wurde das Ende des blutigsten Krieges der bisherigen Geschichte wohl zuerst von Literaten bezeichnet, aber genau ist die Herkunft nicht zu eruieren. Die Metapher ging als populäres Schlagwort in die Umgangssprache und in die Berichterstattung über Kriegsende und Neuanfang ein und hat sich dauerhaft gehalten. Dahinter stand die Vorstellung von der totalen Niederlage als Endpunkt und Ausdruck von Hoffnungslosigkeit, aber auch von Chancen für einen vollständigen politischen und gesellschaftlichen Neuanfang. Die intensive zeitgenössische Debatte um Neuordnung und Restauration, die sowohl in den politischen Parteien wie in den politisch-literarischen Zeitschriften stattfand, hat hier ihren Ursprung. Eines der prominentesten Blätter der frühen Nachkriegszeit, der aus einer Zeitschrift deutscher Kriegsgefangener in den USA hervorgegangene und von Alfred Andersch und Hans Werner Richter herausgegebene „Ruf“, schrieb 1946, in Deutschland sei alles zerschlagen. Die junge Generation könne daher ganz von vorne beginnen. „Sie braucht nicht umzubauen … Sie kann neu bauen.“ Diese Hoffnung auf neue gesellschaftliche Gestaltungsspielräume angesichts des (scheinbar) völligen Zusammenbruchs tradierter Strukturen und das ausgeprägte moralische Pathos aller Beschwörungen des Neubeginns gehörten zu den positiven und für engagierte Literaten attraktiven Konnotationen der „Stunde Null“, auch wenn sie sich als große Illusion erweisen sollten. Denn selbst nach revolutionären Zäsuren gibt es stets ein größeres Maß an Kontinuität, als die Revolutionäre glauben oder fürchten mochten. Weiterlesen

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Blick in die Partnerstadt Hainichen und die Jahre von 1933 bis 1945: Frühe Konzentrationslager und späte Aufarbeitung der nationalsozialistischen Zeit

Zwangarbeiter des Konzentrationslagers Hainichen-Mühlberg

Von Wolf Stegemann

Schlägt man in der Literatur nach, wie die nationalsozialistischen Jahre in Dorstens Partnerstadt Hainichen verlaufen sind, dann findet der Leser in den bis zur Wendezeit erschienenen Veröffentlichungen nicht viel. Meist sind es drei bis fünf Eintragungen, die an Jahreszahlen festgemacht sind: „Vom März bis Juni 1933 diente das Volks- und Sportheim den Faschisten als ,Schutzhaftlager’, als KZ also. – 1934 Eröffnung der ,Framo-Werke GmbH’ Hainichens. – 1935 Anlegen der Blumenuhr, ein Geschenk der Gellerttische“ anlässlich der 750. Jahrfeier der Stadt.“ Auch nach der Wiedervereinigung 1990 kam es jahrelang nicht zu einer Auf- bzw. Nacharbeitung der nationalsozialistischen Jahre in der Geschichte der Stadt. Diese kam erst ab der Jahrtausendwende in Gang. Im Fokus westdeutscher Forschung stand das frühe KZ der SA in Hainichen schon länger, erst später die veröffentlichten Erinnerungen von älteren Einwohnern oder deren Söhnen und Töchtern in Hainichen selbst. Die Katholische Jugend im Landkreis Mittweida erforschten die Schicksale katholischer Pfarrer in Hainichen und erarbeitete eine Ausstellung, die 2007 im Rathaus von Hainichen unter dem Titel „Pfarrer unserer Gemeinde – erste Opfer des NS-Regimes“ zu sehen war. Die beiden Hainichener Konzentrationslager bisher ist nur von einem KZ die Rede sind von Historikern in den 1990er-Jahren gut erforscht und dargestellt. 2009 legte der damals 31-jährige Journalist Thomas Kretschmann ein Buch mit dem etwas spröden Titel „Hainichen – Zeitzeugen-Berichte und Dokumente 1930 – 1950“ vor, das er selbst verlegte. Darin ging er auf 230 Seiten „vergessenen Schicksalen“ nach. Angeregt wurde der Herausgeber durch seine Großmutter, die, wie viele Neubürger Hainichens, als Flüchtling aus Ostpreußen kamen. Ihre Geschichte ist in dem Buch ebenso für die Nachwelt dokumentiert wie die Existenz zweier Konzentrationslager in Hainichen und der Einmarsch der Roten Armee sowie die Versorgungsnöte danach. Weiterlesen

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Neue Texte • Neue Texte • Neue Texte • Neue Texte • Neue Texte

Neu eingestellt am 27 Juli 2016:

Familie Löwenthal aus der Partnerstadt Hod Hasharon auf den Spuren ihrer Vorfahren in Berlin – Dorstener Ratsfrau Somberg-Romanski betreute sie eine Woche lang

Am 22. Mai 2016 neue Texte eingestellt:

Was war der Nationalsozialismus im „neuen“ Reich? Joseph Wiedenhöfer, Direktor des Gymnasium Petrinum bis 1932, wusste schon 1934 die Antwort: Eine Forderung der Religion!

Das Porträt – Dr. Joseph Wiedenhöfer, Direktor des Dorstener Gymnasium Petrinum sowie ein NS-Ideologe humanistischer Prägung. Er drohte einem Journalisten mit der Gestapo

Wilhelm Daniels desertierte 1945 in Wuppertal und lief über Dorsten, durch den Weseler Wald und Marienthal nach Hause

1946 erschien erstmals das „Jüdische Gemeindeblatt“, aus dem die heutige „Jüdische Allgemeine“ entstand

Horst Wessel – sein kurzes Leben und sein langlebiges Lied: Wie die Propaganda seine Lebensgeschichte zum NS-Mythos verklärte und das Lied noch heute in den Köpfen herumspukt

Drei Nationalsozialisten mit Dorstener Bezug schmückten sich mit dem „Goldene Ehrenzeichen der NSDAP“: Dr. Heinrich Glasmeier, Richard Hildebrandt und Friedrich Geißelbrecht

Neue Text am 26. Februar 2016 veröffentlicht:

Nationalsozialisten ließen bei jedem Anlass singen – Lieder dienten der Indoktrination, der Vergöttlichung des Führers und förderten den Durchhaltewillen

Das Lied als Anstiftung zum Judenhass – Das „Heckerlied“ und seine antisemitische Variante in der Weimarer Republik und im Nationalsozialismus

Antisemitismus in nationalsozialistischen Liedern vor und nach 1933 – „Deutschland erwache! Volk ans Gewehr! Sie kämpfen für Hitler, für Arbeit und Brot! Juda den Tod!“

Hitlers „Mein Kampf“ erstmals neu aufgelegt. Nach 70 Jahren eine kritische Edition zur historisch-politischen Aufklärung und Auseinandersetzung

Sparkassen im Vest II: In der Nachkriegszeit Beteiligung am Wiederaufbau, der Währungsreform und am so genannten „Wirtschaftswunder“

Sparkassen im Vest I: 1933 Gleichschaltung, 1938 Zugriff auf Konten jüdischer Sparer, ab 1939 Kriegsfinanzierung, 1945 Geld auf einen Handkarren gepackt

Nürnberger Prozess I: Einst machtvoll grausam und ungnädig, auf der Anklagebank jämmerlich und auf Gnade hoffend. Die Hauptkriegsverbrecher schützten Unwissen vor

Nürnberger Prozesse II: In Nachfolgeprozessen wurden Ärzte, Juristen, Militärs, Industrielle, Manager sowie Mitglieder der SS und Polizei angeklagt und verurteilt

Die deutsche Industrie produzierte und lieferte der SS das Schädlingsbekämpfungsmittel Zyklon B zur Vergasung von mindestens einer Million Juden

Ab 1942 sollten KZ-Bordelle die Arbeitslaune der privilegierten Häftlinge steigern – Eine groteske Einrichtung, die nach 1945 tabuisiert wurde

Zwei Männer beim Löwenzahn­pflücken erschossen – Über das Ostarbeiter- ­und Kriegsgefangenenlager Tönsholt

Er bewahrte Düsseldorf 1945 vor erneuter Bombardierung – Der spätere NS-Widerstandskämpfer Karl Müller war Schüler am Gymnasium Petrinum in Dorsten

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6. Oktober 2015. – Heute sind  28 neue Artikel zur Abrundung verschiedener Themen veröffentlicht. Sie sind hier aufgeführt und verlinkt. Somit umfasst diese Online-Dokumentation „Dorsten unterm Hakenkreuz“ derzeit 316 Artikel, die über das Inhaltsverzeichnis bzw. Schlagwörter und Suchfunktionen aufzurufen sind. Leser haben inzwischen 62 Kommentare geschrieben. Täglich wird „Dorsten untern Hakenkreuz“ zwischen 600- und 1000-mal aufgerufen. Soweit es hier erkennbar ist, kommen die meisten Klicks (nach Deutschland) aus den Niederlanden, aus Frankreich, der Schweiz, aus Dänemark, den USA und aus Israel. Hier die neuen Texte:

1933

Gleichschaltung 1933: Es war die faktische Unterwerfung aller Organe, relevanten Gruppen, Vereine und Verbände unter die NS-Herrschaft

Gesetz zum Schutz der nationalen Symbole 1933: Warnung der Politischen Polizei, geschmacklosen Hakenkreuz-Kitsch zu produzieren und zu verkaufen

NS-Ideologie: Das Schwein als Zeichen der arischen Kultur – Der Begriff Arier und die Nutzung im Dritten Reich

Schule

Schule im NS-Regime I: Hitlerjugend, Reichsarbeitsdienst, SA oder SS, Wehrmacht – Adolf Hitler: „Und sie werden nicht mehr frei ihr ganzes Leben!“

Schule im NS-Regime II: Eliteschulen zur Indoktrinierung der Jugend für den Krieg: Nationalpolitische Erziehungsanstalten und Adolf-Hitler-Schulen

Erziehung im NS-Regime: Keine Kolonie friedsamer Ästheten, sondern trotzige Verkörperung männlicher Kraft – Auszug aus Hitlers „Mein Kampf“

Klein Adolf zeigt es ihnen – Der zehnjährige Hitler im deutschen Gymnasial-Lesebuch

Sport

Der Sport im Nationalsozialismus: Ziel war das „Heranzüchten gesunder Körper“…

Die deutsche Eiche: Symbol für Treue, nationale Einheit und „Wiedergeburt der neuen Zeit“. Reichsweit wurden zigtausend Hitler-Eichen gepflanzt – auch in Dorsten

Polizei / Justiz

Die Polizei, dein Freund und Massenmörder. Für die Polizei gab es keine Stunde Null – sie konnte nach dem Krieg nahezu bruchlos weiterarbeiten

Die Geheime Staatspolizei war an keinerlei Gesetze gebunden, konnte verhaften, foltern, verschleppen und mit einem umfassenden Spitzelsystem die Bevölkerung überwachen

Sondergerichte: Durch nachdrückliche Ausübung der Strafgewalt sollten „unruhige Geister“ gewarnt oder beseitigt werden. Ein besonders brutales Instrument der NS-Herrschaft

Krieg

Lügen der Propaganda-Kompanie. Kriegsberichter und -maler verherrlichten das Sterben. Ruhr Nachrichten-Verleger Lambert Lensing und der Dorstener Alfons van Bevern waren dabei

Pfarrer Karl Krampens Soldatenzeit in Dorsten – Kompanieschreiber und Prediger

Dienstverpflichtet: Unter den vielen Arbeitskräften mussten Dorstenerinnen in der Muna in Wulfen Granaten herstellen

Britische Soldaten hatten ab 1944 einen Leitfaden im Gepäck, was sie in Deutschland erwartete: Wurst und Grausamkeit, brutale und selbstmitleidige Deutsche, eine schöne Landschaft und viele Nazis

Endphaseverbrechen – ein juristischer Begriff zur Sühnung von Verbrechen in den letzten Kriegswochen

Der Volkssturm war das letzte sinnlose Propaganda-Aufgebot mit Kranken, Jugendlichen, Alten und Fußlahmen, um Dörfer und Städte zu verteidigen

Zivile Kriegsjustiz: Scharfe NS-Gesetze und gnadenlose Richter bedrohten das Alltagsleben mit Gefängnis, Zuchthaus, KZ und dem Fallbeil

Mord an Kranken

Euthanasie I: Approbierte Mörder im Arztkittel – Geistig Behinderte wurden durch Gas, mit Morphium, Barbituraten und durch Hunger umgebracht

Euthanasie II: Erfassung der geistig behinderten Kinder, ihre „Begutachtung“ und anschließende Tötung

Euthanasie: Landesheilanstalt Hadamar – Ärzte, Schwestern und Pfleger ermordeten mit Gas, Luftspritzen, Medikamenten und Essenentzug rund 15.000 Frauen, Männer und Kinder

Nach 1945

Entnazifizierung der Wirtschaft V: Das Gesetz Nr. 8 und seine Ausführungsbestimmungen – Nationalsozialisten durften ab 1945 keine leitenden Stellungen in den Betrieben haben

Wie ging die Bundesrepublik mit den NS-Tätern im KZ, an der Front oder am Schreibtisch um? Wie mit den Vollstreckern in Rathäusern, Verwaltungen und Ministerien? – Fallbeispiele

Juristen demontierten als Handlanger des Verbrecher-Regimes nach Recht und Gesetz Menschlichkeit und Gerechtigkeit und setzten nach 1945 ihre Karrieren fort

Das Justizkollegium der Bundesländer beschloss 1949, die Entnazifizierung in den Bundesländern gesetzlich und schnell abzuwickeln

Justiz: Mord oder Totschlag? Wo Hitler heute noch regiert: In den Strafgesetzbüchern der Bundesrepublik

Aktuell

Die Hans-Pfitzner-Straße im Stadtsfeld: Der Komponist war ein glühender Nationalsozialist, ein ausgewiesener Antisemit und ein begeisterter Verehrer Adolf Hitlers über 1945 hinaus


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